Das Spiel mit der Nähe

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Das Prinzip der Nachverdichtung in ehemals als Gewerbe oder Lagerfläche genutzten Innenhöfen städtischer Blockrandbebauungen hat sich im Raum Basel mitlerweile bewährt. Die bestehenden, oftmals ungenutzten Kleinbauten in den Innenhöfen weichen zugunsten von neuem Wohnraum.

Im Zuge der Instandstellung der denkmalgeschützten Strassenfassaden zweier Häuser des Blockrandes beauftragte die Pensionskasse Coop das Architekturbüro von Luca Selva ebenso mit einem zusätzlichen Neubau im Hinterhof. Aufgrund der knappen Platzverhältnisse und den baugesetzlichen Rahmenbedingungen umfasst der dreigeschossige Holzbau zwei Wohneinheiten und zwei Studioräume.

Hofbebauung Thiersteinerallee © Armin Schärer / Architektur Basel

Der Hofbau fügt sich behutsam zwischen den umliegenden Brandmauern ein © Armin Schärer / Architektur Basel

Die erste Überraschung folgt bereits beim Betreten des Innenhofes. Die kupferne Streckmetallfassade lässt das Gebäude im sonnigen Innenhof regelrecht aufleuchten und bildet einen starken Kontrast zu den umliegenden rohen Brandmauern. Der Neubau schliesst in seinem Volumen ganz bewusst an drei Stellen an die umliegenden Brandmauern an und schafft so spezifische räumliche Momente, die sowohl die Aussenräume fassen und prägen, aber auch den Innenräumen ganz unterschiedliche Stimmungen geben. Die Berührungspunkte zum Bestand erwecken den Anschein, als ob sich der Neubau zwischen den bestehenden Mauern verkeilt und so die Auskragungen über dem Erdgeschoss erst möglich gemacht werden. Der enge Raum, in welchem sich das Gebäude aufspannt wird dadurch direkt spürbar. Der Kontrast der innenliegenden Grosszügigkeit und der von aussen fast schon drückenden Enge sollte auch beim weiteren Rundgang durch das Haus zur grossen Qualität werden.

Hofbebauung Thiersteinerallee © Armin Schärer / Architektur Basel

Das Gebäude spannt durch seine Form ganz unterschiedliche Aussenräume auf © Armin Schärer / Architektur Basel

Ich betrete das Gebäude im Erdgeschoss und gelange in eine kleine, aber gut belichtete Eingangshalle. Direkt angeschlossen, mit eigener Klingel und geteiltem Badezimmer sind zwei Zimmer, welche die beiden darüber liegenden Wohnungen flexibel ergänzen, oder separat als Atelierzimmer vermietet werden können. Beide Zimmer verfügen über einen eigenen kleinen Aussensitzplatz, welche sich zu unterschiedlichen Aussenräumen orientieren.

Erdgeschoss Hofbebauung Thiersteinerallee © Luca Selva Architekten

Erdgeschoss Hofbebauung Thiersteinerallee © Luca Selva Architekten

Ein Geschoss höher liegen die beiden Zugänge zu den Wohnungen. Die Wohnung im 1. Obergeschoss betrete ich an der engsten Stelle des fliessenden Raumes zwischen Essbereich und Wohnzimmer. Hier treten die Qualitäten des Hofbaus noch stärker in Dialog zum Innenraum. Der Wohnraum wird geprägt von unterschiedlichsten Sichtbezügen und Lichtstimmungen. Die Wohn- und Essbereiche fassen L-Förmig den intimen kleinen Kieshof zur Brandmauer und werden um einen Aussenbereich zu diesem Hof hin ergänzt. Trotz der Nähe zur Strassenzeile schaffen es die Architekten mit dieser Raumorganisation, den Wohnbereich gut zu belichten und gleichzeitig vor Einblicken der Nachbarschaft zu schützen. Ich bin ziemlich beeindruckt, wie viel Privatsphäre das Wohnhaus im Innenhof zu bieten hat.

