Ozeanium-Architekt Roger Boltshauser im Interview: «Früher war ich ein begeisterter Mittelmeer-Schnorchler»

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Das geplante Ozeanium in Basel polarisiert. Die Gegner aus Tierschutzkreisen ziehen mit wehenden Fahnen und lautstarken Parolen – „nur die Freiheit ist Artgerecht“ – in den Abstimmungskampf. Bei all dem Getöse wurden die städtebaulichen und architektonischen Fragen in den Hintergrund gedrängt, obwohl die Basler Wahlberechtigen am 19. Mai im Grunde über die baugesetzlichen Rahmenbedingungen des Bebauungsplans abstimmen.

Grundriss Ozeanium Basel © Boltshauser Architekten

Grundrisse des Ozeaniums in Basel © Boltshauser Architekten

Politisch wird das Projekt in Basel insbesondere von der grünen Partei bekämpft. Ozeanium-Architekt Roger Boltshauser ist seinerseits seit zehn Jahren Mitglied bei den Grünen. Wie kein zweiter untersucht er mit seinen Bauten ökologische Fragestellungen. Grund genug mit Boltshauser  über das Ozeanium zu sprechen: Über die Faszination der Unterwasserwelt, den heutigen Unort Heuwaage oder innovativen Lehmbau.

Ozeanium Basel © nightnurse images

Blick in das geplante Ozeanium Basel © nightnurse images

Architektur Basel: Beginnen wir mit einer persönlichen Frage: Was ist Ihr Bezug zur Unterwasserwelt der Ozeane?

Roger Boltshauser: «Früher war ich ein begeisterter Mittelmeer-Schnorchler, heute sind es meine Kinder, die diesem Hobby frönen. Gemeinsam haben wir in den letzten Jahren einige Ozeanien besucht und waren begeistert von der imposanten Unterwasserwelt. Umso mehr beschäftigt uns die enorme Verschmutzung der Weltmeere; riesige Inseln aus Plastikmüll treiben in ihnen, das Ökosystem der Weltmeere scheint zunehmend in Gefahr zu sein. Ozeanien bringen den Menschen die Unterwasserwelt nahe und machen ganz direkt verständlich, was für ein wundervolles Ökosystem wir zu zerstören drohen.»

«Mich beschäftigt die enorme Verschmutzung der Weltmeere. Riesige Inseln aus Plastikmüll treiben in ihnen.»

Ein kleines Stück dieser Meereswelt soll mit dem Ozeanium an die Basler Heuwaage gebracht werden. Welche städtebaulichen Überlegungen waren für Sie dabei von Bedeutung?

«Unser Baukörper fügt sich aufgrund seiner Höhe behutsam in den Kontext ein. Das neue Ozeanium nimmt dabei Bezug auf die benachbarten Bauten und Traufhöhen. Der Baukörper reagiert allseitig unterschiedlich zur Nachbarschaft, beispielsweise wird zur Heuwaage die Fassade leicht konkav formuliert, wodurch der Platz besser gefasst wird und für die Besucher eine klare Adresse geschaffen wird.»

Ozeanium Basel © nightnurse images

Durchwegbares Haus: Der Zugang des Ozeaniums liegt in einer gedeckten Passage © nightnurse images

Wie zeigt sich das konkret?

«Wichtig ist das offen formulierte Erdgeschoss des neuen Ozeaniums, das durchwegbar ist und von der Heuwaage her einen Durchblick in Richtung Altstadt zulässt. Die städtebauliche Qualität überzeugte bereits im Wettbewerb die Fachjury, dies auch deshalb, weil ein grosser Teil der Aquarien in den Untergeschossen zu liegen kommt und der oberirdische Baukörper dem Kontext entsprechend moderat ausgefallen ist.»

Situationsplan © Boltshauser Architekten

Das Ozeanium als Auftakt zum Zolli © Boltshauser Architekten

Trotzdem: Wie kann es gelingen, den heutigen Unort Heuwaage lebenswerter zu machen?

«Die Heuwaage wird durch den Neubau des Ozeaniums räumlich neu gegliedert. Das Ozeanium bildet dann den Auftakt zum Zolli. Durch das öffentlich genutzte Erdgeschoss mit Café-Bar sowie Info- und Ticketschalter wird die Heuwaage als Ort neu belebt und gewinnt an Aufenthaltsqualität. Das Ozeanium wird zum öffentlichen Dreh- und Angelpunkt. Für Besucher wie auch für die Passanten entsteht ein urbaner, grüner Ort zwischen Zolli und Altstadt.»

Lehmmodell des Ozeaniums © Boltshauser Architekten

Lehmmodell des Ozeaniums © Boltshauser Architekten

Das Ozeanium soll als grosser Lehmbau in Erscheinung treten. Mal abgesehen von den visuellen Qualitäten, welche Potentiale bietet eine Lehmfassade?

