Rebecca Kunz: „Basel ist immer in Bewegung“ – Monatsinterview #4

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Im vierten und letzten Teil des Monatsinterviews mit der Künstlerin Rebecca Kunz sprechen wir über das Thema, das uns am nächsten liegt: Basel. Kunz hat hier studiert und gearbeitet. Sie schätzt die Dynamik der Stadt: «Menschen ziehen hierher – und dann irgendwann auch wieder weg. Basel ist immer in Bewegung.“ Zudem sei der ökonomische Druck, beispielsweise in Bezug auf Atelierräume, kleiner als in anderen Schweizer Städten. Ein Gespräch über Zwischennutzungen, interdisziplinäre Arbeit, Missverständnisse, Emotionen und Renditehäuschen.

Lukas Gruntz (Architktur Basel): In Basel spielt Kunst und Architektur schon seit langem eine bedeutende Rolle. War das mitunter ein Grund für dich, um nach Basel zu ziehen?
Rebecca Kunz: „Basel ist eine lebendige Stadt mitunter auch im Vergleich zu Bern. Hier gibt es extrem viele Kulturschaffende und KünstlerInnen. Ich mag die Durchmischung. Menschen ziehen hierher – und dann irgendwann auch wieder weg. Basel ist immer in Bewegung.“

Und wie sind die Rahmenbedingungen für die Kunst beziehungsweise für dich als Künstlerin?
„In Basel ist man gut bedient. Die Schule zieht unter anderem auch wegen Chus Martinez viele internationale KünstlerInnen an. Es gibt viele Offspaces, viel Kultur und Kunst. Es ist ziemlich international. Das ist auf jeden Fall positiv für die Kunst. Ausserdem sind die vielen Zwischennutzungen eine gute Sache. Das gibt es in Zürich oder Genf weniger. Dass ich hier in dieser Halle mein Atelierplatz für wenig Geld nutzen kann, das wäre in mancher Schweizer Stadt nicht möglich. Hier gibt es mehr Spielraum, um zu arbeiten, um zu leben. Ich hoffe, das bleibt noch eine Weile so.“

Architektur Basel im Gespräch mit Rebecca Kunz © Armin Schärer / Architektur Basel

Ausserdem lebt Basel auch von der speziellen Situation an der Grenze zu Frankreich und Deutschland.
„Ich kenne viele KünstlerInnen die ihr Atelier direkt hinter der Grenze haben, weil es dort günstiger ist.“

Die Transformationsareale Klybeck, Lysbüchel oder Wolf, bieten viel Potential mitunter auch für Zwischennutzungen. Solltest du als Künstlerin dich bei diesem Prozess nicht einbringen?
„Ja das stimmt. Ich war bisher immer in der glücklichen Situation, dass ich in Basel relativ schnell Atelierräume in Zwischennutzungen finden konnte. Dies wird sich aber sicherlich irgendwann ändern und spätestens dann wird es notwendig sein sich einzubringen.“

Wenn wir über Stadtentwicklung, insbesondere bei Arealen, die bereits bebaut sind, sprechen, geht es ja vor allem darum, räumliche Potentiale zu erkennen. Dazu wärst du eigentlich prädestiniert.
„Ja das würde ich liebend gerne tun. Ich hätte schon Ideen!“

«Manchmal habe ich das Gefühl, dass man gezwungen wird, sich für eine Profession zu entscheiden. Sonst wird man nicht ernst genommen. Früher haben ja viele Architekten auch Grafik oder Möbeldesign gemacht.»

Lukas Gruntz: «Es gab Zeiten in Basel, wo zwischen Künstlern und Architekten ein intensiver Austausch bestand … Täuscht mich der Eindruck, dass dieser Austausch in unserer Generation nur bedingt stattfindet?» © Armin Schärer / Architektur Basel

