Scheibler & Villard: «Entwerfen heisst, sich in andere hineinzuversetzen»

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Architektur Basel: Welche Fragen stellt ihr euch beim Entwurf und der Ausführung von Wohnungen? Scheibler & Villard: „Das Entwerfen von immer wieder neuem Wohnraum, bedeutet zugleich sich in andere hineinzuversetzen und ihre Bedürfnisse zu verstehen. Das ist wohl die wichtigste Frage, die wir uns stellen. Die Suche nach einer typologischen Regel inklusive ihrer Ausnahmen – Rhythmus und Takt – ist ebenfalls ein Thema, das uns immer beschäftigt. Ganz wichtig finden wir zudem, dass Architektur etwas Sinnliches in sich trägt. Wir haben bisher noch keinen klassischen Wohnungsbau realisieren können. Mit dem ‹Taubblindenheim Tanne› realisieren wir ein Zuhause für Menschen mit sehr besonderen Bedürfnissen. Der Sinnliche Aspekt bzw. die Sinne haben dort eine integrale Bedeutung für die Orientierung der Bewohner im Haus. Da werden unsere architektonischen Absichten immer wieder auf die Probe gestellt.“

Wie entwickelt sich Basel aus eurer Sicht? Speziell in Bezug auf den Wohnungsbau…
„In unserer Wahrnehmung findet die Stadtentwicklung eher punktuell statt. So haben wir das Gefühl die Entwicklungen findet in der Peripherie statt. Was in Basel fast ganz fehlt, ist der offene Wettbewerb. Der Wohnungsbau an der Maiengasse vor einigen Jahren ist ein tolles Beispiel. Das ausgewählte und realisierte Projekt ist von herausragender Qualität. Wie gesagt, die Stadt braucht mehr offene Wettbewerbe, besonders im Wohnungsbau. So könnten vielfältigere Vorschläge erprobt werden. In Zürich gibt es sehr viele Genossenschaften, die aktiv Wohnraum erstellen. Wir möchten die Basler Genossenschaften dazu ermutigen, aktiver zu werden. So könnten sich gemeinsame Interessen durchsetzen. Wenn wir uns aktiver am Basler Wohnungsbau beteiligen, wird sich die Stadt positiv entwickeln. Davon sind wir überzeugt.“

Ihr sprecht die Genossenschaften an – welche Ziele verfolgt ihr, gemeinsam mit den Architekten ‹Baumann Lukas Architektur›, der Bauherrschaft ‹Wohnen und Mehr› und den zukünftigen Nutzern ‹LENA›, auf dem neuen Westfeld Areal?
„Die Genossenschaft LENA, das sind echte Visionäre, die denken wirklich nachhaltig. Sie ordnen ihre eigenen Bedürfnisse neu, für die Gemeinschaft. Es geht nicht darum, nebst dem eigenen Wohnraum noch zusätzliche Fläche für die Gemeinschaft zu generieren, sondern bei sich selbst zu reduzieren. Roger Portmann (Anm. der Red.: Vorstand LENA) hat einmal bei einer Sitzung den passenden Leitsatz «Lieber zusammen geniessen, als alleine verzichten» erwähnt.

Das macht dieses Projekt so spannend, weil LENA immer wieder neue Fragen aufwirft. Eine davon ist zum Beispiel, ob eine voll ausgestattete Küche in jeder Wohnung sinnvoll ist? Sollte nicht eine gemeinsame ‹Grossküche› angestrebt werden? In der momentanen Phase werden viele Visionen formuliert und so sind wir gespannt, ob diese so gebaut und auch genauso interpretiert werden wie jetzt im Prozess.

Vor allem LENA, aber auch wir selbst, ermutigen uns immer wieder die allgemeinen Normen und Konventionen zu hinterfragen. Dies insbesondere in Bezug auf die individuellen Bedürfnisse – bis hin zur Entwicklung einer neuen kollektiven Wohnform. Nun haben wir das Glück und die Bereitschaft von beiden Seiten – der Bauherrschaft (wohnen & mehr) und den zukünftigen Nutzern (LENA) – für Experimente offen zu sein. Blinder Wohnungsbau, sprich ohne Bauherrschaft, kann gut für die Architektur und allenfalls befreiend für den Arbeitsprozess sein, doch wir nutzen hier lieber die Chance für spannende, anregende Gespräche mit den künftigen Bewohnern.“

Westfeld Wohnhaus-Lena | Entwurfsskizze | Basel | 2018 © Baumann Scheibler Villard

Westfeld: Wohnhaus-Lena | Entwurfsskizze | Basel | 2018 © Baumann Scheibler Villard

Gibt es eine – vielleicht auch utopische – Wohnform, die ihr gerne der Basler Bevölkerung näher bringen möchtet?

„Eine schwierige, aber spannende Frage! Zumal wir noch keinen klassischen Wohnungsbau ausgeführt haben. Der Baustein 2 auf dem Areal Westfeld wird unser erstes Projekt mit dieser Aufgabe sein.
Die «Bestellungen» an Architekten werden oft à la mode formuliert. Der Wohnungsmix bildet in erster Linie das ab, was sich gut vermarkten lässt: Die 3.5-Zimmer-Wohnung als Allrounder, erschwingliche 4.5-Zimmer-Wohnungen für junge Familien kommen immer gut an und dann noch die Kleinwohnungen für Singles oder Paare – und für die Älteren. Man kann sich vorstellen, wer sich da angesprochen fühlt und wer nicht … Der Wohnungsmarkt bildet in unseren Augen nicht die demografische Entwicklung der Gesellschaft ab.

Der Wohnungsmarkt sollte alle ansprechen und das zu jeder Zeit, so dass sich alle Generationen integriert und angesprochen fühlen. Betagtenheime sind keine allgemeingültige Lösung und all zu oft mit einem ‹Stempel› versehen, was zu Ab- oder Ausgrenzung führt. Wohnraum für Generationen im mobilen Alter sollten vielmehr als Teil der Stadt und des Lebens verstanden werden. Basel sollte sich eine gute Mischung an Wohnungen aneignen. Wir sind für mehr Gemeinschaft. Das heisst nicht dass wir WG’s wollen, sondern dass wir mehr Durchmischung von Generationen innerhalb von Nachbarschaften für Sinnvoll erachten. Das funktioniert nur, wenn ein auch genügend privater Rückzugsort vorhanden ist und dieses Gleichgewicht ist eine Herausforderung. Vielleicht würden mehr Wettbewerbe und entsprechend formulierte Wettbewerbsprogramme die Chance bieten, mehr neue Wohnformen zu finden. Nicht nur die Architekten, sondern vor allem die Besteller sind darum gefordert. Die Diskussion mit der Bevölkerung könnte damit angeregt – und damit die individuellen Wohnbedürfnisse besser berücksichtigt werden können.“

Wir bedanken uns bei Maya Scheibler und Sylvain Villard für das spannende Gespräch und wünschen weiterhin viel Energie und Freude an der Recherche von ’neuen Wohnformen›.

Interview: Mireille Hohlbaum / Archtektur Basel

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