Unser viertes Monatsinterview führt uns ins Gundeldinger Feld zu Barbara Buser. An den Ort, den man als Busers Meisterstück bezeichnen könnte. Die Transformation der ehemaligen «Maschinenfabrik Burckhardt» zu einem lebendigen Quartierzentrum mit reichem kulturellem Angebot ist für die Lebensqualität im Gundeli, wo Buser selbst aufgewachsen ist, von unschätzbarem Wert. Über ihre eigene Arbeit sagt sie ganz unbescheiden: «Ich bin überzeugt, dass wir mit unserer Arbeit zu einer nachhaltigeren Welt beitragen. Das müssen nicht alle so machen – aber es sollten mehr Architekten so arbeiten wie wir.” Im ersten Interviewteil sprechen wir über Verzicht, Upcycling, Architektur mit grossem A, Beton, Kreislaufwirtschaft und Holzbau.
Lukas Gruntz (Architektur Basel): Deine architektonische Haltung, die sich mitunter auf das Bewahren, Transformieren und Weiterverwenden von Bestehendem stützt, trifft den Zeitgeist, wobei du diesen Themen schon seit Jahrzehnten nachgehst. Woher kommt dein Interesse für die Fragen der Nachhaltigkeit?
Barbara Buser: “Ich wurde so erzogen. Mein Vater war Bauingenieur. Er hat immer gesagt: Wir Europäer und Schweizer machen alles den Amerikanern nach. Wir werden unsere Städte zerstören – mit all den Autobahnen oder mit dem Cityring. Er hat ausserdem die erste Kläranlage im Baselbiet gebaut. Mein Vater hat sich immer kritische Gedanken zur Umwelt gemacht und uns mitgegeben, dass man seinen gesunden Menschenverstand nutzen soll – und nicht alles Glauben darf, was in der Zeitung geschrieben steht oder am Radio und Fernsehen verbreitet wird. Das ist bis heute die Basis für mein kritisches Denken und Hinterfragen.”
«Erst jetzt mit dem Coronavirus tut sich was. Plötzlich wird kaum mehr geflogen. Wer hätte sich das noch vor zwei Monaten vorstellen können? Jetzt in dieser Krisensituation können die Politiker plötzlich drastische Massnahmen durchsetzen.”
Inwiefern haben dich deine Aufenthalte als Entwicklungshelferin im Sudan und in Tansania, die auf das Architekturstudium an der ETH folgten, beeinflusst?
„Meine Zeit in Afrika hat eine grosse Rolle gespielt. Ich habe fast zehn Jahre dort gearbeitet. Ich habe gelernt, dass das, was für den einen Abfall ist, für den anderen ein wertvoller Rohstoff sein kann. Da habe ich begriffen, dass es so nicht weitergehen kann. Unsere Rohstoffe sind endlich. Das wissen wir auch spätestens seit dem Club of Rome und den Büchern von Amory Lovins, die ich damals alle gelesen haben. Ich staune, dass das bisher nicht mehr Action, mehr politische Veränderungen gebracht hat. Erst jetzt mit dem Coronavirus tut sich was. Plötzlich wird kaum mehr geflogen. Wer hätte sich das noch vor zwei Monaten vorstellen können? Jetzt in dieser Krisensituation können die Politiker plötzlich drastische Massnahmen durchsetzen.”
Aber es hat sich ja auch schon vor der Coronakrise einiges getan. Mit den Klimastreiks auf der ganzen Welt beispielsweise. Fand nicht bereits da ein Umdenken statt?
“Ja, das stimmt. Die Leute haben angefangen, sich Gedanken zu machen, aber die Action hat bisher gefehlt. Man hätte sich die Entwicklung langsamer, evolutionärer gewünscht. Aber das scheint nicht möglich zu sein. Manchmal braucht es eine Revolution.”
Besteht nicht die Gefahr, dass in einem Jahr wieder 100 Prozent mehr geflogen wird?
“Die Gefahr besteht durchaus. Deshalb wünsche ich mir, dass die jetzige Erfahrung des Verzichts etwas bewirkt. Von allem ein bisschen weniger, wäre viel, viel mehr.”
«Unser Problem sind die riesigen Mengen von Geld, die nach Anlagemöglichkeiten suchen. Im Immobilienbereich kann man noch Geld investieren. Das unterstützt die Tendenz zu Gunsten von Ersatzneubauten.»