«Die Stampflehmmauern sollen unter Verwendung des vorhandenen Aushubmaterials erstellt werden. Die Festigkeit der Wände entsteht durch Verdichtung und Verzahnung des im Aushub vorhandenen Steinmaterials mit dem darin enthaltenen Lehm. Lehmmauern sind deshalb in der Grauenergiebilanz besonders vorteilhaft und sparen gegenüber einer Betonfassade ein Viertel der Treibhausgase ein. Bei den Innenwänden aus Stampflehm beträgt der Treibhausgasausstoss (CO2-Äquivalente) sogar nur gerade 15 Prozent einer Betonwand.

«Der Zolli Basel ist Vorreiter in der Realisierung von Lehmbauten, schon das Etoschahaus wurde vor achtzehn Jahren in Stampflehm errichtet.»

Der Zolli Basel ist Vorreiter in der Realisierung von Lehmbauten, schon das Etoschahaus wurde vor achtzehn Jahren in Stampflehm errichtet. Die Wiederverwendung von Aushubmaterial im Bauprozess ist heute an der ETH Zürich und an der EPFL Lausanne ein grosses Forschungsthema. Es ist bekannt, dass die Zementindustrie nach alternativen und wesentlich nachhaltigeren Baustoffen sucht, um in der Zukunft den CO2-Bedarf erheblich reduzieren zu können. Die Verwendung von Lehm ist eine mögliche zukunftsorientierte Antwort. Und zu allerletzt möchte ich es nicht missen, Ihnen von ganz besonderen Bewohnern des Ozeaniums zu erzählen, nämlich den Mauerseglern, welche in den in die Fassade eingebauten Nistkästen ein Zuhause finden.»

Stampflehm als ökologischer Baustoff © Boltshauser Architekten

Stampflehm als ökologischer Baustoff © Boltshauser Architekten

Wir sprechen insbesondere in Bezug auf die Aquarien auch von einem Hightech-Gebäude. Wie gehen Sie als Architekt mit diesem Spannungsfeld um? Die Fassade zeugt ja eher vom Wunsch nach archaischem Lowtech…

«Genau in diesem Spannungsfeld bewegen wir uns immer. Ein Ozeanium lässt sich nicht gänzlich ohne Energie betreiben. Dennoch versuchen wir zusammen mit dem Zolli Basel den Energieaufwand auf ein Minimum zu reduzieren. Das heisst, eine maximale Low-Support-Strategie zu fahren. Der hohe Anteil an Lehmbauteilen wirkt sich nicht nur positiv auf die Grauenergiebilanz aus, sondern erhöht auch die Behaglichkeit der Innenräume, insbesondere durch die natürliche Regulierung der Innenraumfeuchtigkeit, die bei einem Ozeanium beträchtlich ist. Somit kann bei Lüftungsanlagen erheblich Energie gespart werden.

«Zusätzlich wird das Wasser der Aquarien aufgrund der intelligenten Wasseraufbereitungsanlagen nur ein Mal jährlich gewechselt … der grösste Wasserverbraucher im Betrieb wird das Restaurant sein!» 

Des Weiteren soll in die Lehmfassade ein neues Free Cooling System eingesetzt werden, welches eine spezifische Neuentwicklung von unserem Team für das Ozeanium in Basel ist. Ausserdem trägt der Zolli Basel mit seinen Bemühungen, den CO2 Bedarf kontinuierlich zu reduzieren, zur Energiereduktion bei. Insbesondere möchte der Zolli keine „Clearwater Aquarien“ realisieren, sondern leicht trüberes Wasser – wie es in den Weltmeeren oft der Fall ist – in Kauf nehmen, was die Pumpenleistungen für die Aquarien erheblich reduziert und damit enorm Energie gespart werden kann.»

Ozeanium Basel © nightnurse images

Ozeanium Basel © nightnurse images

Wie sieht es in Sachen Wasserverbrauch aus?

«Das Wasser der Aquarien wird aufgrund der intelligenten Wasseraufbereitungsanlagen nur ein Mal jährlich gewechselt, was zu einem enorm geringeren Wasserverbrauch führt; der grösste Wasserverbraucher im Betrieb wird das Restaurant sein! Neben den bekannten Systemen wie beispielsweise Photovoltaikelemente auf dem Dach und weiteren Massnahmen zur Energieoptimierung und den oben genannten Innovationen, gehen wir heute davon aus, dass das neue Ozeanium in Basel 30 bis 40% besser ist in der Energiebilanz als jedes bis jetzt weltweit gebaute Ozeanium.»

Warm- und Kaltwasserbedarf © Boltshauser Architekten

Warm- und Kaltwasserbedarf © Boltshauser Architekten

Lehmbauten haben in Basel, aber auch schweizweit, bisher Seltenheitswert. Ihr Büro ist bekannt für seine Recherche nach unkonventionellen Bauweisen. Beeindruckend ist beispielsweise Ihre Studie für ein Stahl-Lehm-Gebäude in Rapperswil. Inwiefern hat beim Ozeanium die geplante Konstruktion experimentellen Charakter?

