Die «verbotene Stadt» öffnet sich! Das Aufsehen war gross, als vorletzte Woche über die Pläne von Herzog & de Meuron auf dem Rosental-Areal informiert wurde. Ein Hochhaus-Cluster soll entstehen. Nachverdichtung sorgt für tausende zusätzliche Arbeitsplätze und Wohnungen. Das heute hermetisch abgeriegelte Chemiearel soll für die Öffentlichkeit zugänglich werden. Das alles wirft Fragen auf – wir haben Kantonsbaumeister Beat Aeberhard damit konfrontiert.
Architektur Basel: Das Rosental-Areal soll transformiert und nachverdichtet werden. Ein “verbotener Stadtteil” der chemischen Industrie steht vor seiner Öffnung. Welche städtebaulichen Herausforderungen bringt das mit sich?
Beat Aeberhard: «Das Rosental-Areal ist heute ein abgeriegelter Forschungs- und Firmensitz. Nun wird das Areal stufenweise geöffnet. Neue Verbindungen und Nutzungen ermöglichen eine Stadtreparatur des räumlich geteilten Rosental-Quartiers. Da die Entwicklung in Teilschritten erfolgen wird, ist eine gesamtheitliche Betrachtung zwingende Voraussetzung für den Erfolg. Dazu dient das vorgestellte Leitbild von Herzog & de Meuron.»
Aber lässt das Leitbild genühgend Spielraum für künftige, noch nicht vorauszusehende Entwicklungen?
«Es dient als Orientierungsrahmen, der in weiteren Planungen zu konkretisieren sein wird. Dabei muss das robuste Grundkonzept sich ändernde Bedürfnisse oder Anforderungen aufnehmen können. Es muss lernfähig sein. Die grosse Herausforderung besteht darin, zu definieren, wie viel Spielraum oder umgekehrt wie viele Regeln notwendig sind, um die verschiedenen Akteure eines Stadtentwicklungsprozesses zu koordinieren. Damit wird einerseits Individualität und Entwicklung ermöglicht und andererseits eine unkontrollierte Entwicklung und ein womöglich ärgerlicher Zeitgeist vermieden. Letztlich muss das Leitbild Vertrauen schaffen, so dass die Entwicklung eines neuen Stadtteils zum Wohle aller entstehen kann.»
«Schönheit spielt somit nicht die wesentliche Rolle. Wichtiger ist, dass die Bauten elastisch genug sind, um sich an neue Nutzungen und Bedürfnisse anzupassen.»
Auffallend ist, wie sorgfältig im Leitbild die bestehenden Bauten analysiert und dokumentiert wurden. Was sind die besonderen Qualitäten der vorhandenen Industriearchitektur?
«Die bestehenden Bauten sind physische Zeugen eines steten Wandels der Basler Chemie. An ihnen lässt sich eine 160-jährige Industriegeschichte ablesen. Auf dem Stammsitz der Firma Geigy wurden ab 1935 Insektizide, Fungizide und Saatgute hergestellt. Bereits ab den 1960er Jahren ersetzten Verwaltungsbauten und Labore die ehemaligen Produktionsanlagen. Folglich haben die Bauten im Laufe ihres Bestands Umbauten, teilweise auch erhebliche Umnutzungen wie im Falle des ehemaligen CIBA-Packmagazins erfahren. Schönheit spielt somit nicht die wesentliche Rolle. Wichtiger ist, dass die Bauten elastisch genug sind, um sich an neue Nutzungen und Bedürfnisse anzupassen. Massgebend ist weiter die unmittelbare Verfügbarkeit. Diese ist etwa beim unscheinbaren, aber charmanten Verwaltungsbau 1080 gegeben, der einen wichtigen Beitrag zur raschen Aktivierung des Areals mit quartierbezogenen Nutzungen leisten kann.»
Also liegt der Fokus auf einzelnen, besonders erhaltenswerten Bauten?
«Es geht auch nicht nur um einzelne Bauten. Unser Interesse gilt deren Zusammenspiel, etwa den charakteristischen Massstabssprüngen oder den mit etwas Recherche zu entziffernden Spuren im Stadtgrundriss wie dem Verlauf des ehemaligen Riehenteichs. Neubauten haben somit die Merkmale des vorhandenen Bautengefüges bedarfsweise zu stärken, zu klären oder im Ausnahmefall zu korrigieren. So stellen wir sicher, dass basierend auf der unverwechselbaren Identität des Ortes ein spannendes neues Kapitel Rosental geschrieben wird.»
«Die Hochhäuser konzentrieren sich gemäss Leitbild auf das Arealinnere. Sie sollen nicht als alleinstehende, zufällige Architekturen in Erscheinung treten, sondern sich in ihrer präzisen Positionierung, den Proportionen und der hellen Farbigkeit aufeinander abstimmen.»
Insgesamt könnten bis 2035 sechs neue Hochhäuser entstehen. Die Rede ist von einem Hochhauscluster. Für das Stadtbild wäre das prägend. Ganz generell gefragt: Inwiefern machen Hochhäuser an diesem Ort Sinn?