Wenn wir davon sprechen, dass weniger mehr sein kann: Wieso wird heute nach wie vor in vielen Fällen der Abbruch und Ersatzneubau einem Um- und Weiterbauen vorgezogen?
“Ersatzneubau ist für mich ein Reizwort. Ich glaube den Rechnungen beziehungsweise den ihnen zu Grunde liegenden Annahmen nicht. Ich beweise jeden Tag das Gegenteil. Mit dem Weiterbauen und dem Erhalten stehen wir finanziell besser da, als wenn alles abgerissen würde. Wenn man zudem die graue Energie einrechnete, dann sähe es nochmals ganz anders aus. Wir sind jetzt im Büro daran, einen Weg zu finden, wie man die graue Energie mitkalkulieren kann. Höchstens in den Fällen, wo man viel mehr bauen darf, kann die Rechnung zu Gunsten des Neubaus ausgehen. Wenn es lediglich um ein, zwei zusätzliche Stockwerke geht, dann ist der Erhalt des Bestands sinnvoller.”
Wenn ich dich richtig verstehe, handelt es sich also in erster Linie um ein ökonomisches Problem?
“Unser Problem sind die riesigen Mengen an Geld, die nach Anlagemöglichkeiten suchen. Im Immobilienbereich kann man noch Geld investieren. Das unterstützt die Tendenz zu Gunsten von Ersatzneubauten. Dazu kommt die Baueuphorie, auch unter Architekten. Da wird das Neue als das Bessere angepriesen. Im Hochparterre wurde unsere Architektur kürzlich als “Bricolage” betitelt. Da entgegne ich, dass wir gar keine Architektur mit grossem A machen. Wir nennen unser Büro ja auch Baubüro und nicht Architekturbüro. Wir arbeiten mit dem Bestand. Ob man das Architektur oder Bricolage nennt, ist mir eigentlich egal. Ich bin überzeugt, dass wir mit unserer Arbeit zu einer nachhaltigeren Welt beitragen. Das müssen nicht alle so machen – aber es sollten mehr Architekten so arbeiten wie wir.”
Ich behaupte, dass wir die Generation sind, die unser Wirtschaftssystem in eine Post-Wachstumsphase überführen muss, um den ökologischen Kollaps zu verhindern. Was bedeutet das für die Bauwirtschaft?
“Wir müssen vor allem ein bisschen runterfahren. Runterfahren mit der Anzahl der Gebäude, runterfahren mit den Ansprüchen an die Gebäude. Man sollte zuerst schauen, was man schon hat und wie man das schrittweise verbessern kann. Auch Kreislaufwirtschaft ist ein wichtiges Thema. Wir sind im Büro daran, die Wiederverwendung von Bauteilen zu pushen. Das macht total Sinn, ist in der Praxis aber ziemlich kompliziert. Wir realisieren jetzt ein Haus, wo wir ursprünglich 100% Wiederverwendung angestrebt hatten – und schaffen jetzt immerhin 80%. Das ist schon ziemlich gut. Wenn bei jedem Neubau 10 % bis 20% gebrauchte Bauteile wiederverwendet würden, wäre das schon ein grosser Beitrag.”
«Die Löhne sind in der Schweiz viel zu hoch, um jemanden zu bezahlen, der die Elemente sorgfältig rückbaut und katalogisiert.»
Bei welchen 20 Prozent der Bauteile wäre die Wiederverwendung, die Kreislaufwirtschaft, besonders einfach und schnell zu erreichen?
“Man muss bei der Kreislaufwirtschaft unterscheiden: Beispielsweise zwischen Recycling, wie beim Beton, den man zuerst zerkleinert und dann wieder mit frischem Zement zusammenfügt. Das ist aber kein Kreislauf, sondern ein downcycling. Die 1:1 Wiederverwendung von Bauteilen, kann man als Kreislauf ansehen, z. B. bei Lavabos oder Küchenelementen. Auch Elektro-Trassen und Kabel könnte man in vielen Fällen wiederverwenden. Drittens gibt es das sogenannte Upcyling. Hier werden Bauteile nachgebessert oder neu zusammensetzt und gestaltet. Beispielsweise Fenster, wo man die Gläser auswechselt oder zwei Fenster zu einem Kastenfenster verbindet.”
Wieso wird das heute nicht mehr praktiziert?
