Seit Anfang 2017 lassen in Basel die Dachbauvorschriften mehr Verdichtung zu. Neu dürfen beispielsweise zwei Dachgeschosse zu Wohnungen ausgebaut werden. Zuvor war das nur in einem Geschoss erlaubt. Das Basler Dach findet nach und nach seine Umsetzung in der gebauten Realität. Das neuste Beispiel befindet sich an der Drahtzugstrasse im Kleinbasel. Hier hat der junge Architekt Lukas Raeber einen sehenswerten Dachaufbau realisiert. Zwei Maisonette-Wohnungen wurden auf einen bestehenden Altbau, ein Mehrfamilienhaus aus dem Jahre 1925, gesetzt. Oder besser gesagt: Darüber gehängt. Architekt Raeber löste die statische Herausforderung der Aufstockung dank einer intelligenten und äusserst eleganten Lösung. Er spannte zwischen die beiden Brandmauern zwei kräftige Firstpfetten, an denen sämtliche weiteren Elemente wie Wände und Geschossdecken aufgehängt wurden. Ein strukturelles Meisterstück im Kleinformat.
Struktur bildet Raum und umgekehrt: Die räumliche Struktur wird bei der Aufstockung durch die statische definiert. Das Eingangsgeschoss besticht durch seine Offenheit und Durchlässigkeit zwischen beiden Fassaden. Die mittige Treppe, unter der sich das Gäste-WC befindet, teilt den Raum in einen Essbereich mit einer Küchenzeile und den Wohnbereich mit einem elegant freigestellten Cheminée. Über die Treppe, die zwischen den beiden Pfetten liegt, gelangt man in das zweite Dachgeschoss. Hier befinden sich links und rechts je ein Schlafzimmer und das Bad, das sich in eine schmale Raumschicht entlang der Brandmauer einschreibt. Es kann von beiden Zimmern betreten werden und schafft damit einen räumlichen Rundgang, der trotz den knappen Raumverhältnissen viel zur Grosszügigkeit der Wohnung beiträgt. Ebenfalls wichtig ist das Oberlicht über der Treppe, das zenitales Sonnenlicht in die Tiefe der Wohnung und über eine Verglasung auch ins Bad leitet.
Die Materialisierung ist reduziert. In den Wohnräumen dominieren weisser Putz und Holz in Form des Parketts und der unverkleideten Deckenstruktur. Das Gäste-WC überrascht als „Dunkelkammer“ mit schwarzem Bisazza-Mosaik. Im Bad wurde dasselbe kleinformatige Mosaik ganz in Weiss gehalten. Die schlichte Materialisierung und Reduktion der Oberflächenmaterialien – ohne dabei dem japanischen Whitebox-Minimalismus zu verfallen – ist bei aller räumlichen Komplexität wohltuend. Die hängende Holzstruktur sichtbar zu belassen, könnte als etwas didaktisch abgetan werden, hat in diesem Fall jedoch ihre Berechtigung, da das intelligente Hänge-Tragwerk die zentrale Idee des Projekts abbildet. Ausserdem konnten so ein paar Zentimeter Raum gespart werden.
Wie man mit viel Fingerspitzengefühl und einer präzisen strukturellen Idee im Bestand hochwertigen Wohnraum erstellen kann, beweist Lukas Raeber an der Drahtzugstrasse. Er realisiert auf knappstem Raum, ohne einen einzigen Quadratmeter zu verschwenden, zwei sehenswerte Wohnungen mit ausserordentlichem räumlichem Reichtum. So geht Verdichtung.
Text: Lukas Gruntz / Architektur Basel