«Mit unserer Publikation „Pisé. Tradition und Potential“, welche ich mit der Unterstützung der EPF Lausanne publizieren konnte, wird klar, dass auch die Schweiz eine lange Tradition im Lehmbau hat, allerdings eine, die fast in Vergessenheit geraten ist. Im Potentialsteil des Buches gehen wir auch auf die Innovation der Fassade des Ozeaniums in Basel ein.»

Innovation klingt immer gut. Aber was genau sollen wir uns darunter vorstellen?

«Vor rund drei Jahren ist ein drei Meter hohes Mock-up im Zolli Basel erstellt worden, wo das neue Free Cooling System in einer Lehmwand erfolgreich getestet wird. Die erwähnte Innovation des Free Cooling Systems nutzt das enorme Speicherpotenzial des Erdmaterials, um nachhaltige Energie für die Heizung und Kühlung des Ozeaniums aus der Aussenlufttemperatur zu gewinnen. Eingelegte Leitungsregister in der Lehmfassade machen eine Kälte- und Wärmerückgewinnung möglich, welche durch ein Kreislaufsystem zur Regulierung der Wassertemperatur in den Aquarien genutzt wird. Über die Kühlenergie, die die Fassade spendet, stehen die Fische in direktem Kontakt zur Aussenhülle, was für uns eine ungemein spannende und sinnstiftende Idee und zugleich eine Weltneuheit zum Thema Nachhaltigkeit darstellt.»

Mock-Up der künftigen Ozeanium-Fassade © Kuster Frey Fotografie

Mock-Up der Ozeanium-Fassade © Kuster Frey Fotografie

Wie begegneten Sie bei der Projektierung der allgegenwärtigen Frage der Nachhaltigkeit? Oder umgekehrt gefragt: Kann ein Ozeanium überhaupt nachhaltig sein?

«Wir arbeiten seit dem Wettbewerbsgewinn 2012 kontinuierlich am Ziel, den Energiebedarf zu minimieren. Und es zahlt sich aus: Bis heute wurde bereits eine Reduktion des Energiebedarfs von mehr als einem Drittel erreicht, weitere rund 15 Prozent bis zum Baubeginn streben wir an. Dieser Erfolg war nur möglich dank innovativer Ideen und Beharrlichkeit und Fachwissen bei der Weiterentwicklung der genannten Strategien. Neue Konzepte wie das der „Freien Kühlung“ dienen gleichzeitig auch der Forschung, welche diese in Zusammenarbeit mit der ETH Zürich und EPF Lausanne dann auch am fertigen Projekt weiterführen und daraus wichtige Erkenntnisse für den Lehmbau und das nachhaltige Bauen im Generellen gewinnen kann.»

«Im Gegensatz zu den meisten Museen und Theatern wird das Ozeanium von verschiedenen Generationen und Gesellschaftsschichten besucht.»

Ein nachhaltiges Gebäude also…

«Ja, das Ozeanium wird definitiv ein nachhaltiges Gebäude sein, sowohl architektonisch, technisch wie auch in seiner Nutzung. Denn die soziale Nachhaltigkeit ist bemerkenswert: Im Gegensatz zu den meisten Museen und Theatern wird das Ozeanium von verschiedenen Generationen und Gesellschaftsschichten besucht. Eine Investition in die Bildung ist eine Investition in die Zukunft und eine Bildungsstätte, wie es das Ozeanium über mehrere Geschosse auch ist, damit das Nachhaltigste, was wir kreieren können.»

Energiebedarf im Vergleich © Boltshauser Architekten

Energiebedarf im Vergleich © Boltshauser Architekten

Wir befinden uns mitten in einem, mitunter aggressiv geführten, Abstimmungskampf. Es dürfte ein knappes Rennen werden. Jede Stimme zählt. Mit welchem Argument überzeugen Sie die architektur-affine, ökologisch-sensible WählerIn?

«Das Ozeanium bildet einen nachhaltigen Baustein des Zolli Basels im Streben nach einem grösseren Bewusstsein und Einsatz für Umweltschutz, gleichzeitig aber auch einen haptischen Baustein im Stadtgefüge Basels, welcher die Heuwaage mit Aufenthaltsqualitäten belebt und sie zum Begegnungsort für alle Generationen werden lässt.»

Herzlichen Dank Roger Boltshauser für das ausführliche Interview. Mit Spannung erwarten wir den Ausgang der Abstimmung. Allen Wahlberechtigten raten wir: Geht abstimmen!

Interview: Lukas Gruntz / Architektur Basel


Roger Boltshauser leitet seit 1996 das Architekturbüro Boltshauser Architekten AG in Zürich. Neben seiner Bürotätigkeit engagiert sich Roger Boltshauser in der Lehre, ist Mitglied des Baukollegiums der Stadt Zürich und Verwaltungsratsmitglied der Schweizer Baumuster-Centrale Zürich. Er war bereits als Dozent an der HTW Chur, der Hochschule Anhalt Dessau am Chur Institute of Architecture CIA, der EPFL Lausanne sowie der TU München tätig. Seit 2018 ist er Gastdozent an der ETH Zürich.

Roger Boltshauser im Portrait © Michael Artur Koenig

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