Lieber Jacques

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Lieber Jacques,
danke für Deine Nachricht. “Das könnte Dich interessieren”, hast Du mir geschrieben – und auf Deine “Breve Carta a Luis” hingeweisen. Mit wachsendem Interesse folgte ich Deinem schonungslos-ehrlichen Text: “Es ist zu spät, sich erst Gedanken über Nachhaltigkeit zu machen, wenn die Verträge schon unterschrieben sind und das Projekt auf dem Arbeitstisch liegt. Was ist, wenn die Kund:in das Programm und die Grundrisse plötzlich ändern will? Das passiert immer wieder.” Besonders lesenswert sind Deine Denkanstösse zur Ökologie, wobei an der einen oder anderen Stelle Widerspruch angesagt ist. Ich wage deshalb eine kleine Replik.

Steht für eine neue Architektur der Nachhaltigkeit: Das Projekt Hortus in Allschwil © Herzog & de Meuron

“Es ist paradox: Einerseits erleben wir als Architekt:innen einen Bedeutungsverlust, andererseits müssen wir unsere Verantwortung stärker wahrnehmen und in Felder hinein ausdehnen, die uns weniger vertraut sind”, schreibst Du. Der Bedeutungsverlust kommt nicht von ungefähr. Wir haben es jahrzehntelang verpasst, uns politisch stärker einzubringen. Auf meine Frage, ob du dir je überlegt hattest, für ein politisches Amt zu kandidieren, gabst Du mir vor drei Jahren folgende Antwort: „Nein, da wäre ich völlig ungeeignet.“ Ob das zutrifft, weiss ich nicht. Ich stelle die Frage auch regelmässig anderen Kolleg:innen. Die jeweiligen Antworten, weshalb das politische Engagement nicht oder kaum möglich sei, sind meistens nachvollziehbar. Dennoch bleibt unter dem Strich die politische Unterrepräsentation unseres Berufsstands – und damit einhergehend der von Dir erwähnte Bedeutungsverlust. Gerne erinnere ich Dich an unsere Basler Helden, die wirklich radikalen Architekten: Hans Schmidt sass im Grossen Rat. Hans Bernoulli vertrat unseren Kanton gar im Nationalrat. Das waren Zeiten. SIA und BSA sind gefordert, eine Strategie zur stärkeren politischen Partizipation zu erarbeiten – und entsprechende Kandidat:nnen aufzubauen. Die Wirtschaftsverbände der Finanz- oder Versicherungsbranche haben längst vorgemacht, wie das geht. Politischen Einfluss gewinnt man nicht von heute auf morgen.

© Herzog & de Meuron

Dein Brief lässt den Elefanten im Raum unerwähnt: Die Frage des Wachstums. 1970 lebten in Basel fast 240’000 Menschen. Heute sind es – trotz reger Bautätigkeit und vieler neuer Wohnungen – zwanzig Prozent weniger. Wie konnte das passieren? 1972 zeigte der “Club of Rome” mit einer am MIT verfassten Studie die “Grenzen des Wachstums” auf. Nun, fünfzig Jahre später, scheinen wir zu erahnen, was dies bedeuten könnte. Wenn wir Menschen nicht intelligent genug sind, wird die Natur unsere Grenzen in den nächsten Jahrzehnten aufzeigen. Der Schweizer Ökonom Mathias Binswanger nennt es in seinem gleichnamigen Buch den «Wachstumszwang». Die Lektüre kann ich Dir empfehlen. Seine Kernaussage: Unsere Marktwirtschaft muss wachsen, egal ob es ökologisch, sozial oder materiell sinnvoll ist, ansonsten geriete sie in eine unaufhaltsame Abwärtsspirale. Du schreibst von der Notwendigkeit des Bauens mit “schönen, handgemachten Lehmziegelsteinen oder mit rezyklierten, nachwachsenden und natürlichen Materialien.” Das ist mir zu romantisch. Es wird weiterhin Stahl- und Betonbauten brauchen. Die Frage ist nur, wie viele. Oder radikaler gefragt: Sind sie nicht schon alle gebaut? Wir müssen sie lediglich transformieren und neu programmieren. Zur Sinnhaftigkeit von Ersatzneubauten, von Abbruch und Neubau, lese ich in Deinem Brief nichts. Das erstaunt mich. Sollte das Weiterbauen nicht unsere wichtigste, architektonische Prämisse sein? Damit liessen sich sogar die von Dir beschriebenen, scheinbar widersprüchlichen Haltungen Deiner beiden Lehrer an der ETH, Aldo Rossi (“Permanenz”) und Lucius Burckhardt (“Der kleinstmögliche Eingriff”), vereinen – oder nicht?

