«Christian legte wann immer möglich selbst Hand an und nutzte die Frühjahrsferien, um auf der Baustelle zu helfen. Ich restaurierte die alten Türen und kümmerte mich um die Planung des Innenausbaus.» Ines führt durchs Wohnzimmer: «Auch die Möbel habe ich selbst lasiert», und fügt an: «schlussendlich steckt im Haus sehr viel mehr Eigenleistung als ursprünglich geplant. Dies war aber durchaus in unserem Interesse. Das Resultat der Aufstockung ist ein Glücksfall für uns.»
Tatsächlich, Ines Blank und Christian Beck-Wörner haben viel Zeit und Arbeit in ihre neue Wohnung investiert. Im Dezember 2020 ist die junge Familie eingezogen. Dem Baustart Anfang Jahr geht allerdings eine etappenreiche Geschichte voraus. 2014 kaufen sich Ines und Christian die Liegenschaft. Das dreigeschossige Wohnhaus an der Wasserstrasse nahe der Dreirosenbrücke verfügt über ein Dachgeschoss und einen Keller. Im Erdgeschoss findet eine kleine Wohnung Platz, darüber zwei geschossweise Viereinhalbzimmerwohnungen mit je zwei Balkonen rheinabwärts.
Maximale Ausnutzung bitte!
Nach einer sanften Renovation haben sie das Erdgeschoss und das 1. Obergeschoss bezogen. Das Potential des Gebäudes ist aber längst noch nicht ausgenutzt. Dem Zonenreglement nach wäre noch Luft nach oben. Die beauftragte Studie eines bekannten Basler Architekturbüros bestätigt sie darin. Der hinzugezogene Ingenieur schlägt aufgrund der bestehenden statischen Situation aber vor, höchstens das Giebeldach durch ein Flachdach zu ersetzen. Ines und Christian hatten sich allerdings mehr erhofft, worauf sie sich entschliessen, ein auf Holzbau spezialisiertes Planungsbüro mit einer weiteren Studie zu beauftragen. In der Tat scheint mit einem Holzbau mehr möglich. Mit dem Ergebnis klopfen Ines und Christian bei einem weiteren Architekturbüro an. Die Architektinnen und Architekten präsentieren ihnen sodann ein Projekt, dass den grundlegenden Anforderungen gerecht wird. «Ganz überzeugt waren wir aber dennoch nicht», erzählt Ines, «vor allem aber auch, weil wir fürchteten, dass die Aufstockung unser finanzielles Budget sprengt.»
Vorerst pausiert das Projekt also, bis die beiden auf ihrer Suche nach einer, wie sie sagen, «unkonventionellen Umsetzung» auf den Zimmermann Urs Arlt der Zimmeria St. Johann stossen. «Seine Herangehensweise und der von ihm vorgelegte Finanzierungsplan überzeugte uns sofort», fügt Ines an, «wir vereinbarten, dass er den Grossteil der Arbeiten und die Bauleitung übernimmt. Für die Baueingabe wollte er aber einen Architekten oder eine Architektin beiziehen. Durch sein Engagement bestärkt haben wir also begonnen, das Projekt aufgrund der vorangegangenen Studien weiter zu überarbeiten.»
Das «Basler Dach»
Im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Thematik des Aufstockens stösst Christian auf die 2016 veröffentlichte Studie «Das Basler Dach». Das Papier zeichnet Ideen zur Verdichtung im Bestand. Unter Architekt Lukas Gruntz beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe darin mit möglichen Konzepten zur Linderung der Platz- und Wohnungsnot in Basel. Der Transparenz halber muss erwähnt werden, dass einige Mitschreibende von damals, heute der Redaktion von Architektur Basel angehören, etwa der Autor dieses Artikels selbst. Ines und Christian sehen sich in der Folge also in ihrem Vorhaben, die Aufstockung als Holzbau zu realisieren bestärkt und fragen Lukas Gruntz für die Ausarbeitung eines architektonischen Konzepts an. Ziel ist ein bewilligungsfähiges Projekt. Die Bauaufgabe nimmt Lukas dankend an und bringt seine eigenen Ideen ein. Das kommt Ines und Christian sehr entgegen; die Zusammenarbeit funktioniert bestens. «Sein Architekturvorschlag hat uns überzeugt. Er hat uns glücklicherweise auch dazu ermuntert, die Zone komplett auszunutzen und zuoberst ein Kaltdach als Klimapuffer zu planen», erzählt Ines.
Das ehemals dreigeschossige Haus ist heute um zwei Vollgeschosse und einen offenen Dachraum reicher. Gegen die Wasserstrasse tritt der Aufbau mit einer gestalteten Holzfassade und einem steilen, zweigeschossigen Metallfalz-Schrägdach auf. Die seitlichen Brandmauern des Holzelementbaus sind mit einem Kalkzementstrukturputz verputzt, die bestehenden Aussenwände frisch gestrichen. Zum Hof hin gibt sich die Fassade über drei neue Balkonebenen offener.
