Man muss sie manchmal suchen. Die Wahrheit. Oder man begibt sich an den Münsterplatz: Die im Baudepartement öffentlich aufliegenden Baugesuche enthalten oft wichtige Hintergrundinformationen zu Bauprojekten. Wir haben das Abbruchgesuch der Rhystadt AG für die Bauten an der Mauerstrasse genau studiert. Die Erkenntnisse daraus sind bemerkenswert – und komplex.
Die Rapp AG verfasste am 2. Dezember 2022 einen umfangreichen Bericht, “Gebäudescreening vor Rückbau”, zu den Schadstoffen in den ehemaligen CIBA-Bauten an der Mauerstrasse. Die Firma verfügt über eine ausgewiesene Expertise in diesen Themen. Verfasst wurde der Bericht von Projektingenieur Yannick Scherer und Projektleiter Tiefbau Roger Brawand. Er ist ein wichtiger Bestandteil des Abbruchgesuchs. Bereits der erste Abschnitt hält eine grosse Überraschung bereit. Dort liest man, dass sämtliche Schadstoffe im Jahre 2012 “fast komplett saniert und aus den Gebäuden entfernt” wurden. Damit widerspricht der Bericht von Rapp auf den ersten Blick der offiziellen Argumentation von Rhystadt. Sie begründete den Abbruch folgendermassen: “Umfangreiche Gutachten belegen, dass auch bei einer gründlichen Sanierung der Gebäude Restbelastungen weiterhin bestehen bleiben würden, weswegen der Abbruch der Gebäude aus Sicht Rhystadt der sinnvollste Umgang ist.”
Sinnvoll scheint ein dehnbarer Begriff zu sein. Die vorhandene Bausubstanz ist von aussen betrachtet in gutem Zustand. Das unterstreicht der Augenschein vor Ort. Würde sich hier nicht die Chance für eine zonenkonforme Zwischen- oder Umnutzung bieten? Damit könnte ein Stück Basler Baukultur erhalten bleiben. Ganz abgesehen von der ökologischen Dimension, dem Erhalt von grauer Energie, gebundenem CO2. Das Gebäudescreening von Rapp gibt auch Aufschluss über folgende Frage: Sind die Bauten tatsächlich komplett frei von Schadstoffen? Nicht ganz. In den Bauten gäbe es noch “kleinere Verdachtsstellen”. Gemäss Rapp sind als Restschadstoffe die asbesthaltige Dacheindeckung, asbesthaltige Ummantelungen bei einigen Rohrdurchführungen, Dämmungen im Unterdach, Verunreinigungen der Kiesschüttungen und schwermetallige Anstriche vorhanden. All diese Bauteile liessen sich im Rahmen eines sorgfältigen Umbaus sanieren. Eine Weiternutzung der Gebäude stünde damit nichts im Weg. Weshalb also der vorzeitige Abbruch?
Ich möchte der Sache auf den Grund gehen – und kontaktiere erneut die Rhystadt AG. Ab diesem Zeitpunkt wird es komplex. Die Eigentümerschaft widerspricht vehement. Die Bauten seien keineswegs “komplett saniert.” Der Bericht von Rapp beziehe sich lediglich auf die Gebäudeschadstoffe, die sogenannten “nutzungs- und betriebsbedingten Schadstoffe” seien darin nicht berücksichtigt. Wie bitte? Schadstoffe sind doch Schadstoffe! Das Gebäudescreening bezieht sich auch auf die umfangreichen Berichte der Firma Friedli Partner, die dem Gesuch ebenfalls beiliegen. Darin findet man die Untersuchung der Bausubstanz auf diverse organische Schadstoffe, wie KW, PCB oder PAK. Erneute Nachfrage bei Rhystadt: Sind das nicht die erwähnten “nutzungs- und betriebsbedingten Schadstoffe”? Nur teilweise. Die Belastungspläne zeigten, “wie tief z.B. das Brustkrebs-Medikament Femara in die Gebäudesubstanz eingedrungen ist. In einer Tiefe von 3 bis 10 cm finden sich im Beton signifikante Spuren des Mittels.” Tatsächlich liegt dem Baugesuch auch eine Aktennotiz von Friedli aus dem Jahre 2013 bei. Darin steht, dass die Novartis entschieden habe, sämtliche mit Femara belastete Bausubstanz aus dem betroffenen Bau 377 zu entfernen. Es geht dabei um insgesamt 15 Kubikmeter «an speziell zu entsorgender Femara-belasteter Bausubstanz» in Bau 377. Weshalb die beschlossene Sanierung in den letzten 10 Jahren nicht ausgeführt wurde, bleibt das Geheimnis der Novartis.
Ich rufe den Schadstoffexperten an. Er heisst Daniel Bürgi. Seine Firma, die Friedli Partner AG, hat in den Bauten auf dem Klybeck zahlreiche Beprobungen durchgeführt. Meine erste Frage lautet: Welche Schadstoffe wurden in der bereits durchgeführten Sanierung entfernt? “In allen Gebäuden wurden bei den ursprünglichen Untersuchungen zahlreiche Asbestvorkommen entdeckt. Diese wurden im Rahmen der Schadstoffsanierung und Entkernungsarbeiten in den Jahren 2011 bis 2015 grösstenteils (aber nicht vollständig, insbesondere im Fassadenbereich) entfernt. Die Sanierungsarbeiten sind im Statusbericht von SCP Schneider + Partner vom 17.12.2017 dokumentiert, welcher eine Beilage des Baugesuchs ist.” Ich begebe mich ein weiteres Mal an den Münsterplatz. Vom besagten Gutachten, dem Statusbericht von SCP Schneider + Partner, leider keine Spur. Er ist in den Unterlagen nicht vorhanden. Nachfrage bei Rhystadt: Das Dokument sei aufgrund eines Missverständnises physisch nicht eingegeben worden. Man werde es nachreichen. Eigenartig, denke ich, dass ausgerechnet dieser Bericht fehlt. Und: Baugesuche sind in Basel-Stadt grundsätzlich nur physisch möglich.