Es gab Zeiten in Basel, wo zwischen Künstlern und Architekten ein intensiver Austausch bestand. Ich denke an Hermann Baur und Jean Arp, Diener & Diener mit Helmut Federle oder Herzog & de Meuron mit Remy Zaugg, um nur ein paar wenige Beispiele zu nennt. Täuscht mich der Eindruck, dass dieser Austausch in unserer Generation nur bedingt stattfindet?
„Ich denke nicht. Es fehlt der offene Umgang mit interdisziplinärer Arbeit, beispielsweise wenn ich auch Grafik oder Innenarchitektur mache. Manchmal habe ich das Gefühl, dass man gezwungen wird, sich für eine Profession zu entscheiden. Sonst wird man nicht ernst genommen. Früher haben ja viele Architekten auch Grafik oder Möbeldesign gemacht. Ich glaube es gibt viel Unsicherheit. Man spricht wahrscheinlich auch nicht dieselbe Sprache. Das kann für Missverständnisse sorgen.“

Die fehlende gemeinsame Sprache ist ein guter Punkt. Ich hab das bemerkt, als ich mit dir über deine Kunstwerke sprach. Das fehlten mir oft die Wörter. Ich fühlte mich unsicher.
„Mir geht es genau so, wenn ich über Architektur spreche. Ich habe ja kein fundiertes Wissen über Architektur. Mich würde es schon interessieren, wie ihr ArchitektInnen uns KünstlerInnen sieht.“

«Emotionen werden immer noch oft mit Unprofessionalität in Verbindung gebracht oder dem Rationalen untergeordnet. Dabei geht doch beides Hand in Hand.»

Architektur Basel im Gespräch mit Rebecca Kunz © Armin Schärer / Architektur Basel

Eine gemeinsamen Nenner sehe ich in der Wahrnehmung von Räumen, Farben, Materialen et cetera. Das interessiert uns beide. Bei der Kunst gesellt sich vielleicht stärker als bei der Architektur eine emotionale Komponente hinzu. Nach meiner Auffassung regen gute Kunstwerke unsere Emotionen an. Das können durchaus auch negative Gefühle sein. Mag sein, dass das eine etwas banale Betrachtung ist, aber ich mag es beispielsweise nicht, wenn mir ein Kunstwerk erklärt werden muss.
„Ich auch nicht. Kunst darf auch nerven. Hauptsache es regt etwas an oder löst eine Diskussion aus.“

Eine Schwierigkeit besteht letztlich darin, über Emotionen zu sprechen, die ja naturgemäss bedingt rational sind.
„Im Studium hatte ich den Eindruck, dass ich auf keinen Fall über Gefühle sprechen durfte. Eine künstlerische Arbeit sollte in sich logisch sein und das Sprechen und Erklären schien manchmal fast wichtiger als das Werk und seine Wirkung an sich. Emotionen werden immer noch oft mit Unprofessionalität in Verbindung gebracht oder dem Rationalen untergeordnet. Dabei geht doch beides Hand in Hand. Nach dem Studium muss man sich unbedingt wieder ein Stück weit davon befreien. Aber zurück zum Dialog zwischen Kunst und Architektur: Vielleicht gibt es im Alltag schlicht zu wenig Berührungspunkte. Ich frage mich manchmal, wie offen Architekten für Ideen von aussen sind.“

Architektur Basel im Gespräch mit Rebecca Kunz © Armin Schärer / Architektur Basel

Eine Krux bei uns ArchitektInnen ist, dass wir alle unglaublich beschäftigt sind. Derzeit wird so viel gebaut. Ausserdem ist das Bauen komplexer geworden, aufgrund energetischer Themen, Brandschutz und so weiter. Manchmal denke ich, uns fehlt schlicht die Zeit und Energie, um uns auch noch proaktiv um den Dialog mit KünstlerInnen zu bemühen, was aber extrem schade ist. Die Zeit für die grundsätzlichen Fragen der Architektur, Raum und Form, ist leider knapp.
„Du meinst so ein bisschen wie im Spital, wo die ÄrztInnen gar keine Zeit mehr haben, um mit den Patienten wirklich zu reden, sondern vor allem mit dem Schreiben von Berichten und administrativen Dingen beschäftigt sind? Das Wesentliche gerät aus dem Fokus.“

