Baubranche und Klimakrise: Wer trägt die Verantwortung?

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«Wir konkurrieren gegen eine Bauindustrie die total auf Betonbau ausgerichtet ist», erklärte Architekt Stefan Marbach in unserem Podcast über das Projekt Hortus von Herzog & de Meuron in Allschwil, das nach neuen Lösungen für nachhaltiges Bauen sucht. In ihrem Kommentar beschreibt unsere Redaktorin Miriam Stierle die „gigantischen Herausforderungen“ der ökologischen Transformation unserer Baubranche und die Probleme des globalen CO2-Emissionshandelssystems.Wir müssen uns mit der Klimakrise auseinandersetzen, denn sie betrifft uns nicht erst in 25 Jahren, wenn wir laut Pariser Abkommen gerne einen Verbrauch von Nettonull erreicht haben sollten, sondern sie fordert bereits heute Menschenleben (siehe IPCC Bericht vom Juli 2020. Verursacher des jetzigen Klimanotstands sind und waren in erster Linie, die im globalen Norden lebenden Menschen und demnach sind es auch wir, die in erster Linie für ihre bisherigen Opfer im globalen Süden verantwortlich sind. Auf der südlichen Erdhalbkugel lebende Menschen tragen mit ihrem geringen Fussabdruck weitaus weniger zur bestehenden Krise bei, tragen jedoch die grössten Folgen davon.

Teilnehmer der Diskussionsrunde

Teilnehmende der Diskussionsrunde © FHNW Muttenz

Die Klimakrise ist vielschichtig und sie ist vor allem auch eine humanitäre Krise. Demnach sollten wir ihr mit einer ganzen Bandbreite von Lösungen auf mehreren Ebenen und in verschiedenen Eingriffstiefen begegnen. Sie fordert Verantwortung auf Nutzer- sowie auf Firmenebene. Architekt:innen sind dazu angehalten, herkömmliches Vorgehen zu hinterfragen und ihren Wissenshorizont hinsichtlich einer Palette an alternativen Bauweisen zu erweitern. Nicht zuletzt fordert es die Politik, die notwendigen Gesetze und Normen zu erlassen, damit Konsument:innen darin unterstützt werden, eine klimaschonende Wahl zu treffen.

Als Nutzer müssen wir unsere Vorstellung von Komfort anpassen. Das bedeutet unter Anderem unseren Prokopf-Flächenbedarf zu reduzieren und die beanspruchten Flächen durch Mehrfachnutzungen mit anderen zu teilen. Wir müssen wieder lernen, mit stärkeren Temperaturschwankungen im Innenraum zurechtzukommen, geringere Anforderungen an die Dichtigkeit unserer Gebäude zu stellen und Eingeständnisse beim Schallschutz zu machen. Dann ziehe ich eben im Winter einen zweiten Pullover an oder höre meiner Nachbarin beim Klavierspielen zu. Das haben unsere Grosseltern auch so gemacht.

 

Am Mikrophon Andrea Klinge von ZRS Architekten Ingenieure, Berlin, und neue Professorin für zirkuläres Bauen an der FHNW © FHNW Muttenz

Auf Seiten der Baubranche, die für rund 40% der globalen CO2-Emmissionen verantwortlich ist, bedeutet dies konkret weniger oder gar nicht zu bauen. Und wenn ja nur dort, wo es sich nicht vermeiden lässt – und es bedeutet anders zu bauen! Die Konzeption unserer Gebäude muss einen grösseren Anteil der Planungsarbeit ausmachen und bereits ihre zukünftige Rückbaubarkeit beinhalten. Sicher, um dies zu ermöglichen, benötigen wir stärkere wirtschaftliche Anreize und strengere Regeln. Gute Politik lebt von intensivem Engagement – und das hören wir alle nicht gerne – auch unter Architekt:innen. Denn nur wenn Impulse gesetzt und Forderungen gestellt werden, entstehen zukunftsbefähigende Regularien. Seitens der Politik ist eine klare Linie gefordert. CO2-intensive Materialien und Prozesse müssen wesentlich stärker besteuert werden, um darüber ihre wahren Kosten zu spiegeln. Ebenso sollten geltende Normen hinsichtlich ihres Verhältnisses von Nutzen zu Umweltbelastung hinterfragt werden. Jede Entscheidung, die Architekt:innen oder Bauherr:innen aufgrund der Kosten zulasten der Umwelt treffen, ist ein Versagen der Politik.

