Lukas Baumann: «Grenzen wecken Experimentierfreude und die Lust, Dinge auf eine andere Art zu lösen»

0

Kennst du das Gefühl, wenn die Sonne scheint, es ist Feierabend und du entdeckst völlig unerwartet etwas Wunderschönes? Donnerstag, 18:00 Uhr. Wir stehen vor dem unscheinbaren Hauseingangstor an der Haltingerstrasse 40 und klingeln. Man bittet uns, durch den Eingangsbereich des Hauses in den Innenhof zu kommen. Eine unerwartete Oase eröffnet sich uns. Vor uns das Architekturbüro in einer alten, zweigeschossigen Schreinerei, umgeben von Grün. Oben an der alten und steilen Metalltreppe steht er: Jung, mit langem Bart und modischer Designerbrille, empfängt uns Lukas Baumann zum Gespräch über das heutige Berufsbild der Architektur.

«Die Wertschätzung der Materialien und ihr sinnvoller Einsatz. Diese Erkenntnis ist wichtig.»

© Lukas Baumann, Basel

Zuhören, recherchieren, lernen
In der Lehre zum Hochbauzeichner wurde Lukas Baumann schon viel grundlegendes Wissen über die Architektur mit auf den Weg gegeben. Er lernte durch vertiefte Unterhaltungen am Arbeitsplatz, Bücher, die ihm geschenkt wurden, und Besichtigungen. Seine Faszination und sein riesiges Interesse am Recherchieren, Ausprobieren und Lernen von Neuem erweiterte sich in der Praktikumszeit bei Herzog & de Meuron.

Dabei wurde für Lukas Baumann unter anderem diese eine Frage wichtig: Wie können wir den Bestand wiederverwenden und ergänzen? «Stellt euch vor: Ein Gebäude, gebaut im Jahr 1341. Um es damals zu erstellen, wurden Bäume benötigt, die bereits um die 100 Jahre gelebt hatten, bevor man sie fällen konnte. Mit diesen Baumstämmen wurde ein Haus errichtet, welches bis heute, 700 Jahre später, steht. Wenn wir also dieses Objekt vor dem Verfall bewahren können oder sogar noch weitere 100 Jahre hinzufügen können… viel nachhaltiger kann man fast nicht sein», erklärt uns Lukas Baumann.

Eine Geschichte erzählen und weiterschreiben
Das Ferienhaus Tannen im Kanton Schwyz ist nur eines von vielen Beispielen, welche die Absichten von Lukas Baumann verdeutlichen. Die Auseinandersetzung damit, wie man mit dem Bestand umgeht, wie man Materialien wiederverwenden und ergänzen kann, so dass ein Gebäude für den weiteren Zyklus bereit ist, sei zentral. «Der Erhalt eines Gebäudes ist nicht nur im ökologischen Sinne nachhaltig, sondern auch in einem gesellschaftlichen Sinn. Denn diese Häuser haben ganz viel Geschichte und Erinnerungen. Sie verfügen über eine Identität!»

«Wenn mein Fahrrad einen Platten hat, entsorge ich es ja auch nicht gleich!»

© Lukas Baumann, Basel

Je älter man wird und je mehr Erfahrung man hat, desto öfter geht man der Vernunft nach oder wählt den einfacheren, scheinbar korrekten Weg. Lukas Baumann ist es deshalb wichtig, sich immer zuerst mit den verschiedenen Möglichkeiten auseinanderzusetzten und die Lust am Erkunden nicht zu verlieren. Der spielerische Umgang mit dem Entdecken und Entwickeln wird immer wichtig bleiben. Durch eine tiefe Auseinandersetzung erlangt man auch immer ein enormes Wissen.

Eintauchen, ausprobieren und manchmal scheitern
«Wir versuchen auch immer wieder an Grenzen zu gehen. Uns in ein Thema zu verbeissen und es mit Leidenschaft zu verfolgen. Wie bei der Sanierung des Theaters Basel. Dort haben wir versucht, den Bestand der Gasbetonsteine zu erweitern, statt eine günstigere Alternative zu verbauen. Wenn auch ohne Erfolg – wir konnten diese Idee nicht umsetzen.» Dies veranschaulicht einmal mehr die Haltung des Büros Baumann Lukas Architektur.

«Je tiefer man im Projekt ist, desto näher kommt es an unser Berufsbild heran.»

© Lukas Baumann

Viele Berufskolleginnen und -kollegen aus seiner Generation würden vermehrt Verantwortung abgeben, meint Lukas Baumann. Sie lagern Bauleitung und Kostenplanung aus. Die experimentellen Ansätze gehen in einem System verloren, wo bei jedem Baufehler sofort die schuldige Person gesucht wird. Dieser Entwicklung gelte es zu trotzen: «So gesehen sind wir vielleicht ein eher altmodisch denkendes Büro. Wir wollen die Bauleitung machen, wir wollen die Kosten planen und die Kontrolle übers Projekt haben.» Dies wird bei der heutigen Kooperation mit Spezialistinnen und Spezialisten nicht gerade einfacher. Denn dafür brauche es nicht nur eine ähnliche Architektursprache, sondern auch eine ähnliche Denkweise. Lukas Baumann ist es wichtig, den persönlichen Bezug zum Projekt nicht zu verlieren und Verantwortung zu übernehmen. Dies habe viele Vorteile und bringe auch viele schöne Momente im Bauprozess mit sich.

«Diese Nervosität bei kleinen Projekten, wenn man auch die Kostenplanung selbst gemacht hat.»

Den Hebel ansetzen und Einfluss nehmen
«Schlussendlich», meint Lukas Baumann, «müssen wir Architektinnen und Architekten uns getrauen Verantwortung zu übernehmen, wissensdurstig zu sein und mit dem Wandel mitzugehen.» So sei es während dem Studium wichtig «sich diese Vorträge und Architekturbesichtigung reinzuziehen», sich für vieles zu interessieren und das Modellbauen zu geniessen, solange noch Zeit dafür da ist. Auch nach dem Studium empfiehlt uns Lukas Baumann dringend, zuerst Erfahrungen in Architekturbüros zu sammeln, bevor man einen Wettbewerb gewinnt, den man dann aber nicht umsetzen kann. Dazu gehöre auch, sich der Verantwortung für die ökologische und soziologische Nachhaltigkeit bewusst zu werden. «In diesem Bereich können wir einen grossen Hebel betätigen.» Lukas’ Appell an uns: «Weniger Neubauten – mehr Umbauten!»

Text: Joao Pedro Rodrigues und Luca Peter


Dieser Text entstand am Institut Architektur FHNW im Frühlingssemester 2020, im Rahmen der Lehrveranstaltung in Sozialwissenschaften zum Thema «The Image of the Architect». Auf der Suche nach neuen Berufsbildern.

 

Comments are closed.