Am Münsterplatz studiere ich nochmals die vorhandenen Belastungspläne. Darin sind viele Flächen als unbelastet markiert. Ich möchte von Schadstoffexperte Bürgi wissen, weshalb die Rhystadt trotzdem davon spreche, dass eine “grosse, problematische Belastung” vorliege? Er antwortet: “Von den im Betrieb sehr zahlreich eingesetzten toxikologisch problematischen Spezialsubstanzen (Pestizide / Herbizide; pharmazeutische Wirkstoffe etc.) wurde bisher die Substanz Femara gezielter untersucht. (…) Eine lückenlose Erfassung aller problematischen Substanzen ist sowohl theoretisch als auch praktisch nicht möglich.” Die Datenlage ist also denkbar schlecht. Es wurde nur Femara spezifisch beprobt. Es ist gut möglich, dass noch diverse weitere toxische Stoffe in der Bausubstanz vorhanden sind. Ich hake nochmals nach: Weshalb können keine weiteren Beprobungen stattfinden? Das wäre wichtig für den Rückbau und die fachgerechte Entsorgung. Bürgi erklärt: “Es müssten je einzeln entsprechende Analysenmethoden entwickelt werden (Analyse nicht möglich mit normalen Standard-Analysenprogrammen). Zudem sind viele (vermutlich die Mehrheit) der eingesetzten Substanzen aufgrund der langjährigen Betriebsgeschichte gar nicht bekannt und nicht mehr eruierbar. Aufgrund der Historie ist in allen Bereichen mit Belastungen durch solche problematische Substanzen zu rechnen.” Die Bauten gleichen also einer schadstofftechnischen Black Box.
Was heisst das für den Rückbau? Im “Beschrieb des Bauvorhabens» steht dazu nur: “Die geplanten Rückbauarbeiten der Gebäude erfolgen mittels Grossbaggern und Hydraulikscheren.” Das tönt ziemlich rudimentär. Wie kann garantiert werden, dass beim Abbruch keine giftigen Substanzen in die Umwelt gelangen? Welche unabhängige Stelle kontrolliert die Belastungen vor Ort? Welche Massnahmen werden zum Schutz aller Beteiligten und des Quartiers ergriffen? Weshalb finden keine weiteren Beprobungen statt? Das Rückbaukonzept sei noch in Arbeit, wird mir mitgeteilt. Projektleiter Yannick Scherer von Rapp schreibt dazu auf meine Anfrage: “Diese Massnahmen werden gemeinsam mit den zuständigen kantonalen Fachbehörden im Zuge der Baubewilligung definiert und vor Ort umgesetzt. Die Umsetzung wird durch Fachpersonal auf der Baustelle kontrolliert.” Schadstoffexperte Daniel Bürgi konkretisiert, wie der Abbruch auszusehen habe: Es brauche zwingend “organisatorische Schutzmassnahmen (z.B. Einsetzung einer Fachbauleitung Schadstoffe), technische Schutzmassnahmen (z.B. Einsatz von Direktabsaugung, Unterdruck etc.) und persönliche Schutzmassnahmen (z.B. Verwendung von Schutzmasken und Schutzbekleidung).”
Demolition with or without a cause!? Ich weiss es nicht. Aus dem Ausrufezeichen wird ein Fragezeichen. Komplexität und Widerspruch. Den faktischen Beweis, dass eine Zwischennutzung nicht möglich sei, konnte ich nur teilweise nachvollziehen. Die im Abbruchgesuch für die Öffentlichkeit ersichtliche Datenlage ist zu dünn. Die ausführlichen Erklärungen von Schadstoffexperte Daniel Bürgi waren hingegen aufschlussreich. Seiner Meinung wäre eine Umnutzung rein technisch möglich: “Eine wirksame Versiegelung der Belastung würde eine vollflächige, gasdichte Versiegelung aller Wände, Böden und Decken erfordern.” Es ist eine Frage des Aufwands: “Die entsprechende technische Umsetzung wäre äusserst aufwändig.” Offen bleibt, weshalb die ebenfalls kontaminierten Untergeschosse nicht rückgebaut werden. Die Altlasten im Untergrund sind die wahrscheinlich grösste Black Box auf dem Kybeck. Davon lässt man (vorerst) lieber die Finger.
Fakt ist: Mit dem Abbruchgesuch hat die Rhystadt das Tempo im Klybeck angezogen. Sie kritisiert die Langsamkeit, das “aufwändige Planverfahren”. Auf das ganze Areal bezogen stellt sich die grundsätzliche Frage: Was bedeutet das einseitige Vorpreschen für die Planungspartnerschaft? Welchen Wert hat das Leitbild vom Herbst des vergangenen Jahres noch? Rhystadts angedrohte Prüfung von “alternativen Entwicklungsszenarien für das ganze Klybeck-Areal” untergräbt dessen Verbindlichkeit – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung. Was hinter verschlossenen Türen verhandelt wird, steht auf einem anderen Blatt geschrieben. Die ganze Wahrheit bleibt auch nach dem Gang an den Münsterplatz im Dunkeln.
Text: Lukas Gruntz / Architektur Basel