Schlafen unten – Wohnen oben
Im Inneren führt die bestehende Treppe in einen zentralen oktogonalen Ankunftsraum im ersten neuen Geschoss. Um ihn gruppieren sich vier grosse Zimmer, jeweils durch Nebenräume getrennt. Belichtet wird der Raum über ein grosses Fenster in der Fassade oberhalb der bestehenden Treppe. Die Helligkeit und räumliche Anordnung der Türen wertet den Raum zu einer gut bespielbaren Mehrzweckzone auf. Eine halbgewundene, von der bestehenden Erschliessung unabhängige Treppe führt an der westlichen Brandmauer nach oben. Die Verschiebung der Treppe ermöglicht ein offenes Wohngeschoss. Davon profitieren insbesondere die freistehende Küche und der gesamte Wohn- und Essbereich. Analog dem unteren Geschoss trennt das der Wasserstrasse zugewandte Bad ein weiteres Zimmer ab. Die Küche zoniert die Balkonseite.
Entsprechend der simplen Organisation verhalten sich auch die Oberflächen. Ein geschliffener Anhydritboden zieht sich über alle neuen Geschosse. Die Wände und die Decken bestehen aus geseiften Dreischichtplatten aus Fichte. Die Oberflächen der Bäder sind wo nötig mit keramischen Platten belegt. Besonders sind die Zimmertüren. Sie stammen nämlich aus den bestehenden Wohnungen darunter. Restauriert und neu gestrichen, integrieren sich die alten Holzzargentüren bestens.
Ein rundes Fenster
«Wir sind absolut begeistert», erzählt Ines. «Besonders gefällt uns die Helligkeit und die Aus- und Weitsicht.» Damit meint sie aber nicht nur die Verglasung zum Balkon hin, sondern vor allem das grosse Highlight der neuen Wohnung: das Rundfenster in der östlichen Brandmauer. Ein Fenster in einer Brandmauer – ist das überhaupt erlaubt? Eigentlich nicht. Im vorliegenden Fall wurde die östlich anschliessende Liegenschaft aber erst kürzlich saniert und es besteht keine Absicht, das Gebäude in naher Zukunft aufzustocken. Die Aussicht durchs festverglaste Brandschutzfenster dürfte also noch einige Zeit bleiben. Und sollte die Nachbarliegenschaft doch dereinst wachsen, sei’s drum. Dass das Fenster dann geschlossen werden müsste, sind sich alle bewusst. «Die Kinder lieben das runde Fenster», fügt Ines an und ergänzt: «was uns vorher aber wirklich gefehlt hat ist das grosse offene Dachgeschoss.»
Die Klappe und der Kran
Tatsächlich eröffnet der unbeheizte Dachraum neue Möglichkeiten. Nicht nur bietet er einen tollen Aussenbereich mit Sonnenuntergangsqualitäten, sondern dürfte die darunterliegenden Geschosse im Hochsommer angenehm kühl halten. Zwei Fliegen mit einer Klatsche. Was das Rundfenster gegen Osten im Wohngeschoss, ist die Luke im Schrägdach des Dachraums zur Wasserstrasse. Aber wozu dient sie nur? Zum Zügeln vielleicht oder doch als Fenster? Mal abgesehen vom architektonischen Wiedererkennungswert, scheint die Klappe im Dach derzeit keinen unmittelbaren Nutzen zu haben. Tatsächlich brauchbar hingegen dürfte der Kran auf der Hofseite sein. Er erschliesst alle Geschosse über ihre Balkone. Wie cool ist das denn bitte? Die industriell anmutende Balkonfassade passt ganz gut in die Nachbarschaft vom Fernheizkraftwerk der IWB. Vom Kran hätte er nie etwas gewusst, sagt Lukas Gruntz lachend, aber nun da dieser installiert sei, spräche ja eigentlich nichts dagegen. Dem schliessen wir uns an.
Derzeit werden die bestehenden Geschosse fertiggestellt. Denn die Aufstockung hat Spuren hinterlassen. So ist die Wand unter der neuen Treppe statisch ertüchtigt worden. Ebenfalls nötig war eine Unterfangung der bestehenden Fundamente im Keller. Der Eingriff zog auch eine ganze Reihe von Brandschutzoptimierungen im Bereich des Treppenhauses als Fluchtweg nach sich. «Das sind die mühsamen Arbeiten», meint Christian. Dennoch – im Grossen und Ganzen sind alle zufrieden mit dem Umbau und der Aufstockung. Mission accomplished – Basler Dach, approved!
Text: Simon Heiniger / Architektur Basel
Aufstockung Wasserstrasse
Adresse: Wasserstrasse 19, 4056 Basel
Baujahr: 2019 – 2020
Bauherrschaft: Ines Blank und Christian Beck-Wörner
Architektur: Atelier Atlas Architektur
Holzbauingenieur: Büro für Bau und Holz, Burkhard Schnabel
Holzbau/Bauleitung: Zimmeria St. Johann, Urs Arlt
Quellen:
– Fotos: Armin Schärer / Architektur Basel
– Pläne: Lukas Gruntz / Atelier Atlas Architektur
– Studie «Das Basler Dach»