Eine Ode auf Basel

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Eine Kleinbasler Milieustudie

Basel ist eine Stadt, die willkommen heisst. Dank ihrer geographischen Lage am Rheinknie scheint hier im Sommer die Sonne vehement. Ihre Halsschlagader brachte 1896 die Chemieindustrie und heute Expats aus aller Welt an ihr Ufer. Am Rhein findet das soziale Leben statt und beweist die Vielfältigkeit der Bewohner. Begonnen mit den kleinen Fischerhäuschen zwischen Kraftwerk und Tinquely Museum, wo sich vereinzelt Forschende an den stellenweise unterbrochenen Fusswegen und halbprivaten Böschungen entlang schleichen. Wir begeben uns auf eine Kleinbasler Milieustudie.

Botta’s Nadelöhr © Miriam Stierle / Architektur Basel

Am offiziellen Schwimmereinstieg tummelt es sich gewaltig und man läuft Gefahr, Zeuge oder Opfer eines Unfalls zwischen dem über Pflastersteine stolpernden Rollschuhfahrer und dem mit zwei Kleinkindern beladenen elektronisch betriebenen Lastenvelo zu werden. Weiter entlang der Roche-Promenade im Slalom zwischen allem was Räder und Beine hat, gelangt man zum berühmten „Blütlerstrand“. Er beginnt unterhalb des ersten Treppenabgangs gegenüber der edelsten Tennisplätze der Stadt. Am Fusse eines ehemals eleganten Garderobenhäuschens, heute leider eher Pissecke und reicht gute zehn bis zwanzig Meter, je nach Hoch(Mut) der Blütler. Eine Schnittstelle zwischen dem Raum der Bekleideten und Unbekleideten stellt eine Betonrampe, ohne Absturzsicherung versteht sich, entlang des Ufers dar. Auf ihr dürfen beide Gruppen sehen und gesehen werden. Die Jahres- und Tageszeit haben jedoch starken Einfluss auf Milieu und Praktiken, weswegen ihre Benutzung nicht immerzu empfohlen wird.

Roche Promenade unter Platanen © Miriam Stierle / Architektur Basel

Ein Stück weiter rheinabwärts erfährt der übliche Betonsteg eine räumliche Ausweitung über die angeschütteten Kiesstrände mit zusammengelegten Felsgruppen auf denen sich die Möwen oder BaslerInnen sonnen, meditieren oder „yogisieren“. Die Illusion eines Strandes zieht Familien an. Die Stimmung ist freundschaftlich, feuchtfröhlich und frischverliebt. Musik wird höchstens halblaut abgespielt und das Bild ist geprägt von Picknick, Badekleid und Sonnencreme. Nach weiteren hundert Metern erreichen wir die Unterführung der städtischen Wettsteinbrücke. Unter wie über ihr regiert die Funktion. Oben Autos, Velos im abschüssig beschleunigten Geschwindigkeitsrausch sowie Berufspendler auf Trottinettes. Unten das Müllfahrzeug, die Bioabfallsammelstelle und das Stadt-WC. Doch unter dieser Schmuddelschleuse müssen alle durch. Wenigstens gibt es wechselnde Kunstplakate an der Tunnelwand und es hallt schön, wenn man singt. Auf der anderen Seite der ersten Schleuse angekommen, beginnt gefühlt die Altstadt, denn man läuft nun auf Kopfsteinpflaster, was gewissermassen ein Indiz für das Alter unserer Städte ist (siehe: Benedikt Loderer in Stadtwanderers Störsender). Und hier fallen einem zum ersten Mal die Touristen auf. Reisende im Schlendergang aus fernen oder nahen Gefilden, gemeinsam haben sie nur das fehlende Schweizerdeutsch.

