Barragán verlässt Birsfelden: Der Nachlass des mexikanischen Meisters wandert ins Vitra Design Museum

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In Birsfelden versteckt sich ein besonderer kultureller Schatz. Doch davon wissen nur die wenigsten. An der Birsmündung befindet sich seit 1996 der Nachlass des Architekten Luis Barragán (1902–1988). Er gilt als bedeutendster mexikanischer Architekt des 20. Jahrhunderts. Dass sich sein Archiv in der Schweiz und nicht im Heimatland Mexiko befindet, wurde noch vor wenigen Jahren kontrovers diskutiert. Nun wandert das Archiv auf den Vitra Campus in Weil am Rhein.

Luis Barragán und Andrés Casillas, Cuadra San Cristóbal, Los Clubes, Atizapán de Zaragoza, 1966–1968. Die Brunnenanlage fotografiert von Armando Salas © Barragan Foundation, Foto: Armando Salas Portugal / VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Rückblende: Nach dem Tod Barragáns im Jahre 1988 wurde sein Nachlass mitsamt Urheberrechten an seinen Studiopartner Raúl Ferrera übertragen. Nach dessen Suizid ging der umfangreiche Nachlass an die Witwe Rosario Uranga weiter. Ihre Versuche, das Archiv an die mexikanische Regierung und einheimische Institutionen zu verkaufen, blieben erfolglos. Vielleicht lag es am Preis. Sie verlangte damals eine Million Dollar. Für mexikanische Verhältnisse war das offenbar zu viel. Nicht so für den New Yorker Galeristen Max Protetch, der den Nachlass erstand. 1995 verkaufte er ihn an Vitra-Gründer Rolf Fehlbaum weiter. Dieser gründete daraufhin die Barragan Foundation. Architektin Federica Zanco wurde die Direktorin. Gerüchten zu Folge war der Nachlass ein Verlobungsgeschenk von Fehlbaum an Zanco.

Bestand des Barragán-Archivs © Barragan Foundation, Foto: Lake Verea

Die «Schweizer Übernahme» kam in Mexiko schlecht an. Kulturelle Aneignung? Ein Artikel in der Tageszeitung La Jornada aus dem Jahr 1998 verglich den Erwerb «mit dem Vorgehen von Konquistadoren, die den Boden auf der Suche nach Gold und Silber plündern.» Der Kurator des renommierten Museo Universitario Arte Contemporáneo (MUAC) in Mexiko-Stadt, Cuauhtémoc Medina, bemängelte noch vor wenigen Jahren die «Kommodifizierung eines kulturellen Erbes». Inzwischen haben sich die Wogen zum Glück geglättet. Schliesslich wurde in Birsfelden hart gearbeitet: Über die letzten zwanzig Jahre wurden die Archivbestände von einem kleinen Team unter der Leitung von Federica Zanco systematisch erfasst und im Zuge einer umfassenden Erforschung des Gesamtwerks von Luis Barragán wissenschaftlich aufgearbeitet. Im Rahmen einer neuen Partnerschaft zwischen der Barragan Foundation und dem Vitra Design Museum wird das Barragán-Archiv nun auf den Vitra Campus in Weil am Rhein überführt. Ein Schritt zur Öffnung? Das Barragán-Archiv soll künftig für die weitere Erforschung und für Kooperationen mit anderen Institutionen verfügbar sein.

Undatierter Publikationsplan von Barragáns Wohnhaus an der Calle Francisco Ramírez 14
in Mexiko-Stadt, 1948. © Barragan Foundation / VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Das Barragán-Archiv wird in von Dieter Thiel gestalteten Räumlichkeiten in unmittelbarer Nachbarschaft zum Vitra Schaudepot untergebracht. Diese umfassen einen gesicherten Archivraum, einen Study Room für Forschende und einen Ausstellungsraum, die Barragán Gallery. Die Präsentation in der Barragán Gallery wurde von Kurator Martin Josephy in Zusammenarbeit mit Luis E. Carranza, einem Experten für die Architektur in Lateinamerika, eingerichtet. Sie zeigt eine Auswahl von Plänen, Fotografien und anderen Dokumenten aus dem Barragán-Archiv sowie biografische Informationen und eine illustrierte Zeittafel zur modernen Architektur in Mexiko. Dadurch werden Einblicke in das Leben und Werk von Luis Barragán in einem größeren Kontext vermittelt.

Luis Barragán, Haus Gilardi, Mexiko-Stadt, 1975–1977. Blick in den Korridor zum Swimmingpool mit Essbereich.
© Lukas Gruntz / Architektur Basel

Das Oeuvre von Luis Barragán erstreckt sich über einen Zeitraum von sechs Jahrzehnten zwischen den späten 1920er Jahren und den 1980er Jahren. Nachdem Barragán schon mit seinen ersten Bauten in seiner Heimatstadt Guadalajara internationale Beachtung fand, zog er 1935 nach Mexiko-Stadt und entwickelte dort seine Architektursprache weiter. Indem er das internationale Vokabular der Moderne mit charakteristischen Elementen der mexikanischen Kultur und Landschaft verband, fand er nach und nach zu einem unverkennbaren und ganz eigenen Ausdruck. Zu den bedeutenden Werken von Luis Barragán gehören die Planung des neuen Stadtteils Jardines del Pedregal (1945–1952) inmitten einer Lavalandschaft im Süden von Mexiko-Stadt, sein eigenes Wohnhaus (1948), das Haus Gilardi (1975–1977) und die beiden Siedlungen Las Arboledas (1957–1962) und Los Clubes (1961–196). 1980 wurde Barragán mit dem Pritzker Prize geehrt, der weltweit bedeutendsten Auszeichnung für Architektur.

Luis Barragán, Haus Gilardi, Mexiko-Stadt, 1975–1977 © Lukas Gruntz / Architektur Basel

Die Dokumente und Objekte im Barragán-Archiv umfassen den gesamten beruflichen Nachlass von Luis Barragán. Dazu zählen rund 13’500 Zeichnungen, Pläne und Dokumente, eine annähernd gleich große Fotosammlung sowie eine Reihe von Modellen, Möbelstücken und Objekten. Über die Jahre konnten weitere relevante Bestände erworben werden, namentlich eine Sammlung von Negativen und Originalabzügen aus dem Nachlass des Fotografen Armando Salas Portugal, dessen Blick auf Barragáns Architektur eine eigene künstlerische Bedeutung zukommt.

Luis Barragán, Projekt für die Umgestaltung des Parque Azteca, Mexiko-Stadt, 1954 (unrealisiert).
© Barragan Foundation / VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Im Jahr 2000 wurde im Vitra Design Museum die gemeinsam produzierte Ausstellung »Luis Barragán: Die Stille Revolution« eröffnet, welche anschließend in verschiedenen Museen weltweit zu sehen war, zuletzt 2002–2003 im Museo de Bellas Artes in Mexiko-Stadt. Für die kommenden Jahre plant das Vitra Design Museum eine neue Retrospektive über das Werk Luis Barragáns. Eine Publikation zum Gesamtwerk von Barragán ist ebenfalls in Vorbereitung. Wir freuen uns darauf. Barragán lebt.

Artikel: Lukas Gruntz / Architektur Basel

Quellen:
https://www.sueddeutsche.de/kultur/architektur-farben-der-erinnerung-1.4573383
https://www.design-museum.de


Führungen durch die Barragán Gallery können über www.design- museum.de gebucht werden.

Weitere Infos zur Barragan-Foundation > www.barragan-foundation.org

 

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