“Der Baloise Park ist unglaublich provinziell”

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Die Basler Künstlerin Alvara Dalbeloch hat mit ihren teilweise apokalyptischen Fotomontagen schon einige Male für Aufmerksamkeit gesorgt: Sei es vom ausgetrockneten Rhein oder vom untergegangenen Basel, wo lediglich die Türme der Roche aus dem Meeresspiegel herausragen. Im Interview erzählt Dalbeloch von ihrem Blick auf die Basler Architektur und ihrem neuen Buchprojekt «Delirious Basel.»

Hurra, die Welt geht unter! © Alvara Dalbeloch

Architektur Basel: Nach einem längeren Auslandaufenthalt in Los Angeles sind Sie soeben ans Rheinknie zurückgekehrt. Wie fühlt sich Basel an?
Alvara Dalbeloch: “Es ist eigenartig. Ich habe immer noch Heimweh, obwohl ich ja jetzt zurück bin. Als wäre das eine Krankheit, die einer gewissen Genesungszeit bedarf. Wenn Sie meine Gefühle ansprechen: In Basel herrscht eine eigenartige Spannungslosigkeit, als würde man auf den letzten Zug warten, obwohl man weiss, dass er längst abgefahren ist.”

Das tönt eher pessimistisch. Wie erleben Sie das aktuelle Architekturschaffen in Basel?
«Da ist viel Selbstgefälligkeit. Als ich aus dem Bahnhof SBB trat, erblickte ich erstmals den fertiggestellten Baloise Park. Oje, eine Basler Europaallee en miniature, wo sogar der Schütte brav auf einem Sockel bei Fuss stehen muss, dachte ich. Diese Bänkli, Pflastersteine und das biedere Arkädeli beim Hochhaus mit einem Balusträdli und Sunneschirmli obendrauf, das ist alles unglaublich provinziell. Immerhin bringt der eingeklemmte Betonolgiati ein bisschen Widerborstigkeit. Das gefällt mir. Die Ecke mit dem grossen, einbetonierten Lüftungsauslässen ist der stärkste Moment der ganzen Überbauung. Viel spannender finde hingegen ich das Meret Oppenheim Hochhaus…»

King Kong zu Gast im Gundeli © Alvara Dalbeloch

Ausgerechnet das MOH! Das wird in den Kommentarspalten bei uns auf Social Media regelmässig mit Schimpf und Schande bedacht. Was finden Sie daran spannend? 
«Gute Architektur soll herausfordern, irritieren, vielleicht sogar provozieren. Genau das tut das Hochhaus! Ganz im Sinne von Meret Oppenheim, die für mich schon immer eine grosse Inspiration war. Das wichtigste am Leben ist die Veränderung. Das unreflektierte Reproduzieren eines Kanons hat die Kultur nie weitergebracht.»

“Für mich ist Basel das kleine Gallierdorf unter den Global Cities.”

Und dennoch sind für eine Gesellschaft Grundwerte und Konventionen von grosser Bedeutung.
“Ja, ja, das mag sein, aber wenn das Konventionelle zur Konvention wird, finde ich das schwierig. Für mich ist Basel das kleine Gallierdorf unter den Global Cities. Wir sind zwar weltoffen und profitieren von der Globalisierung, wollen aber dennoch unsere Eigenheiten und unsere Unabhängigkeit bewahren.”

Zurück zur Architektur: Welcher Neubau in Basel – abgesehen vom MOH – hat sie positiv überrascht?
“Die beiden Wohnhäuser von Atelier Abraha Achermann auf der Erlenmatt Ost gefallen mir gut. Der Dialog zwischen industrieller Rohheit und guten Proportionen finde ich wirklich gelungen. Natürlich kann man das als “Aufputz-Romantik” abtun, aber die unverkrampfte Direktheit und bewusste Imperfektion finde ich entlarvend für die konstruktive Bünzligkeit der Schweizer Architektur im Allgemeinen.”

“Vor lauter Angst vor einem Bauschaden wird alles doppelt und dreifach genäht. Patina – oder noch schlimmer: Verwitterung – sind unerwünscht!”