1. Obergeschoss Hofbebauung Thiersteinerallee © Luca Selva Architekten

1. Obergeschoss Hofbebauung Thiersteinerallee © Luca Selva Architekten

Ganz anders verhält es sich bei den privaten Rückzugsräumen. Die beiden kleinen Schlafzimmer sind zur Strassenzeile hin orientiert und wirken aufgrund der Nähe den gegenüberliegenden Balkonen etwas ausgeliefert. Die raumhohen Fenster sorgen zwar für viel Licht, tragen aber wenig zur Privatsphäre bei. Positiv fällt auf, dass das Badezimmer direkt an der Fassade liegt und natürlich belüftet werden kann. Schade aber, dass die durchlaufende Streckmetallfassade nur wenig Licht durchscheinen lässt. Hinzu kommen Details wie eine zu niedrig montierte Halterung für die Duschbrause, welche das Duschen für grossgewachsene Menschen zur kleinen Herausforderung macht. 

Hofbebauung Thiersteinerallee © Armin Schärer / Architektur Basel

Der Wohnbereich orientiert sich zur Brandmauer und ist weitgehend vor Einblicken geschützt © Armin Schärer / Architektur Basel

Bei der Materialwahl sticht sofort die Holzdecke in Lärchenholz ins Auge, welche optisch identisch wie der Parkettboden, ebenfalls in Lärchenholz, gewählt wurde und ins Bewusstsein ruft, dass wir uns hier in einem Holzbau befinden. Stellenweise verliert man aber schon beinahe das Gefühl für oben und unten. Die weissen Wände wirken zwischen diesen beiden Holzschichten fast schon erfrischend neutral. Die dunkelroten Küchen sorgen zudem für einen Farbakzent.

Der Zugang zur zweiten Wohnung befindet sich ebenfalls im 1. Obergeschoss und führt über eine private Treppe direkt in den Wohnbereich. Die Raumorganisation ist ähnlich wie in der ersten Wohnung, jedoch thront an der Stelle des darunter liegenden Essbereichs nun eine grosszügige Dachterrasse. Mit eigenem Wasseranschluss ausgestattet, dürfte diese das absolute Highlight des urban farming-begeisterten Bewohners darstellen. Die sonst überall spürbare Enge, welche die Hofbebauung umgibt, löst sich hier zum ersten Mal komplett auf.

Hofbebauung Thiersteinerallee © Armin Schärer / Architektur Basel

Hofbebauung Thiersteinerallee © Armin Schärer / Architektur Basel

Ich beende den Rundgang mit einem Blick in den Keller, wo sich die üblichen Kellerräume, Haustechnik und Waschräume befinden. Insgesamt ist der erste Eindruck des Neubaus sehr überzeugend. Vor allem räumlich schaffen die Architekten ein ausgewogenes Spiel aus Grosszügigkeit in den Wohnungen und spürbarer aber gleichwohl nicht drückender Enge im Aussenbereich. Die Wohnungen verfügen trotz der dicht angrenzenden Nachbarschaft über ein angenehmes Mass an Privatsphäre. Es braucht wahrscheinlich ein gewisses Mass an Toleranz für eben solche Nähe seitens der Bewohner, da diese auch charakteristisch für eine solche Hofbebauung und deren räumliche Dichte ist.

Ob der Neubau eines ganzen Hauses für nur zwei Wohneinheiten einen substantiellen Beitrag zur Lösung der Wohnungsfrage und aktuelle Themen der Nachhaltigkeit darstellt, sei dahingestellt. Mit einem Mietpreis von über 3’000 CHF für die knapp 100 m2 grossen Wohneinheiten sind diese zudem den «Gutverdienern» vorbehalten. Mit der Holzbauweise wurde hingegen auf Fragen der Ökologie reagiert. Dabei darf die Metallfassade in Kupfer durchaus kritisch befragt werden. Die Räume welche im und um das Haus entstehen bringen eine Spannung mit sich, welche durch eine Holzfassade vielleicht noch stärker hätte wahrgenommen werden können, ohne den Blick am Ausdruck des Gesamtbaus zu verlieren.

Trotz einigen diskussionwürdigen Punkten bildet der Hofbau an der Thiersteinerallee einen gelungenen Beitrag zum räumlichen Umgang in knapp bemessenen Hofsituationen. Der neu geschaffene räumliche Reichtum im Hinterhof an der Thiersteinerallee ist beeindruckend. So geht Architektur.

Text: Daniel Gass / Architektur Basel
Fotografie: © Armin Schärer / Architektur Basel

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