Der Achtarmige © Miriam Stierle / Architektur Basel

So weit so gut, am ersten gebürtigen efeubewachsenen Basler Häuserbrunnen vorbei, mögen einem Bootshäuser und altertümliche Wassergefährte ins Auge fallen. In diesem Abschnitt knechten sich zur Freude der Touristen mehrheitlich junge Vereinsmitglieder zur Wahrung der Tradition. Auch wenn die Gelenke darunter leiden mögen, ein fröhliches Schauspiel und freundschaftliches Kräftemessen ist es allemal. Hat man Glück, kommt man einige Meter weiter in den Genuss einem der besten Cappuccinos der Stadt am Kaffeewägeli des Unternehmen Mitte. Hier Klappliegestühle und eine bunte Mischung aus allem was hip ist – oder sich dafür hält. Von jungen lässigen Eltern über den in seiner Lektüre versunkenen Single bis hin zu tätowierten GastrobetreiberInnen ist alles dabei. Ab hier bleiben die Touris keinesfalls aus. Ein Stückchen weiter tun sich die Rheinufer-Profiteure auf. Verkauft werden Wickelfische und Gasparini-Glacé zu überhöhten Preisen. Doch wen stört das schon,wenn die Sonne scheint und das kühle Nass lockt?

Zwischen den Welten © Miriam Stierle / Architektur Basel

Am Tintenfisch vorbei, beginnen sich die ersten Pelz- und Sonnenbrillentragenden in die Wege zu mischen. Ihren Höhepunkt erlangt die Spezies spätestens vor dem Viersterne Boutique Stadthotel Krafft. Hier trifft sich das (neu-)reiche Publikum auf ein Gläschen Champagner oder ein Rindstartar. Hier gilt erneut „sehen und gesehen werden“, jedoch diesmal keinesfalls nackt, sondern in bester Schale. Mit einem Aceroglacé in der Hand schafft man es dann mit geschlossenen Nasenflügeln unter der prominenten Mittleren Brücke hindurch. Auf der Rückseite spielt eine andere Musik und zwar Reggaeton, EDM und Trap. Hier wird getanzt, gefeiert und gelebt. Auf den Grünstreifen zwischen Velo- und Fussgängerweg sitzen Familien und Freunde zusammen auf Campingstühlen im Schatten und grillieren. Vorbei an kiffenden Jugendlichen und Nicht-so-Jugendlichen mit genau so lauten Musikboxen aber deutlich anderem Musikgeschmack erreichen wir den Vorplatz der Kaserne. Auf der Kiesfläche spielen die immer gleichen Älteren Boule, in der Hand ein Gläschen Wein ohne die geringste Einbusse der Präzission. Zuschauer gibt es zu Hauf und sich die Bäuche füllende Schwimmer ebenfalls, denn die erste anzutreffende Buvette ist beliebt und fest an ihrem Ort des Rhyschänzli verankert. Ab jetzt folgen sie jedoch in fast regelmässigen Abständen aufeinander. Zuerst Flora dann Fauna, ich meine Oetlinger und zuletzt Dreirosen. Danach beginnt ein anderes Territorium..

© Miriam Stierle / Architektur Basel

Aber jetzt sind wir erst mal hier und geniessen die durchmischten Menschenmassen. Es präsentiert sich, räkelt und spaziert alles was das Herz begehrt. So lässt es sich leben im städtischen Naturfreibad. Kulinarisch verwöhnt, bei guter Laune und im Gespräch vertieft. Zwischendrin Schausteller und Akrobatikkünstler. Sie kündigen das Outdoorgym bei der Dreirosenbrücke an. Hier wird geschwitzt, geflext und gemessen. Zu lauter Musik und oberkörperfrei natürlich, wie sonst? Trotz all der Maskeraden – und das liebe ich am meisten an dieser Stadt – ist sie durchwoben von den leicht Verrückten, Singenden oder Tanzenden, Kostümierten, Eigenständigen, Glaubhaften, Unverstellten und Einzigartigen. Sie haben ihren festen Platz am Rhein und in unserer Stadt.

Text: Miriam Stierle / Architektur Basel

 

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