Während die Schweizer Architekturpresse derzeit das neue Learning Center ‹Square› der Universität St. Gallen thematisiert – ein elegantes und transparentes Gebäude, vom japanischen Stararchitekten Sou Fujimoto entworfen, kubisch und pyramidal aus Stahlbeton und Glas gebaut – zeigt das Schweizerische Architekturmuseum S AM eine Ausstellung, um das westliche Bild der japanischen Architektur zu aktualisieren.
2011 erschütterte Japan das grosse Tōhoku-Erdbeben und die Nuklearkatastrophe von Fukushima. Die Volkswirtschaft stagniert seither. Eine alternde und abnehmende Bevölkerung, Landflucht wegen profitorientierter Stadtentwicklung, immer mehr leerstehende Häuser. Laut Prognosen werden es im Jahr 2050 fast 30 Prozent sein, womit kaum Bedarf an Neubauten besteht. Hinzu kommt die globale Klimakrise. Mit dieser Gegenwart sieht sich die junge Generation japanischer ArchitektInnen und urbanen AkteurInnen, zwischen Mitte der 70er- und Mitte der 90er-Jahre geboren, heute konfrontiert – und setzt sich mit dieser schwierigen Situation auf ganz neue Art und Weise auseinander.
Statt zu resignieren, nimmt die junge Generation die Herausforderung an und sucht nach neuen Möglichkeiten im Umgang mit bestehenden Räumen, begrenzten Ressourcen und vorhandenen Materialien. Auf dieser Suche ist eine Denkweise entstanden, mit der Projekte unter Anwendung von kritischen, ökologischen und sozialen Praktiken, und mit viel Kreativität, entwickelt werden. Im Vergleich zu den klaren Linien und minimalistischen Räumen, mit denen die zeitgenössische japanische Architektur bisher assoziiert wurde, verfolgen die Bauten im Bestand einen ästhetischen Ansatz, der sich nicht vor rauen Ecken und Kanten, vor Imperfektion, fürchtet.
„In Abkehr vom traditionellen Bild als AutorInnen, artikulieren diese ArchitektInnen eine neue Handlungsfähigkeit: Sie arbeiten von der Peripherie aus, nutzen Lücken im System und nehmen neue Rollen im Prozess ein, die bisher ignoriert wurden.“
Die eindrückliche Haltung der jüngsten, japanischen Architektengeneration kann im S AM erfahren werden: Mit Grafiken, Texten und Bildern wird im ersten Ausstellungsraum in den sozialen, ökologischen und gebauten Kontext eingeführt, in dem junge ArchitektInnen heute in Japan praktizieren. Im zweiten Teil der Ausstellung werden 20 repräsentative Projekte gezeigt, die in den letzten fünf Jahren abgeschlossen oder begonnen wurden und sich in der Grösse, als auch dem Ziel, voneinander unterscheiden. Sie symbolisieren die gegenwärtige Architektur in Japan und verdeutlichen die Schwierigkeit, die verschiedenen Anliegen und Haltungen dieser ArchitektInnengeneration auf ein Thema zu reduzieren. Was sie verbindet, ist die erkennbare Suche nach neuen Formen architektonischen Engagements, um eine angemessene Antwort auf die Fragen unserer Zeit zu geben, mit denen nicht nur der Beruf, sondern die ganze Gesellschaft konfrontiert ist. In den beiden letzten Ausstellungsräumen werden fünf junge Architekturbüros vorgestellt, die in der Rolle, die sie als Akteure in der Gesellschaft spielen und dabei jeweils eigene Ansätze vertreten. Dabei stehen ihre Herangehens- und Arbeitsweisen im Fokus und in Videoporträts erklären sie ihre Sicht der Dinge in eigenen Worten.
„Anhand von Fotografien, Filmen und Modellen, vermittelt die Ausstellung ein berufliches und soziales Porträt dieser Generation von ArchitektInnen und stellt Handlungsoptionen vor, was Architektur sein – und tun – kann.“
Die Szenografie der Ausstellung wurde vom japanischen Architekten und Designer Yusuke Seki konzipiert. Sie interpretiert die Distanz zwischen Japan und der Schweiz und bringt die beiden Länder, und deren Architektur, durch das Einfügen baulicher, typisch japanischer, Interventionen in die für Europa charakteristischen Museumsräume, zusammen. So wird in der ersten, grosszügigen und repräsentativen, Ausstellungshalle auf fast zweieinhalb Metern Höhe eine Hängedecke eingezogen, die die in Japan übliche Raumhöhe erfahrbar macht. Im zweiten Saal werden wiederverwendete Bilderrahmen aus früheren S AM-Ausstellungen auf traditionell japanische Art und Weise, mit der Papier-Scharnier-Technik, verbunden und werden so zur Projektionsfläche. In den letzten beiden Ausstellungsräumen machen die Holzkisten, in denen die Modelle von Japan in die Schweiz transportiert wurden und auf denen sie jetzt ausgestellt werden, die physische Distanz selbst zum gestaltenden Element.
„[…] diese japanischen Positionen […] machen deutlich, dass ein ‹sich behelfen› keineswegs ein Zeichen von Mangel ist; vielmehr führen sie uns die gestalterische Kraft vor Augen, die entsteht, sobald uns bewusst wird, dass das, was wir haben, schon mehr als genug ist.“
Von Yuma Shinohara kuratiert, zeigt das S AM mit ‹Make Do With Now› eine inspirierende Ausstellung, die die aktuelle Bewegung der Architektur in Japan repräsentiert. Die dort entstehenden Ansätze und Methoden sind auch für den hiesigen Architekturdiskurs von Relevanz, denn Bauen im Bestand, die Wiederverwendung von Materialien und partizipatives Gestalten werden auch in der Schweiz und in Europa langsam zur neuen Norm.
Anlässlich der Ausstellung ist die weiterführende Publikation ‹Make Do With Now: New Directions in Japanese Architectue› erschienen. Eine vertiefende Dokumentation der gezeigten Projekte und Positionen, und mit Beiträgen von jungen, wie auch etablierten ExpertInnen ,über die zeitgenössische Architektur in Japan. Spannend dürften auch die ‹Salon Talks› mit jungen ArchitektInnen aus Japan und Europa werden. GastgeberInnen werden Weyell Zipse Architekten, Faust Witt Architekten und Truwant + Rodet + sein. Diese finden am 8. Dezember dieses Jahres und am 25. Januar und 15. Februar nächsten Jahres statt.
Text: Johanna Bindas / Architektur Basel