“Es lohnt sich zu wenig. Die Löhne sind in der Schweiz viel zu hoch, um jemanden zu bezahlen, der die Elemente sorgfältig rückbaut und katalogisiert. Die Stiftung Madaster schlägt vor, jedes Baumaterial schon beim Bauen BIM-mässig zu erfassen, damit man bei Rückbau genau weiss, was zu holen ist. Das kommt jedoch erst zum Zug, wenn man ein Haus in 40 Jahren wieder abbricht. Heute geht es darum, das wiederzuverwenden, was bereits da ist. Meine erste Frage lautet immer: Muss das wirklich weg?”
Ökologische Fragen werden meines Erachtens zu oft mit Dogmen oder zusätzlichem Einsatz von Technik beantwortet. Minergie bedingt die Komfortlüftung et cetera. Wie begegnest du diesem Phänomen?
„Ich glaube nicht, dass man mit zusätzlicher Technik noch mehr herausholen kann. Die Nebenkosten sind bei Minergie-Bauten fast gleich hoch wie bei herkömmlichen Bauten, weil die Lüftungen viel Strom brauchen und man Filter wechseln muss, etc. Und da steckt auch eine Menge graue Energie drin. Ich bin für einfache Häuser aus massiven Materialien, z.B. aus Holz, Lehm oder Strohballen. Da hat man dann auch keine Entsorgungsprobleme. Ich liebe massive Materialien. Früher hat man Treppenstufen aus vier Zentimeter dicker, massiver Eiche gebaut. Die kann man bei einem Abbruch wiederverwenden. Aber die heutigen „Müesliplatten“, OSB, Novopan oder MDF und wie sie alle heissen, kann man nur ausnahmsweise nochmals einsetzen.“
«In Beton bauen ist einfach. Der Architekt denkt sich etwas aus und der Bauingenieur macht’s möglich.»
Eine ganz konkrete Frage: Dürfen wir heute noch in Beton bauen?
„Beton ist ein wundervoller Baustoff, aber er soll nur da angewendet werden, wo es nicht anders geht. Zum Beispiel bei den Fundamenten oder im Tiefbau. Anderes finde ich problematisch: Beispielsweise das kürzlich prämierte Schulhaus in Meyrin. In ein Gerüst aus Beton, wird ein Holzbau hineingestellt, der dann flexibel sein soll. Dieser Argumentation kann ich nicht ganz folgen. Es ist die Frage, wofür man baut. Es sollte einen Unterschied geben zwischen Wohnbauten, die vielleicht nicht unbedingt 200 Jahre halten müssen, und Sakralbauten oder einem Opernhaus. Da braucht es dann Architektur mit grossem A. Aber nicht jedes kleine Hüttchen muss von Architekten in Beton gebaut werden. Ich habe nichts gegen Beton. Aber das Verhältnis, wieviel mit Beton und wieviel mit Holz gebaut wird, sollte sich umkehren.“
Wir stellen fest, dass diese Fragestellungen bei uns im Studium zu wenig thematisiert wurden. Der Holzbau hat auf den Entwurfsprozess einen grossen Einfluss, beispielsweise bei den Spannweiten. Meines Erachtens sind wir da zu wenig sensibilisiert. In Beton ist am Ende fast jeder Grundriss statisch irgendwie machbar.
„Die Regelhaftigkeit des Holzbaus stimmt auch besser mit dem menschlichen Massstab überein. In Beton bauen ist einfach. Der Architekt denkt sich etwas aus und der Bauingenieur macht’s möglich. Nachwachsende Rohstoffe wie Holz sind da eine andere Geschichte. Zum Glück wurden bezüglich Holzbau die Brandschutz Normen gelockert, beispielsweise beim Brandschutz. Dafür muss man jetzt alle Türen zertifizieren.“
„Natürlich ist das unpopulär! Kein Politiker traut sich, das zu fordern, weil es nicht mehrheitsfähig ist. Dennoch bin ich überzeugt, dass wir das diskutieren müssen.»
Wenn wir von grauer Energie sprechen, die mitunter auch sämtliche Transportwege beinhaltet, dann ist es doch absurd, dass Schweizer Holz immer noch deutlich teurer als ausländisches ist. Was läuft da falsch?
