Spätestens seit der Katastrophe von Schweizerhalle hat man in Basel ein ambivalentes Verhältnis zur chemischen Industrie – und ihren Risiken. Dass auf dem Klybeck-Areal in den Bauten und im Boden toxische Altlasten vorhanden sind, ist keine neue Erkenntnis. Wie kritisch die Situation ist – und wie dürftig die Faktenlage, zeigte ein brisanter Bericht der Rundschau. Die Reaktionen darauf liessen nicht lange auf sich warten. Die Eigentümerinnen beschwichtigen die Öffentlichkeit. Es gebe «keine Altlasten im Rechtssinn». Der Verein Zukunft Klybeck forderte hingegen maximale Transparenz und ein griffiges Sanierungskonzept. Es zeigt sich: Wann auf dem Klybeck gebaut werden kann, ist offener denn je.
«Eine lückenlose Erfassung aller problematischen Substanzen ist sowohl theoretisch als auch praktisch nicht möglich»
In allen Bereichen Belastungen mit problematischen Substanzen
Es war dieser eine Satz, der in der Erinnerung haften blieb: «Eine lückenlose Erfassung aller problematischen Substanzen ist sowohl theoretisch als auch praktisch nicht möglich», sagte Schadstoffexperte Daniel Bürgi, als wir uns letztes Jahr mit den geplanten Abbrüchen an der Mauerstrasse auf dem Klybeck-Areal befassten. Und er ergänzte: «Zudem sind viele (vermutlich die Mehrheit) der eingesetzten Substanzen aufgrund der langjährigen Betriebsgeschichte gar nicht bekannt und nicht mehr eruierbar. Aufgrund der Historie ist in allen Bereichen mit Belastungen durch solche problematischen Substanzen zu rechnen.» Wir mussten damals feststellen: Was chemische Schadstoffe anbelangt, gleicht das Klybeck einer Black Box. Was für die oberirdischen Bauten gilt, muss erst recht für den Untergrund angenommen werden. Denn: Hier sind die Daten noch viel schwieriger nachzuvollziehen.
Kein transparentes Verkaufsverfahren?
Dass die Altlasten-Situation auf dem Areal mehr als nur komplex ist, zeigte ein Beitrag der Rundschau des SRF. Darin wird ein vertraulicher Bericht der kantonalen Behörden zitiert: «Insbesondere die Unterlagen zur Belastung der Gebäude und des Bodens konnten nur gegen Voranmeldung vor Ort im physischen Datenraum eingesehen werden.» Bemerkenswert – und überraschend nahe an den Aussagen von Bürgi – ist die darauffolgende Einschätzung: «Dokumente, die auf einer mittleren Betrachtungsebene einen Überblick über das Kaufobjekt gewährt hätten, fehlten hingegen weitgehend.» Der Bericht kommt zum Schluss: «Es kann vermutet werden (…), dass es der Verkäuferin (…) nicht so sehr um ein transparentes Verfahren ging, sondern eher darum, dem Käufer möglichst alle Risiken vollumfänglich zu übertragen.» Als Folge des internen Berichts sieht die Regierung davon ab, das Klybeck-Areal zu kaufen.
«Tausende von Tonnen Chemieabwasser» durch kaputte Kanalisation
Mitte der 1860er Jahre etablierte sich das Klybeck als Standort der chemischen Industrie. Damals noch ausserhalb der Stadt, wurde das freie Feld nördlich der heutigen Dreirosenbrücke nach und nach überbaut und das Flusswasser für die industrielle Herstellung von Farben genutzt. Vorschriften zur umweltgerechten Produktion und Entsorgung gab es damals keine. «Da gab es Explosionen, Brände – und etwas vom Heftigsten, das zur Verschmutzung des Untergrunds geführt hat, ist die kaputte Kanalisation. Aus dieser Kanalisation sind Tausende von Tonnen Chemieabwasser ausgeflossen», erklärt Martin Forter, Altlasten-Experte in der Rundschau. Es seien auch stark krebserregende Stoffe darunter.
«Die aktuelle Darstellung der Standortbelastungs-Situation ist aus unserer Sicht einseitig und manipulativ.»
