Agglo, Atrium, Abstraktion und dergleichen – das Atriumhaus von Buol & Zünd Architekten

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Das Erstlingswerk der Basler Architekten Lukas Buol und Marco Zünd befindet sich in Therwil, einer Agglomerationsgemeinde südlich von Basel. Die Annäherung erfolgt von Nordwesten. Von der Tramstation Therwil führt der Fichtenrain hangaufwärts Richtung Moosholz. Den Auftakt zum Hasenrain bilden eine Gruppe von Einfamilienhäusern mit Giebeldächern, spitzwinkligen Erkern, weiss verputzter Kompaktfassade und vorgelagerten Wintergärten. Nach wenigen Schritten rückt das Atriumhaus ins Blickfeld. Ein ziegelbedecktes Satteldach liegt auf einer brettergeschalten Sichtbetonfassade. Die Erscheinung hat etwas Archetypisches: Eine Mischung aus Urhütte und Findling. Das Tor zur Strasse sowie die Türe zum Garten ermöglichen den Zugang. Die Fenster an den Längsfassaden zeugen von der Bewohnbarkeit. Ohne sie könnte man das Haus auch für einen Funktionsbau halten. Von Nahem werden die Feinheiten der Fassade erkennbar: Unterhalb des Fensters wurde der Beton leicht zurückgesetzt und fein geschalt. Das Feld hat dieselbe Dimension wie das Fenster. Der Effekt ist verblüffend: Die relativ kleine Fensteröffnung wirkt optisch vergrössert. Der Übergang von Wand zu Dach wird von einem leicht vorstehenden Kranzgesims hervorgehoben. Darauf liegt das eigentliche Dach in Holzbauweise. Die Gestaltung der Betonoberfläche verleiht dem Haus einerseits Masse, anderseits relativiert das Abbild einer scheinbaren Tektonik den monolithischen Ausdruck.

‚Für den Erwachsenen ist der Einzug in seine erste Wohnung ein beseligender Augenblick, der Bau seines Hauses aber eines der wichtigsten Ereignisse seines Lebens.‘1 Für die Bauherrschaft bedeutete der Hausbau vor allem eine an die Lebensumstände angepasste Wohnsituation. Dank einem Zeitungartikel über das von Buol & Zünd entworfene Aluminiumregal ‚Zoll-D‘ kam es zum Kontakt mit den jungen Architekten und – wenig später zum Bauauftrag. Nebst dem engen finanziellen Rahmen gab seitens der Bauherrschaft nur eine Vorgabe: Das Haus sollte einen einzigartigen Charakter erhalten. Die Entwurfsideen wurden im Dialog entwickelt. In den meisten Punkten fand sich ein Konsens. Unstimmigkeiten gab es höchstens bei funktionalen Details, beispielsweise bei der Frage nach der Notwendigkeit einer Türe zum WC. Entwurfsgeschichtlich ist die Entwicklung des Dachs bemerkenswert. Ursprünglich war – im Widerspruch zum damaligen Baugesetz – ein Flachdach vorgesehen. Daraufhin wurde der minimal vorgeschriebene Neigungswinkel gewählt. Das Dach sollte jedoch wie die Fassade aus Sichtbeton ausgeführt werden. Es kam anders. Zum Glück könnte man sagen: Dem Dach gelingt es, eine thematische Verbindung zwischen Äusserem und Inneren herzustellen.