Ja. Meinrad Morger hat uns im Interview erzählt, wie wichtig und inspirierend für ihn in den 1980er-Jahren die Kunstszene in Basel war. Es gab damals einen intensiven Austausch zwischen KünstlerInnen und ArchitektInnen. Er meinte, für ihn als Architekten sei es damals extrem befreiend gewesen, als Jaques Herzog als Künstler in der Filiale ausgestellt hatte. Da wären wir wieder beim Rollendenken beziehungsweise dem Ausloten der Grenzen der eigenen Disziplin.
„Ich habe jetzt beispielsweise ein Innenarchitekturprojekt, wo ich einen Architekten beigezogen habe, der mich bei technischen Aspekten unterstützt. Ich fände es natürlich schon toll, wenn ich auch mal von Architekturbüros angefragt würde, wobei man das nicht forcieren kann – ausgenommen beim Thema Kunst und Bau.“

Vielleicht besteht auf Architektenseite eine gewisse Angst vor einem Deutungsverlust, wenn da jemand kommt, der gewisse Dinge in Frage stellt.
„Ich denke, dass ArchitektInnen, die sich auf die Zusammenarbeit mit KünstlerInnen einlassen, genug offen, professionell und selbstbewusst sind und keine Angst vor einem Deutungsverlust haben müssen. Und bei allen anderen stehen, wie du sagst, wahrscheinlich die ökonomischen Aspekte im Vordergrund.“

Wir sind oftmals stark mit dem Lösen von technischen Aspekten – Haustechnik, Brandschutz, Akustik – beschäftigt, dass jede weitere Komplizierung vermieden wird. Wobei die stärkere Zusammenarbeit mit KünstlerInnen den Entwurfsprozess in jedem Fall verkompliziert…
„Ich fände einen Austausch total gut und das gemeinsame Erarbeiten eines Entwurfs sowieso. Vielleicht wäre es ja weniger kompliziert, als man denkt. Man müsste es einfach ausprobieren. Zum Beispiel im Rahmen eines Wettbewerbs. Ich wäre sofort dabei. Ich würde eine inhaltliche Diskussion begrüssen.“

Architektur Basel im Gespräch mit Rebecca Kunz © Armin Schärer / Architektur Basel

Was für Formate oder Orte bräuchte es für einen stärkeren Austausch?
„Das versuchen die Hochschulen ja teilweise mit interdisziplinärem Unterricht. Ich bin da eher skeptisch. Das muss aus einem Eigeninteresse heraus entstehen. Ich glaube nicht unbedingt an institutionalisierte Gefässe. Ein konkreter Anlass wäre besser, beispielsweise in Form einer Zusammenarbeit an einem konkreten Projekt.“

Ich hätte an gemeinsame Besichtigungen von Bauten gedacht. Nehmen wir als fiktives Beispiel das neuste Bauwerk von Buchner Bründler. Mich würde da interessieren, was du über den skulptural-geformten Beton in Kombination mit den Eichenfenstern denkst. Deine schonungslose, ehrliche Meinung.
„Ja warum nicht? Lass uns das machen! Das wäre auch umgekehrt spannend… Ich lade dich in meine neuste Ausstellung ein und du musst dich einfach mal aufs Glatteis wagen und mir ganz direkt sagen, was das mit dir macht und in dir auslöst. Man könnte so viel voneinander lernen.“

Zurück zur Architekturkritik: Banale, lieblose Bauten sind ein Problem, das wir gerade in Zeiten der Hochkonjunktur vielerorts beobachten. Da werden Dinge ohne Haltung, Idee und Inspiration hingestellt, die dann 50 oder 100 Jahre existieren.
„Ja, all die Renditehäuschen, die da gebaut werden. Ich war mal in der Situation, dass ich ein Musterhaus hätte einrichten sollen. Das war wie ein Käfig mit winzig kleinen Fenstern. Ich hab mich aufgeregt. Was sollte ich da noch machen? Ich konnte doch nicht einfach ein paar Designer-Möbel hinstellen und alles würde gut. So funktioniert das nicht.“

«Es geht sicher auch um Unsicherheit. Die eigenen Gedanken laut auszusprechen braucht Mut. Auch meine Aussagen hier in diesem Interview: In ein, zwei Jahren stehe ich an einem anderen Punkt und würde dir höchstwahrscheinlich andere Antworten geben. Das Interview bleibt aber vielleicht im Netzt oder in den Köpfen der LeserInnen. Das haftet mir dann an!»

