«Ein lebendiges Quartierzentrum»: der Baselbieter Heimatschutz zeichnet die Neugestaltung des Mischeli-Areals in Reinach aus

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«Wenn die Kirche nicht ins Dorf will, muss das Dorf zur Kirche» – am vergangenen Freitag hat der Baselbieter Heimatschutz die Neugestaltung des Areals rund um die reformierte Kirche in Reinach ausgezeichnet. Stump & Schibli Architekten BSA haben den Neubau des Kirchgemeindehauses geplant. Wir haben uns die Situation genauer angeschaut.

Kirche und Kirchgemeindezentrum, Mischeli-Areal Reinach © Tom Bisig

Kirche und Kirchgemeindezentrum, Mischeli-Areal Reinach © Tom Bisig

Die reformierte Kirche von Ernst Gisel zählt mitunter zu den wichtigsten modernen Kirchenbauten im Landkanton – zusammen etwa mit der Bruderklauskirche von Fritz Metzger in Liestal oder dem Kirchenbau von Hermann Baur in Birsfelden. Im Gegensatz zur «Mischeli»-Kirche in Reinach sind letztere in Birsfelden 1959 und Liestal 1961 in direkter Nachbarschaft zu bereits bestehenden Gebäuden oder Strukturen erstellt worden. Die reformierte Kirche in Reinach stand zusammen mit dem ersten Kirchgemeindehaus und dem sieben Jahre später errichteten Pfarrhaus nach der Fertigstellung 1963 praktisch alleine auf weiter Flur.

Kirche im Dorf oder ausserhalb?
Oft stehen Kirchen im Baselbiet ausserhalb des Dorfes oder weisen einen vorgelagerten «Grüngürtel», einen Friedhof oder den Pfarrgarten auf. Manchmal zementierten die Kirchen ihre Wichtigkeit auch mit einer umlaufenden Mauer. Das vermutlich schönste und am vollständigsten erhaltene Beispiel einer solchen sakral-ländlichen Architektur ist das Pfarrei-Ensemble in Oltingen (um 1474), bestehend aus Kirche, Pfarrhaus und Pfarrscheune – alles innerhalb einer Umfassungsmauer. Die Anlage befindet sich nicht direkt im Dorfzentrum, sondern ausserhalb zum Feld. Bei der Kirche gibt es heute ein Museum. Tatsächlich in der Mitte des Dorfes steht die Wehrkirche St. Arbogast in Muttenz. Diese bildet nicht nur in ihrer ursprünglichen Anordnung innerhalb der Wehrmauer eine Einheit, sondern auch mit ihrer jüngeren Nachbarschaft, etwa dem Gemeindezentrum Mittenza von 1970 der Architekten Rolf Keller und Fritz Schwarz.

Mischeli-Areal in Reinach: Situation mit Wegnetz © Stump & Schibli Architekten BSA

Mischeli-Areal in Reinach: Situation mit Wegnetz © Stump & Schibli Architekten BSA

Verschiedene Nutzungen im Zentrum
Diese An- und Einbindung ins nachbarschaftliche Quartier- und Dorfgeschehen blieb der reformierten Kirche in Reinach bisher verwehrt. Einzig die Architekten Ulrich Löw und Theodor Manz bauten kurz vorher 1960 die Atriumsiedlung «in den Gartenhöfen» in nächster Nachbarschaft. 1971 schliesslich wurde vis-à-vis der Kirche das Einkaufszentrum Mischeli eröffnet. In jüngster Zeit litt das Gebäude unter ausbleibender Kundschaft und an Altersbeschwerden. Gleichzeitig wurde der Kirchgemeinde das bestehende Kirchgemeindehaus zu klein. Offensichtlich hatten mehrere Parteien Interesse an einer Revitalisierung der Zone hinzu einem Quartiermittelpunkt. Genau dies sei nun geschehen, lobt der Baselbieter Heimatschutz: «wenn die Kirche nicht ins Dorf will, muss das Dorf zur Kirche!» Zum Wettbewerbsprogramm gehörte auch der Neubau von Alterswohnungen. Diese sind nun im östlichen Teil der Parzelle in Form von zwei Solitären erstellt worden. Der Heimatschutz lobt die nun klare Einbindung der Kirche ins Dorf, hätten sich doch die in den Jahren nach dem Bau der Kirche errichteten Gebäude nicht um ihr Umfeld gekümmert. Einen «unstrukturierten Häuserteppich» etwa, nannte der Heimatschutz die  «ziellose Bebauung» und bewertet die «belanglosen Scheiben- und Punkthochhäuser» als problematisch.