Ist die konventionelle Stahlbeton-Flachdecke (A) passé? In Anbetracht der ökolgischen Kennwerte ist die Antwort eindeutig © ZPF Ingenieure

“Die Themen zu ökologischer Nachhaltigkeit können mit technischen Mitteln und Materialoptimierung gelöst werden,” schreibst Du. Ist es wirklich so einfach? Deine Argumentation verspricht ein “business as usual” dank technologischem Fortschritt: “Innovation ist gefragt für andere Produktionsmethoden, andere Materialien, andere Energieträger. Innovation, die von der Industrie kommen muss. Mit Druck von der Politik. Von den Menschen. Von den Investor:innen.” Deine Zuversicht ist ansteckend. Dank kluger Innovation schaffen wir es! Gerne würde ich Dir glauben. Mich persönlich treiben die Wogen zwischen Pessimismus und Optimismus hin und her. Oder mit den Worten von Antonio Gramsci: “Was wir brauchen ist Nüchternheit: Einen Pessimismus des Verstandes, einen Optimismus des Willens.” Mein Verstand sagt mir, dass unser Wirtschaftssystem grundlegend reformiert werden muss, damit wir der Klimakrise ernsthaft begegnen können. Das befand der Club of Rome in seinem letzten Bericht im Jahre 2016: “Ein Prozent ist genug. Mit wenig Wachstum soziale Ungleichheit, Arbeitslosigkeit und Klimawandel bekämpfen.” Von dieser Prämisse ist unsere globalisierte, finanzmarktgesteuerte Wirtschaft weit entfernt. “Ein Prozent ist kein Prozent”, sagt der Investor und verwirft die Hände. Ihm geht es um Shareholder Value und den Return on Invest. Das gilt insbesondere für die Schweizer Immobilienwirtschaft, in der übrigens auch viel globales Kapital steckt. Wusstest Du, dass die amerikanische Investmentgesellschaft Blackrock substanzielle Anteile an Swiss prime Site, PSP Swiss Property, Allreal oder Mobimo besitzt? Trotzdem gebe ich Dir recht, dass konkrete Beispiele helfen, einen positiven Wandel zu schaffen. Veränderung beginnt oft im Kleinen. “Mit einem innovativen Investor planen wir einen Bürobau mit robotisch produzierter Decke aus Lehm und Holz. Eines unserer wichtigsten aktuellen Projekte! Dieser Bau wird uns dabei helfen, auch andere Investmentfirmen zu überzeugen, neue, heute noch ungewohnte Wege zu gehen, um nachhaltiges Bauen zu fördern”, schreibst Du. Das stimmt. Umso dringender brauchen wir ein zweites, drittes und viertes Hortus-Projekt. Was Dein Büro in Allschwil betreibt, ist echte Recherche, die mich inspiriert – und unsere Bauwirtschaft inhaltlich weiterbringt. Ich wage Dich zu fragen: Wieso ist eine ähnliche Recherche beim zweiten Roche-Turm nicht gelungen? Ein klimaneutrales Nettonull-Hochhaus wünsche ich mir von Herzog & de Meuron. Das fände ich eine grossartige Innovation. Wäre das nicht ein Thema für das “Rooseli”, Euer Projekt für den Rosentalturm?

Blick in den Hof: Fassadenbegrünung als architektonisches Thema © Herzog & de Meuron

Du folgerst: “Der entscheidende Beitrag zum ökologischen Bauen müssen aber wir Architekt:innen durch die konkrete Arbeit an unserer Architektur, durch unsere eigene Kreativität leisten.” Jawoll. Und durch unser politisches Engagement. Wir müssen genauso an der Veränderung der massgebenden, gesetzlichen Rahmenbedingungen arbeiten. Nur auf unsere Kreativität – und das baukulturelle Verständnis der Investor:innen – zu vertrauen, wird nicht reichen. Kennst Du den Verein Countdown 2030? Dessen Engagement für ein Umdenken in der Baupraxis sensibilisiert über Architekturkreise hinaus Menschen für nachhaltige Lösungsansätze. Vor Kurzem haben sie in Bern eine Petition mit zehntausend Unterschriften eingereicht. Das finde ich super. Du schreibst weiter: “Letztlich werden wir als Architekt:innen in dieser veränderten Welt nur relevant bleiben, wenn wir die Probleme der Gesellschaft erkennen und mit unserer Kreativität einen Unterschied zur gängigen Praxis machen. Wir werden ausserdem nur relevant bleiben, wenn wir die Menschen emotional berühren. Architektur kann das. Manchmal entsteht dabei sogar Schönheit.” Das stimmt! Architektonische Schönheit ist das beste Argument pro Nachhaltigkeit. Niemand würde es beispielsweise wagen, das Bernoulli-Silo im Hafen abzureissen. Ein wunderschöner Bau, oder?

Wie dem auch sei: Die Lektüre Deines Texts werde ich meinen Kolleginnen und Kollegen wärmstens empfehlen. Danke für den Denkanstoss in bewegten Zeiten. Wir sehen uns bald. Alli alles gäh, für Rot und Blau. Am 13. Februar diskutieren wir im Didi Offensiv Euer Projekt “Stadion+”. Bis dahin wünsche ich Dir eine gute Zeit und verbleibe mit

lieben Grüssen
Lukas


Basel, im Januar 2023
Text: Lukas Gruntz / Architektur Basel

 

 

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