«Der Ort liegt an bester Lage direkt am Badischen Bahnhof. Kaum ein Areal in Basel ist besser zu erreichen. Das trifft auf alle Verkehrsträger zu. Wohl auch aus diesem Grund ist das Geviert im kantonalen Hochhauskonzept als geeigneter Standort für Hochhäuser verzeichnet. Der Kanton hat das Areal gekauft, um sowohl die bereits anwesenden Unternehmen und Bildungsinstitutionen zu halten als auch Flächenangebote für die Ansiedlung von neuen Firmen und Institutionen zu schaffen. Im Fokus stehen somit Einrichtungen, die auf eine zentrale, gut erreichbare und eben auch sichtbare Lage angewiesen sind. Bereits heute finden sich einzelne Bauten von rund 40 Metern Höhe, die damit den gängigen Basler Stadthorizont überragen. Die Hochhäuser konzentrieren sich gemäss Leitbild auf das Arealinnere. Sie sollen nicht als alleinstehende, zufällige Architekturen in Erscheinung treten, sondern sich in ihrer präzisen Positionierung, den Proportionen und der hellen Farbigkeit aufeinander abstimmen. Eine Markierung mittels eines Hochhausclusters – auch im Zusammenspiel mit den Hochpunkten an der Messe – macht daher an diesem Ort gewiss Sinn. Anzufügen ist, dass sich allfällige Neubauten an den Arealrändern in der Höhe an der unmittelbaren Nachbarschaft zu orientieren haben. So bleibt der Quartiermassstab gewahrt. Ob und mit welcher Höhe tatsächlich Hochhäuser gebaut werden, hängt nicht zuletzt von der Nachfrage ab.»
Jeder Arbeitsplatz bedingt Wohnraum, sofern man nicht noch mehr Pendler will. In “Rosental Mitte” sind rund 5’000 Arbeitsplätze und Wohnraum für 2’000 Menschen vorgesehen. Weshalb dieser relativ geringe Anteil Wohnungen?
«Im kantonalen Richtplan ist das Rosental als Gebiet mit Schwerpunkt Arbeiten vermerkt. Dieser Richtplaneintrag ist der zentralen Lage aber auch der Geschichte des Areals geschuldet. Daran haben wir uns zu halten. Um die Attraktivität des Areals für Firmen und für das bestehende Rosental-Quartier zu steigern, verfolgen wir die Absicht, das Areal zu einem integralen Stadtteil weiter zu entwickeln. Rosental Mitte soll nicht nur als Arbeitsort dienen, sondern sämtliche Bedürfnisse der Bevölkerung abdecken. Zu einem Quartier mit hoher Lebensqualität gehört auch ein attraktives Wohnumfeld. Entscheidend ist weniger die Anzahl als die Qualität: Ein differenziertes Wohnangebot mit kleineren und grösseren Wohnungen in unterschiedlichen Preissegmenten soll für eine gute soziale Durchmischung sorgen. Das regierungsrätliche Wohnbauprogramm 1000+ wie auch die Abgabe von Flächen an Genossenschaften stehen dabei sicher im Vordergrund. Schliesslich werden Läden, Gastronomie sowie Freizeit- und Sporteinrichtungen die neu geöffneten Wege und öffentlichen Grün- und Freiräume beleben. Ziel ist ein vollwertiger urbaner Hotspot mit Schwerpunkt Arbeiten.»
Das Gefälle zwischen Bestandsmieten und Marktmieten ist in Basel je nach Lage und Wohnstandard hoch. Die Planung trägt dem Rechnung, indem ein Drittel preisgünstiger Wohnungen vorgesehen wird. Das tönt nicht schlecht. Und dennoch stellt sich die Frage, was preisgünstig genau heisst?
«Preisgünstig ist zum einen der gemeinnützige Wohnungsbau, der zur Kostenmiete angeboten wird. Zum anderen sind Wohnungen des freien Markts preisgünstig, wenn sie bestimmte maximale Mietzinse und Maximalgrössen einhalten.»
«Demnach darf beispielsweise eine preisgünstige Dreizimmerwohnung mit einer Fläche von 78 m2 nicht mehr als CHF 1’671 kosten.»
Was bedeutet das ganz konkret? Wieviel darf eine Drezimmerwohnung maximal kosten?
«Der Regierungsrat hat diese Werte in seiner Antwort auf die schriftliche Anfrage Georg Mattmüller im Januar 2020 dargelegt. Demnach darf beispielsweise eine preisgünstige Dreizimmerwohnung mit einer Fläche von 78 m2 nicht mehr als CHF 1’671 kosten. Die Mietzinsbegrenzung ist so berechnet, dass die preisgünstigen Neubauwohnungen einerseits deutlich unter dem Mittel der Angebotsmieten von Neubauten liegen und andererseits von privaten Investoren durch ökonomisch günstiges Bauen eine ausreichende Rendite erzielt werden kann.»
Erste Rückmeldungen in den sozialen Medien zeigen, dass das Interesse der Bevölkerung an der Entwicklung im Rosental gross ist. Wie sehen die nächsten Planungsschritte aus? Und: Sind für die einzelnen Bauten Architekturwettbewerbe vorgesehen?
«Selbstverständlich sind Wettbewerbe vorgesehen. Wie bereits ausgeführt: Das nun vorliegende städtebauliche Leitbild dient als Grundlage für weitere Entwicklungen sowie künftige nutzungsplanerische Änderungen. Konkret: Ein erster Wettbewerb für die Herrichtung eines heute leerstehenden Laborgebäudes für eine Biotechnologie-Unternehmung wird bereits in den nächsten Wochen ausgeschrieben. Folgen wird ein erster grösserer Baustein für die Universität. Das konkrete Projekt soll ebenfalls in einem Wettbewerb evaluiert werden. Und schliesslich verlangt die Erarbeitung von Bebauungsplänen für die Erstellung von Bauten über 40 Metern zwingend vorgelagerte Varianzverfahren.»
Wir sind gespannt – und bedanken uns für das Interview.
Interview: Lukas Gruntz / Architektur Basel
Weitere Infos zu «Rosental Mitte» unter folgendem Link > https://rosentalmitte.ch