Am Mikrophon Simon Wiedemann Head of Solutions & Products bei Holcim, FHNW Assistierende Valentin Lang & Miriam Stierle © FHNW Muttenz

Zu guter Letzt stellt sich die Frage, wer denn nun für den Umbau unserer Gesellschaft finanziell aufkommt. Man sollte meinen, die finanzielle Last der notwendigen Klimamassnahmen würde gerecht auf alle Beteiligten verteilt. Dem ist aber leider nicht so. Simon Wiedemann, Head of Solutions & Products bei Holcim wälzt die Verantwortung auf den einzelnen Bauherren ab, wie er an einem Podium an der FHNW in Muttenz offen erklärte. Ganz im wirtschaftlichen Sinne des Grosskonzerns, dem derzeit grössten Emittenten von Klimagasen in der Schweiz, bestimmt nämlich die Nachfrage das Angebot. So ist also seiner Meinung nach allein der Konsument für die Verwendung von herkömmlichen Betonmischungen verantwortlich. Ganz so einfach ist es leider nicht. Natürlich tragen wir alle in unterschiedlichen Rollen Verantwortung für die vorherrschende Krisensituation. Und dennoch sollte man gerade von einem Grosskonzern wie Holcim erwarten können, dass er seinen Beitrag zu einer klimagerechten Gesellschaft leistet.

Dem ist allerdings nicht so, denn in der Schweiz zahlen die grössten Verbraucher am wenigsten. Holcim bezahlt nämlich keine CO2-Abgabe, anders als jeder Haushalt der 120.- CHF je Tonne CO2 bezahlt, sondern begleicht seine CO2-Schulden innerhalb des seit 2013 existierenden Emissionshandelssystems (EHS). Anstatt für seine Emissionen zu bezahlen, muss das drittgrösste Zementunternehmen der Welt dem Bund lediglich CO2-Zertifikate abgeben, die er zuvor umsonst vom Bundesamt für Umwelt erhalten hat. Obwohl er demnach keine CO2-Abgabe bezahlt, profitiert er sogar noch von der Rückverteilung an Bevölkerung und Wirtschaft. Aber damit nicht genug: Der Zementriese erhielt laut einer SRF-Recherche, in den letzten Jahren sogar mehr Gratiszertifikate, als er verwenden konnte. Somit bescherte das Emissionshandelssystem, Holcim sogar noch eine Nebenerwerbsquelle über seine laufend im Preis ansteigenden „CO2-Wertpapiere“. Weitere detaillierte Informationen zum geplanten CO2-Gesetz und Emissionshandelssystem findet ihr in der entsprechenden Artikelreihe des Onlinemagazins das Lamm.

Simon Wiedemann Head of Solutions & Products bei Holcim, FHNW Assistierende Valentin Lang & Miriam Stierle

Sollten sich die grössten Emitent:innen in einem reichen Land wie der Schweiz, in dem Eigenverantwortung derart hochgehalten wird, nicht ebenso an einer fairen CO2-Abgabe beteiligen, anstatt Schlupflöcher zu nutzen, um noch mehr Profit zu schlagen? Dies ist eine dringliche Frage nach Gerechtigkeit und Bewältigbarkeit. Grosse gesellschaftliche Veränderungen müssen von allen Akteur:innen getragen werden und das schliesst auch Grosskonzerne nicht aus, die sich derzeit geschickt aus der Verantwortung ziehen. Derzeit stehen der Bestreitung der Krise vor allem jene im Weg, die sie am stärksten verursachen. Auf die Gewissenhaftigkeit der Verbraucher:innen zu verweisen ist nicht nur verantwortungslos, sondern auch unwirksam. Konsument:innen allein für die derzeitig realen Mehrkosten klimaverträglicher Alternativen aufkommen zu lassen, ist ungerecht und zudem keine ausreichend effektive Antwort auf die gigantische Herausforderung, vor der wir stehen.

Text: Miriam Stierle / Architektur Basel


Quellen:
– IPCC Bericht vom Juli 2020: https://www.ipcc.ch/site/assets/uploads/2020/07/SR1.5-SPM_de_barrierefrei.pdf
– Onlinemagazin das Lamm: https://daslamm.ch

 

 

 

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