Liberalisierung, Renditegedanken und Lichteinfallswinkel

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Basel soll dichter werden. Das sagt das eidgenössische Raumplanungsgesetz. Der Regierungsrat will «die Ziele des Bundes unterstützen und den Wohnungsbau im Zentrum der Agglomeration weiter erleichtern.» Er hat auch konkrete Vorstellungen, wie das gehen soll: «Die Anpassungen sehen unter anderem eine Vereinfachung und Liberalisierung beim Lichteinfallswinkel sowie der Blockrandtiefe vor.» Was auf den ersten Blick durchaus sympathisch klingt, sorgt in Architekturkreisen für Kritik. Der Bund Schweizer Architekten (BSA) schreibt in einer Medienmitteilung: «Die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen tragen allerdings kaum oder nur unzureichend zur gewünschten inneren Verdichtung bei.» Im Gespräch mit Architektur Basel äussert auch die junge Basler Architektin Martina Löw Zweifel am Vorhaben des Kantons – und kritisiert gleichzeitig den BSA.

Im Kleinbasel: Blockrand im Basler Stadtmodell © Lukas Gruntz / Architektur Basel

Zu kompliziert?
«Ich erachte die neuen Gesetze als zu kompliziert und auch für die Behörden als mühsam prüfbar», sagt Löw, die bei der Sachgruppe Stadtentwicklung und Verkehr der SP Basel-Stadt aktiv ist. Es stelle sich die Frage, welche Anpassungen zu optimalen Resultaten führen würden. «Aus meiner Sicht sollte das Ziel sein, Aufstockungen und Verdichtungen im Bestand zu fördern, sowie das Klima in Blockrandgebieten zu verbessern.» Der BSA geht einen Schritt weiter und fordert, dass «Beschränkungen durch den Lichteinfallswinkel und die Freifläche aufgehoben werden.» Es solle nur noch das Profil der Bauzone für einen Neubau massgebend sein.

Heterogenität im Gundeli: Blockrand im Basler Stadtmodell © Lukas Gruntz / Architektur Basel

Renditegedanken und Ausnahmen
Der Architektenverband möchte, dass mehr Neubauten realisiert werden können: «Grundsätzlich sollte ein Baugesetz Neubauten, die entsprechend bereits bestehender Bebauungen geplant sind, zulassen, da sonst ungeeignete Gebäude zwangsläufig auf immer erhalten bleiben.» Architektin Martina Löw sieht diese Forderung des BSA kritisch. Sie befürchtet, dass dadurch mitunter günstiger Wohnraum in Altbauten unter Druck gerate: «Was ist mit ‘ungeeignet’ gemeint? Hier scheint der Renditegedanke im Vordergrund zu sein.» Tatsächlich könnten dadurch bestehende Häuserzeilen – beispielsweise aus der Gründerzeit – unter Verdichtungsdruck geraten. Der BSA schlägt ausserdem vor, dass künftig wieder Ausnahmeregelungen möglich sind: «Die Praxis zeigt, dass oft Situationen entstehen, in denen mit der bestehenden Regelung keine gute Lösung gefunden werden kann. Es sollte in allen Belangen die Möglichkeit geschaffen werden, zu Gunsten von besseren Lösungen Ausnahmen zu gewähren. Dies war früher so und hatte sich über lange Zeit bewährt. Die Kompetenz dazu könnte bei der Stadtbildkommission liegen. Allfällig entstehende Mehrnutzungen könnten über die Mehrwertabgabe abgegolten werden.» Nachdem die Stadtbildkommission vergangenes Jahr vom Grossen Rat degradiert wurde, bräuchte es dazu jedoch erst ein politisches Umdenken. BSA-Obmann Simon Frommenwiler erklärt auf Rückfrage von Architektur Basel: «Früher konnte über Ausnahmen der Kantonsarchitekt entscheiden. Das hat viele gute Bauten in Basel ermöglicht. Heute bräuchte es wohl eine anderes Gremium, um das zu entscheiden.»

Im Klybeck: Blockrand im Basler Stadtmodell © Lukas Gruntz / Architektur Basel

Liberalisierung zu Gunsten der Verdichtung
Die Liberalisierung sieht – vereinfacht gesagt – folgendes vor: Die Bauten der Blockränder sollen höher und tiefer werden, wohingegen im Innenhof künftig weniger gebaut werden könnte. «Durch die vorgeschlagenen, weitreichenden Einschränkungen werden bestehende grössere Hofbebauungen zwangsläufig erhalten und können nicht sinnvoll ersetzt werden», kritisiert der BSA diese Vorgabe. Architektin Löw skizziert hingegen einen intelligenten, neuen Vorschlag: «Man könnte die bestehenden Hofbebauungen als geltende Baufelder ausscheiden, und einen gleichdimensionierten Ersatzneubau zulassen, sofern die Flachdächer intensiv begrünt werden.» Das tönt vernünftig und sollte vom Grossen Rat bedacht werden.

An der Solothurnerstrasse: Blockrand im Basler Stadtmodell © Lukas Gruntz / Architektur Basel

Mehr Grün für das Stadtklima
Der Kanton möchte zudem, dass Innenhöfe stärker begrünt werden, was dem Stadtklima zuträglich sei. Der BSA äussert sich dazu skeptisch: «Die beabsichtigte stärkere Durchgrünung der Stadt kann in den Höfen nur in unzureichendem Ausmass umgesetzt werden.» Vielmehr sollten die Strassenräume grüner werden: «Die Klimaveränderung macht eine Neuausrichtung der Strassen weg vom Autoverkehr hin zum Langsamverkehr unumgänglich. Dies ermöglicht weitreichende Baumpflanzungen durch Verengung der Fahrbahnen.» Architektin Martina Löw sieht das anders: «Der Wärmeinseleffekt in Innenhöfen ist ein grosses Problem, sowie die mangelnde Durchlüftung innerhalb der Blockrandstrukturen. Gerade in stark frequentierten, lärmbelasteten Quartieren erfolgt die Nachtauskühlung durch die Innenhöfe. Um die nötige Auskühlung ermöglichen zu können, sind Bäume und unversiegelte Oberflächen notwendig, welche Feuchtigkeit spenden und so die Temperatur drosseln.»

An der Holbeinstrasse: Blockrand im Basler Stadtmodell © Lukas Gruntz / Architektur Basel

Der Ball liegt beim Grossen Rat
Die diversen Kritikpunkte der ArchitektInnen zeigen, dass die geplante Liberalisierung der Blockrandvorschriften (noch) nicht ganz ausgegoren ist. Der BSA unterstütze zwar die vom Kanton verfolgte Strategie der inneren Verdichtung und den nachhaltigen Umgang mit der Ressource Raum, bezweifle jedoch, «ob die in der Gesetzesänderung vorgeschlagenen Massnahmen weitreichend genug sind, um die gewünschte innere Verdichtung zu erzielen.» Löw  fordert ihrerseits: «Es sollen gesetzliche Bedingungen geschaffen werden, die das Bauen mit dem Bestand attraktiver machen.» Das wäre auch ökologisch Sinnvoll. Die Vernehmlassung dauert noch bis am 28. April 2021. Im Anschluss soll die Anpassung des Gesetzes dem Grossen Rat vorgelegt werden. Wir bleiben dran.

Text: Lukas Gruntz / Architektur Basel

 

 

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