Architektur Basel im Gespräch mit Rebecca Kunz © Armin Schärer / Architektur Basel

Ich stelle fest, dass in unserer Kultur, egal ob Kunst oder Architektur, das öffentliche Anbringen von Kritik nicht sehr verbreitet ist.
„Es geht sicher auch um Unsicherheit. Die eigenen Gedanken laut auszusprechen braucht Mut. Auch meine Aussagen hier in diesem Interview: In ein, zwei Jahren stehe ich an einem anderen Punkt und würde dir höchstwahrscheinlich andere Antworten geben. Das Interview bleibt aber vielleicht im Netz oder in den Köpfen der LeserInnen. Das haftet mir dann an! Das ist wohl ein bisschen Schweizerisch. Ich fand es bei uns im Studium spannend, wenn die Schauspielstudierenden dabei waren. Die waren oft viel direkter, geradeaus, während die Grafiker total zurückhaltend waren…“

«Jeder muss Architektur anschauen. Sie wird uns aufgezwungen. Es muss jedoch nicht jeder ins Museum gehen, um Kunst anzuschauen. Darum finde ich Kunst im öffentlichen Raum spannend.»

Ich bin der Meinung, dass jeder Mensch ein stückweit Experte in Sachen Architektur ist. Wir allen wohnen, arbeiten in Gebäuden und haben dadurch einen grossen Erfahrungsschatz. Deshalb finde ich, dass wir Kritik von Laien in den meisten Fällen ernst nehmen sollten. Jede und jeder darf ein Urteil abgeben. Da unterscheidet sich die Architektur wahrscheinlich von der Kunst. Bauwerke müssen letztlich immer einem funktionalen und gesellschaftlichen Aspekt Rechnung tragen.
„Es gibt Gebäude, die mir beim Anschauen wehtun. Tag für Tag sehe ich da dieses eine hässliche Gebäude vor meinem Fenster. Jeder muss Architektur anschauen. Sie wird uns aufgezwungen. Es muss jedoch nicht jeder ins Museum gehen, um Kunst anzuschauen. Darum finde ich Kunst im öffentlichen Raum spannend. Vorallem auch temporäre Projekte. Zum Beispiel das vergangene Projekt am Bahnhof in Biel von Thomas Hirschhorn. Wenn die Kunst die vier Wände der Institution Museum verlässt, gibt es meist grosse Diskusionen. Ich finde es aber enorm wichtig, dass solche Diskussionen in Gange sind und sich die Leute, ob gewollt oder nicht, mit neuen Ideen und mit der Veränderung auseinandersetzten müssen. Gerade für all diejenigen, die mit zeitgenössischer Kunst sonst gar nie in Berührung kommen.»

Was wünschst du dir für die Zukunft?
«Ich wünsche mir für die Kunst allgemein ein noch breiteres Publikum und eine niedrigere Hemmschwelle sich zu äussern. Das Schöne an meinen Raum-Arbeiten ist, dass ich damit ein Erlebnis für alle schaffe. Weil alle eine persönliche Erfahrung machen, trauen sich erfahrungsgemäss auch mehr Leute darüber zu sprechen. Das kann das Gespräch über Kunst oder zumindest den Einstieg erleichtern. Vielleicht auch für Leute, die glauben nichts mit Kunst anfangen zu können, oder befürchten, es nicht zu verstehen. Besonders spannend finde ich die Wahrnehmung und Meinung von Kindern. Die haben nicht so grosse Berührungsängste.“

Interview: Lukas Gruntz / Architektur Basel
Fotos: Armin Schärer / Architektur Basel


Teil 1 > Rebecca Kunz: „Was heisst schon Relevanz?“
Teil 2 > Rebecca Kunz: „Ein Raum, so still, dass es schon unangenehm ist“
Teil 3 > Rebecca Kunz: „Das Subversive finde ich spannend“

weitere Infos zu den Arbeiten von Rebecca Kunz > http://rebecca-k.ch/

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