«Giftfabrik» als Altlasten-Hotspot
Als besondere Altlasten-Hotspot stellt sich das ikonografische Industriegebäude K90 heraus. Es trug firmenintern den vielsagenden Spitznamen «Giftfabrik». Es war noch vor wenigen Jahren ein Veranstaltungsort. Hier fand im August etwa eine Podiumsdiskussion zur Zukunft des Klybecks statt. Inzwischen jedoch ist der Bau geschlossen: Hinein darf man gemäss Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz nur noch im Schutzanzug und mit einer Maske mit Aktivkohlefilter. Besitzerin Swiss Life bestätigt gegenüber der Rundschau die Schliessung von zehn Gebäuden inklusive «K90». Die SRF-Recherchen decken auf: Der Kanton weiss seit 2019 vom hohen Risiko, wie einem Bericht zu entnehmen ist: «Das äusserlich zur Umnutzung geeignet erscheinende Gebäude 90 (…) ist im Innern weitgehend ausgehöhlt und derart stark belastet, dass eine Schadstoffsanierung mit grössten Risiken behaftet ist. Zudem hat die Verkäuferin (BASF) darauf hingewiesen, dass im Bereich des Gebäudes 90 ein Altlasten-Hotspot vorhanden ist»
«Damit die Entwicklung des Areals vorankommt, brauchen der Kanton und die Eigentümer die Zustimmung des Volkes zum Richtplan und zu den Bebauungsplänen. Ohne einen systematischen und transparenten Sanierungsprozess wird es kein Ja geben. Niemand möchte auf oder neben einer Giftmülldeponie wohnen oder arbeiten.»
«Es stinkt zum Himmel»
Die Reaktionen auf den Beitrag in der Rundschau liessen nicht lange auf sich warten. Die Miteigentümerin Rhystadt versuchte zu beschwichtigen: Unter dem Titel «Keine Gefahr für Mensch und Umwelt» publizierte sie eine Medienmitteilung. Anstatt die Fakten auf den Tisch zu legen, kritisierte sie darin die SRF-Berichterstattung: «Die aktuelle Darstellung der Standortbelastungs-Situation ist aus unserer Sicht einseitig und manipulativ.» Das ist argumentativ schwach. Immerhin ist man sich dem Umfang der anstehenden Sanierungskosten bewusst: «Wir wissen deshalb, was die Herausforderungen sind, und wir verfügen als private Eigentümerin aus heutiger Sicht über ausreichend finanzielle Mittel, um das problematische Erbe der chemischen Produktion zu beseitigen.» Ganz anders lautete die Reaktion des Vereins Zukunft Kybeck: «Es stinkt zum Himmel», lautete der polemische Titel ihrer Medienmitteilung. Darin findet sich die Forderung, dass «endlich volle Transparenz über die Altlastensituation, die Untersuchungen und deren Ergebnisse hergestellt» werde. Ausserdem brauche es ein «umfassendes und verpflichtendes» Konzept für die Sanierung des Areals und «eine unabhängige Begleitgruppe aus Expert:innen und Bürger:innen», die die Sanierung kritisch begleite. Falls dies nicht geschehe, kündigt der Verein politischen Widerstand an: «Damit die Entwicklung des Areals vorankommt, brauchen der Kanton und die Eigentümer die Zustimmung des Volkes zum Richtplan und zu den Bebauungsplänen. Ohne einen systematischen und transparenten Sanierungsprozess wird es kein Ja geben. Niemand möchte auf oder neben einer Giftmülldeponie wohnen oder arbeiten.» Ohne Sanierungskonzept dürfte der Verein das Referendum gegen den Richtplan und die Bebauungspläne ergreifen. Eine Volksabstimmung über ein «verseuchtes» künftiges Wohnareal wäre für die Eigentümerinnen kaum zu gewinnen. Seit Schweizerhalle ist man in Basel sensibilisiert.
Keine Altlasten im Rechtssinn? Nur Transparenz schafft Vertrauen
Tatsächlich sollten die Eigentümerinnen möglichst viele Fakten öffentlich zugänglich machen. Nur damit kann den Altlasten-Spekulationen ein Ende gesetzt werden. Die kryptische Zusammenfassung seitens Rhystadt ist kontraproduktiv: «In den Arealteilen der Rhystadt AG bestehen keine von konkreten Bauvorhaben unabhängige sanierungsbedürftige Belastungen. Somit bestehen keine Altlasten im Rechtssinn.» Ob solch juristische Formulierungen das Vertrauen der Bevölkerung stärken, bleibt mehr als fraglich. Die einzige empfehlenswerte Massnahme lautet: Maximale Transparenz in Sachen Altlasten auf dem Klybeck. In (oder auf) einer Black Box mag niemand wohnen.
Artikel: Lukas Gruntz