Von der Strasse betritt man das Haus durch ein grosses Metalltor, das sich raffiniert nach aussen ausstülpen lässt. Der Eintritt wird durch eine massive Betonschwelle erschwert. Der Blick ins Innere ist eindrücklich. Das zentrale Atrium schafft den Bezug zum Wohngeschoss und bringt umgekehrt viel Licht ins Sockelgeschoss. Vom Eingangsraum gelangt man über grosse Flügeltüren in die zwei angrenzenden Zimmer: Links die Möbelsammlung, rechts das Schlafzimmer des Sohnes. Der dritte Weg führt über eine Glastür ins Atrium und von dort weiter zum Treppenhaus. Der Raum erinnert mit seiner Transparenz, dem Naturstein und Holz, sowie dem konzentrierten Bezug zwischen Erde und Himmel an japanische Architektur. Über die schmale, gewendelte Treppe erreicht man das Wohngeschoss. Auch hier hat das Ankommen einen besonderen Reiz: Zum Sonnenlicht gesellt sich direkt oder über die Diagonale der Ausblick in die Landschaft. Das Wohngeschoss funktioniert als Raumkontinuum, das durch das Atrium und vier raumhaltige Volumina geordnet wird. Die Nebenräume dienen so der Raumbildung. Die geneigten Dachflächen gliedern die Räume in der dritten Dimension. Von jedem Raum überblickt man das gesamte Geschoss – Rolläden, Vorhänge und Schiebetüren ermöglichen einen partiellen Sicht- und Sonnenschutz. Die strikte Symmetrie wird durch den leicht versetzten Raumkörper zwischenWohnraum und Küche durchbrochen. Diese kleine Abweichung sorgt für eine räumliche Entspannung ganz im Sinne von Tessenows Aphorismus ‚Die Symmetrie ist umso besser, je schwerer man ihre Achse findet.‘2

Vom Wohnraum gelangt man über eine Fenstertür mit Betonschwelle auf den auf der Südseite gelegenen Gartensitzplatz. Der Blick schweift zurück. Beim genauen Hinsehen offenbaren sich viele raffinierte Details – sei es das Schalungsbild der Betonwand oder die speziell konstruierten Fenster und Türen. Die Unmittelbarkeit der äusseren Kargheit lässt den soeben erlebten inneren Reichtum unwirklich erscheinen. ‚Wir sind genötigt, immer wieder zu suchen, das für uns ganz Wesentliche oder Einfach-Notwendige zu erkennen und festzuhalten ‘, 3 schreibt Tessenow in ,Hausbau und dergleichen’. Er trifft damit das zentrale Thema des Atriumhauses: Die Suche nach dem Einfach-Notwendigen – in Form, Funktion und Konstruktion. Buol & Zünd verstehen den Begriff der Abstraktion dabei vor allem als Entwurfsmethode, als Herausschälen des Wesentlichen. Bei der Realisierung behalten sie so die Freiheit, den Entwurf gestalterisch anzureichern. Abstraktion wird – entgegen einer minimalistischen Architekturauffassung – nicht als formale Qualität verstanden. Auch die funktionale Abstraktion, wie sie O. M. Ungers bei seinem ‚Haus ohne Eigenschaften’ (1995) radikalisierte, bleibt lediglich Denkmodell. Schliesslich soll das Atriumhaus seinen Bewohnern ein Zuhause bieten. Das Haus ist der Versuch einer Synthese aus archetypischer Ikonografie des Äussern und streng gedachter, innerer Raumkonzeption. Während letztere dem Entwurf seine Stärke verleiht, bleibt die äussere Erscheinung irritierend. Kann die auf kontextuelle Abgrenzung ausgelegte Verweigerungshaltung eine architektonische Qualität sein? Einen Vorteil hat sie auf jeden Fall: Während in den letzten Jahren sämtliche Nachbarn von Einbrechern heimgesucht wurden, blieb das Atriumhaus von ungebetenen Gästen verschont.

Literatur
1 Kleinhaus und Kleinsiedlung – Hermann Muthesius, München, 1918, S. 27
2,3 Hausbau und dergleichen – Heinrich Tessenow, Berlin, 1920, S. 25 / S. 13
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PROJEKTINFO
Adresse: Hasenrain 37, Therwil
Baudaten: 1996 – 99
Bauherrschaft: Familie König/Herzig
Projektmitarbeit: Christian Schibli, Doris Köpfli
Ingenieur: Helmuth Pauli, Basel

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