„Ich bin jetzt im Vorstand von Lignum Nordwestschweiz, um genau dieses Problem anzugehen. Wir wollen das Bauen mit einheimischen Holz fördern. Das Hauptproblem besteht darin, dass die Energie bei uns zu billig ist. Unsere Zivilisation basiert auf billigem Erdöl. Die Kosten die das verursacht, werden von der Allgemeinheit beziehungsweise von der Natur getragen, der Profit bleibt bei einigen wenigen. So geht es nicht weiter. Wenn die Energie teurer wäre, würde sich das Verhältnis zwischen Handwerk und maschineller Arbeit verändern. Dann lohnt es sich vielleicht auch wieder, einen steilen Hang in der Schweiz zu nutzen. Ein Liter Benzin sollte fünf Franken kosten. Mit diesem Geld könnte man ausserdem mehr AHV auszahlen. In Afrika kostet die Arbeit 20% und die Materialien 80%. Bei uns ist es genau umgekehrt. Das ändert alles. Dieses Verhältnis ist ökonomisch entscheidend. Das tönt zwar nach Binsenwahrheit, ist aber tatsächlich so. Kennst du diese Laubbläser?“
Ja, hab ich auch schon gesehen – und vor allem schon gehört.
„Da ist es genauso. Die Arbeit eines Menschen, der Laub wischt, kostet viel mehr als diese Blasmaschinen und das Öl, das sie verbrauchen. Hier auf dem Gundeldinger Feld arbeiten wir mit dem Bürgerspital zusammen, das psychisch beeinträchtigen Menschen eine Arbeit anbietet. Da wird alles von Hand mit dem Besen gewischt. Wir haben ein Laubbläserverbot ausgesprochen. Das geht aber nur, weil diese Menschen nicht 80 Franken in der Stunde verdienen.“
«Schau dir mal an, was die Versicherungen für Paläste bauen! Die Bâloise beim Bahnhof mit den abgerundeten Scheiben. Da sieht man ja schon von weitem, dass das teuer ist.»
Bei uns war das Verhältnis vor 100 oder 150 Jahre ja auch so, dass Arbeit im Vergleich zum Material deutlich günstiger war. Inzwischen hatte man jedoch einen enormen Zuwachs an sozialer Sicherheit, Gesundheitsversorgung und materiellem Wohlstand. Wenn du nun sagst, dass das Verhältnis sich wieder umkehren sollte, bedeutet das den Verzicht auf Wohlstand – was politisch eine extrem unpopuläre Forderung ist.
„Natürlich ist das unpopulär! Kein Politiker traut sich, das zu fordern, weil es nicht mehrheitsfähig ist. Dennoch bin ich überzeugt, dass wir das diskutieren müssen. Um das Gleichgewicht zu erhalten, könnte man, wie schon gesagt, im Sinne einer Lenkungsabgabe die Energie höher besteuern und damit die Löhne entlasten. Und überhaupt: Was heisst Wohlstand? Was heisst soziale Sicherheit? Wir verlieren den familiären Zusammenhalt, weil alle damit beschäftigt sind, wie verrückt zu arbeiten, um die Versicherungen zu bezahlen. Schau dir mal an, was die Versicherungen für Paläste bauen! Die Bâloise beim Bahnhof mit den abgerundeten Scheiben. Da sieht man ja schon von weitem, dass das teuer ist. Und wer bezahlt die Baukosten? Ich habe alle meine Versicherungen bei der Mobiliar, weil das eine Genossenschaft ist. Die schütten den Gewinn wieder zurück an die Mitglieder aus, anstatt sich Paläste zu bauen. Man redet zwar von Sicherheit. Ich frage, haben wir die wirklich? Ich glaube nicht. Das beweist das Coronavirus jetzt eindrücklich.“
Zum Schluss nochmals zurück zum Holzbau und deinem Engagement bei Lignum. Wie wollt ihr ganz konkret dafür sorgen, dass in Zukunft mehr mit Holz gebaut wird?
„Der Staat soll bei Ausschreibungen verlangen, dass einheimisches Holz devisiert wird. Man muss sich dabei bewusst sein, dass das ziemlich sicher teurer wird. Aber wenn sich der Staat nicht einheimisches Holz leisten will, wer dann? Die Kantone sollten hier eine Vorbildrolle einnehmen. Ausserdem versuchen wir Wissen zu vermitteln. Wir organisieren beispielsweise die Holzbaufachtage, wo wir vorbildliche Beispiele zeigen. Ich staune, dass nicht mehr mit Holz gebaut wird. Die Schweiz war einmal ein Holzbauland. Heute hat der Beton überhandgenommen. Das müssen wir wieder ändern.“
Interview: Lukas Gruntz / Architektur Basel
Fotos: Armin Schärer / Architektur Basel