Neubau Kirchgemeindezentrum, rechts Seniorenwohnungen, Mischeli-Areal Reinach © Tom Bisig

Neubau Kirchgemeindezentrum, rechts Seniorenwohnungen, Mischeli-Areal Reinach © Tom Bisig

Heimatschutz würdigt Zusammenarbeit
Die Kirchgemeinde setzte sich bereits 1992 mit den Betreibern des Einkaufszentrums und der Gemeinde an den Tisch. Zusammen wurde die neue Anlage entwickelt. Herausgekommen ist 2013 ein belebter Kirchplatz, ein Kirchgemeindezentrum mit Café und ein Grünraum mit Spielplatz als Erholungsraum. Das Wegenetz wurde im Hinblick auf die beiden Solitäre mit den Alterswohnungen weiter vergrössert. Das neue Kirchgemeindehaus von Stump & Schibli Architekten nimmt die Haltung der Kirche auf und verwandelt die Kraft des Sichtbetons in eine leichte im Erdgeschoss zu grossen Teilen verglaste Fassade. Das Café orientiert sich zum Platz hin und fungiert als Bindeglied zwischen dem aufgefrischten Einkaufszentrum und der Kirche. Eine lockere Gestaltung mit grünen Inseln nimmt dem Platz die Härte.

Das neue Kirchgemeindehaus und die bestehende Kirche in Sichtkontakt, Mischeli-Areal Reinach © Tom Bisig

Das neue Kirchgemeindehaus und die bestehende Kirche in Sichtkontakt, Mischeli-Areal Reinach © Tom Bisig

Funktioniert die Anlage?
Wir haben uns die Situation angeschaut. Bereits am Vormittag wird der Platz rege zum Spielen genutzt. Besuchende des Einkaufszentrums überqueren die verkehrsberuhigte Quartierstrasse zwischen Einkaufszentrum und Kirche. Der Platz wird als Traverse genutzt, alle paar Minuten verlässt oder betritt jemand das Café.

Die vom Heimatschutz gelobte «heterogene Struktur» scheint, was die Anordnung des neuen Kirchgemeindehauses und die Platzgestaltung betrifft, gelungen. Zu den beiden Neubauten mit den 28 Seniorenwohnungen äussert sich der Heimatschutz allerdings nicht. Diese stehen nicht direkt bei der Kirche, sondern auf der «Rückseite» des Kirchgemeindehauses, gehören aber dennoch zum Areal. Die Erdgeschosse der Wohnhäuser interagieren leider nicht mit der Umgebung, obwohl man sich dies an einer zentralen Lage eigentlich wünschen würde. Das ist schade. Die beiden Häuser tun das, was der Heimatschutz an der bebauten Umgebung eigentlich bemängelt hat: sie stehen etwas für sich selbst. Die Grundrisse der Seniorenwohnungen sind ungerichtet organisiert, wenden sich also allen Seiten gleichermassen zu. Die neuen Wege über die Parzelle dienen einzig der Erschliessung der beiden Wohnhäuser; etwa eine Anbindung an das Kirchgemeindezentrum gibt es leider nicht. Obwohl das Kirchgemeindehaus durch diese Haltung eine eindeutige Vor- und Rückseite erhält, ist dies zu seinem Nachteil; es beginnt etwas in der Situation zu schwimmen. Vielleicht ist dies durch die Architekten aber auch gewollt, schliesslich wäre eine Haltung vertretbar, wonach in einen grünen Park eben auch Gebäude gehören, die einen solchen bedingen.

Die Seniorenwohnungen auf der «grünen Wiese», Mischeli-Areal Reinach © Tom Bisig

Die Seniorenwohnungen auf der «grünen Wiese», Mischeli-Areal Reinach © Tom Bisig

Die Setzung der beiden Wohnhäuser ist an dieser zentralen Lage, die man nun geschaffen hat, unserer Meinung nach nicht optimal, ebenso die Wegführung zur Querung. Die Revitalisierung des Kirchplatzes allerdings funktioniert bestens, sowohl architektonisch als auch sozial. Das Quartier hat ein Zentrum erhalten, das auch tatsächlich als Mittelpunkt wahrgenommen werden dürfte. Gratulation zur Auszeichnung!
Das Kirchgemeindehaus werden wir zu einem späteren Zeitpunkt detaillierter betrachten.

Text: Simon Heiniger / Architektur Basel


Fotos: © Tom Bisig
Pläne: © Stump & Schibli Architekten BSA

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