«Ik vind het leuk hier. Alles is goed», sagt der Mann freundlich. Es gefalle im hier. Alles gut. Ich stehe an der Weidevogellaan in Ypenburg – südlich von Den Haag. Woher ich käme, will er wissen. Als ich ihm erkläre, dass ich aus derselben Stadt stamme, wie die Architekten, die sein Quartier entworfen hätten, staunt er: «Dus het is niet zo speciaal.» Er finde nichts Besonderes an der Architektur. Tatsächlich spielen Diener & Diener in Ypenburg gekonnt die Klaviatur des Konventionellen – das Spiel von Regel und Ausnahme. Ich habe der Diener’schen Grossüberbauung zwanzig Jahre nach ihrer Fertigstellung einen Besuch abgestattet.
Wie entwirft man eine Retortenstadt?
Think big. Es sind holländische Masstäbe, wie wir sie in der Schweiz kaum kennen. Diener & Diener erstellten auf «Sektor 6» des ehemaligen Militärflugplatzes südöstlich von Den Haag insgesamt 145 Reihen- und vier Hochhäuser mit einer Bruttogeschossfläche von rund 23’000 Quadratmetern. Das ist fast so gross wie das gesamte Klybeckareal in Basel, wobei Bestandesbauten gänzlich fehlen. Keine einfache Fragestellung: Wie entwirft man eine Retortenstadt? «Mit wenigen Themen» lautet die Antwort von Diener & Diener. Stehende Fenster, horizontale Betongesimse und vor allem Backstein prägen die Architektur. Es ist das für die holländische Baukultur bestimmende Material, das auch in Ypenburg die Häuser prägt. Verschiedene Farbentöne – Rotbraun, Dunkelbraun oder Beige – sorgen für subtile Varianz. Ebenso das Zusammenspiel der vier verschiedenen Reihenhaustypen, die sich in den Zeilen abwechseln. Die städtebauliche Ausnahme bilden die vier Hochhäuser, die an einer Ecke ikonografisch der Zeile entwachsen und so die Mitte des Quartiers markieren. Es ist überraschend, wie kräftig dieser städtebauliche Kniff in Realität wirkt, wie er den Ort zentriert, ihm Halt verleiht.
Zwischen «Projects» und Amsterdamer Schule
Es ist wenig los. Bei meinem morgendlichen Besuch wirkt Ypenburg beschaulich-leblos, was sicher mit der überwiegenden Monofunktionalität zu tun hat. Hier wird in erster Linie gewohnt. Gemeinschaftliche oder kommerzielle Nutzungen sind nur punktuell vorhanden. Spannend sind die Hinterhofwelten. «Sneller, sneller!» In einem der grösseren Höfe, wo sich Garagen befinden, findet ein enthusiastisches Bobbycarrennen statt. Kinder können sich den Raum offensichtlich gut aneignen, was auch an der robusten, alltagstauglichen Materialisierung liegt. Was soll hier schon kaputt gehen? Der Backstein ist widerstandsfähig und wird dank Patina über die Jahre immer schöner. Irgendwo zwischen amerikanischen «Projects» und Amsterdamer Schule entwickelt die Überbauung hier ihre grösste Qualität: Diese spröde Schönheit – schöne Unmittelbarkeit! Sie funktioniert bestens.
Gültigkeit dank Normalität
Er wünsche mir viel Glück. «Wobei?», fragen ich. «Als je een spannende tekst schrijft. Alles is hier normaal.» Es möge mir gelingen, einen spannenden Text über sein Quartier zu schreiben. Alles hier sei normal. «Die Stadt lebt letztendlich vom Normalen, Alltäglichen, Gewöhnlichen», erklärte Meinrad Morger im Interview mit uns. Genau darum geht es in Ypenburg! Diener & Diener ist es – fern jeglicher Banalität oder Anbiederung – gelungen, ein Stück architektonische Normalität zu schaffen, das zwanzig Jahre nach Fertigstellung nichts an Gültigkeit verloren hat. Gefeliciteerd!
Text: Lukas Gruntz / Architektur Basel
Wohnhäuser Ypenburg, Den Haag, 2000–2003
Architekt: Diener & Diener, Basel
Datum: 2000—2003
Auftraggeber: Bouwcollectief d’Artagnan
Ort: Weidevogellaan/Spenwersingel, Den Haag, Niederlande