RCH TWR 3/4 © Alvara Dalbeloch

Konstruktive Bünzligkeit?
“Oft sehen Details wie gebaute SIA-Normkataloge aus. Da wird nichts dem Zufall überlassen. Vor lauter Angst vor einem Bauschaden wird alles doppelt und dreifach genäht. Patina – oder noch schlimmer: Verwitterung – sind unerwünscht! Doch was gibt es schöneres als die Flechten auf dem Betonfaltwerk der Maurerhalle bei der Gewerbeschule im Kleinbasel? Das dürfte man heute so sicher nicht mehr bauen, da würden zwanzig Zentimeter Dämmung und fünf Lagen Abdichtung draufgeklebt – und beim Eingang dafür Stolz die Minergie-Plakette mit einem solarbetriebenen LED-Spot beleuchtet. Ist das Architektur?”

Das müssen Sie uns sagen. Woher kommt eigentlich Ihre Leidenschaft für die Architektur?
“Meine Grosstante war Architektin. Sie war viele Jahre angestellt in den in einem grossen Büro in Lausanne. In ihrer Generation war die “Madame architecte” noch keine Selbstverständlichkeit. Sie hat mich inspiriert. Sie war eine starke Persönlichkeit. Ich habe nach der Matura selbst zwei Semester Architektur studiert, dann aber abgebrochen. Architekten geben gute Politiker, die ihre Ideen mit voller Überzeugung verkaufen müssen. Immer diese Suche nach Klarheit, Ehrlichkeit und Stringenz, dieses Fountainhead-Ideal à la Howard Roark. Jeder Entscheid muss einer übergeordneten Idee entspringen. Das fand ich anstrengend. Zweifel und Widersprüche hatten keinen Platz. Das hat mich frustriert. Ich mag das Subversive, Undefinierte, Fluide, Offene.”

“Damals war Basel ein Brennpunkt in Sachen Architektur und Kunst. Da gibt es viele spannende Bezüge, Verflechtungen und Geschichten, die ich in Anlehnung an Koolhaas` grossartiges Manifest für Manhattan nacherzähle.”

Delirious Basel: Ein retrofiktives Manifest © Alvara Dalbeloch

Sie arbeiten gerade an einem Buchprojekt namens “Delirious Basel”. Die Referenz an Rem Koohaas ist offensichtlich. Was hat es damit auf sich?
“Das wird ein retrofiktives Manifest für die Architekturstadt Basel. Ich begebe mich darin zurück in die 1970er und 1980er-Jahre, wo in Basel der Grundstein für den späteren Ruf als anerkannte Architekturstadt gelegt wurde. Wichtige Akteure sind Carl Fingerhuth, Ulrike Jehle-Schulte Strathaus, Michael Alder, die jungen Herzog & de Meuron und Roger Diener. Damals war Basel ein Brennpunkt in Sachen Architektur und Kunst. Da gibt es viele spannende Bezüge, Verflechtungen und Geschichten, die ich in Anlehnung an Koolhaas` grossartiges Manifest für Manhattan nacherzähle.”

Da treten Sie in grosse Fussstapfen.
“Ich habe Schuhgrösse 44. Insofern mache ich mir da keine Sorgen.”

Und weshalb nennen Sie das Manifest retrofiktiv?
“Das ganze ist als Erzählung angelegt. Es ist nicht mein Ziel, eine wissenschaftliche Arbeit zu schreiben. Das überlasse ich den Kunsthistorikerinnen. Mein Buch soll Platz für Unschärfen, Anekdoten, Nebengeräusche und Interpretationen haben.”

Inwiefern ist ihr retrofiktiver Rückblick für die Gegenwart relevant?
“Immer die Frage nach der Relevanz. Die kann ich nicht mehr hören. Hören Sie! Wenn mich ein Thema interessiert, ist es relevant. Punkt.”

Wir sind gespannt. Danke für das Gespräch.


Interview: Lukas Gruntz / Architektur Basel

Alvara Dalbeloch (Jahrgang 1988) heisst mit bürgelichem Namen Ida Sarasin. Sie ist in Basel aufgewachsen und hat hier die Schule absolviert. Nach zwei Semestern Architekturstudium, entschied Sie sich, Künstlerin zu werden. Sie studierte an Hochschulen in Berlin, Teheran und Portland. Heute arbeitet Sarasin als Künstlerin in Basel und Los Angeles.

 

 

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