Die Überbauung Liebrüti ist ein Kind der 1970er-Jahre: Sichtbeton, gegliederte und gestaffelte Bauvolumen, dazwischen fliessende Grünräume. Insgesamt 900 Wohnungen baute der Pharmakonzern Hoffmann-La Roche hier für seine Mitarbeitenden. Nun soll die Überbauung mit einem Hochhaus ergänzt werden. Architekturwettbewerb wurde keiner ausgeschrieben. Als Planer fungiert eine in der Region bisher unbekannte Immobilienentwicklungsfirma aus Gossau. Die gewählte Lösung ist weder städtebaulich noch architektonisch überzeugend. Dem Baudenkmal Liebrüti droht Ungemach.
Wenige Autobahnminuten von der Stadt Basel entfernt und in unmittelbarer Nähe zum Rhein befindet sich „Liebrüti“. Schon von weitem sind die markanten Betonbauten sichtbar. Es ist eine besonders vorbildliche Planung der 1970er Jahre. Viele Fehler anderer Siedlungen der Hochkonjunktur wurden hier vermieden. Beispielsweise wurde auf die Nutzungsdurchmischung grossen Wert gelegt. Die Überbauung verfügt über ein Einkaufszentrum, eine Poststelle, ein Restaurant, Arztpraxen, eine Schule, Kindergärten, Sportanlagen und sogar über ein eigenes Hallenbad. Man kann von einer besonders gelungenen Anlage der damaligen Epoche sprechen. Und so funktioniert die Überbauung bis heute bestens und zur grossen Zufriedenheit der rund 2’000 BewohnerInnen.
Und jetzt das: Mitten in der Überbauung soll ein 80 Meter hohes Wohnhochhaus erstellt werden. Auf dem Dach des Einkaufszentrums. Der Blick auf das Modell zeigt eine unbefriedigende Lösung: Eingeklemmt zwischen zwei bestehende Hochhauszeilen fehlt dem Hochhaus genau das, was die bestehende Überbauung auszeichnet: Die räumliche Grosszügigkeit. Das Hochhaus wirkt als Fremdkörper in der äusserst harmonischen Komposition der bestehenden Bauten. Der architektonische Ausdruck des Neubaus lässt zudem jeden Dialog mit der umgebenden Architektur vermissen. Banale Bänder als Antwort auf die rhythmisch gegliederten Fassaden der bestehenden Zeilenbauten. Man könnte von einer architektonischen Gesprächsverweigerung sprechen. Was auf der Vermarktungs-Webseite als „frischer Wind für ein Architekturdenkmal“ bezeichnet wird, entpuppt sich bei genauer Betrachtung als architektonisch unausgegorene Lösung.
Es stellen sich Fragen zum Planungsprozess: Weshalb wurde bei einem so markanten Neubau kein Architekturwettbewerb ausgeschrieben? Wie fiel die Wahl auf die Architekten der «ADT INNOVA Architektur und Planungs AG» in Gossau ZH? Gemäss Aussage der Bauverwaltung in Kaiseraugst verfügte die in Zürich ansässige Bauherrschaft über den Kontakt nach Gossau. Es beschleicht den Schreibenden der Verdacht, dass hier mit einer grossen Portion Pragmatismus eine gestalterisch hochwertige Lösung vermieden wurde. Bei Hochhäusern sollte zwingend ein Wettbewerb – oder zumindest ein Studienauftrag – mit mehreren Planern durchgeführt werden. In Basel-Stadt wird dies vom Hochhauskonzept vorgeschrieben. Hier zeigt sich ausserdem exemplarisch das Versagen der Denkmalpflege bei Bauten der Nachkriegsmoderne und Hochkonjunktur. Die Überbauung Liebrüti gilt es in erster Linie als ein herausragendes Gesamtensemble und nicht als Einzelbauten zu bewahren. Bauliche Eingriffe oder Ergänzungen sollten mit grösster Sorgfalt geprüft und geplant werden.
Für Widerstand ist es zu spät. Der politische Prozess ist abgeschlossen. Die Baueingabe ist erfolgt. Das Baugespann steht. Mitte Dezember soll die Bewilligung erfolgen. Dem «Architekturdenkmal Liebrüti“ wird mit dieser „Weiterentwicklung der Siedlung am Puls der Zeit“ jedoch kein Gefallen getan.
Text: Architektur Basel / Lukas Gruntz
Infos zum Hochhausprojekt > http://liebrueti-domus.ch