Altes Gewohntes in neuer Umgebung

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Vom Elternhaus in die erste eigene Wohnung oder ins WG-Zimmer, in die Familienwohnung, ja vielleicht sogar ins Eigenheim. Die meisten von uns ziehen mehrmals im Leben um, sei es aus finanziellen Gründen oder weil die Familienplanung andere Ansprüche stellt. Worüber wir uns aber meist erst Gedanken machen, wenn es so weit ist: Was geschieht, wenn es uns im Alter nicht mehr möglich ist, die eigenen vier Wände zu bewohnen? Der Umzug, beispielsweise in ein Alterswohnheim, geschieht in vielen Fällen überstürzt. Die Frage, welche persönlichen Gegenstände, Einrichtungen oder Möbel mitkommen, erledigt sich meist von selbst: Das Nötigste. Meistens ein schwieriger Prozess. Nicht nur für die betroffene Person selbst, sondern auch für die Angehörigen.

Dass dies nicht zwingend so sein muss, zeigt die Geschichte einer Dame aus Riehen. Wer sie ist und wo genau sie wohnte ist nicht wichtig. Was wir aber wissen: Sie ist noch gut im Schuss und hat sich dem Thema des eigenen Umzugs in eine Altersresidenz bereits früh angenommen. Mit den Jahren wurde ihr das eigene Haus in ländlicher Umgebung zu gross, zu umständlich wurden die 300 m2 Wohnfläche, verteilt auf 6 Zimmer in 3 Geschossen. Dazu kommt die Hochparterre-Situation. Eine Lösung musste her. Gesucht war eine Wohnung in einer Altersresidenz. Und eine solche wurde dann auch gefunden. Am Bahnhof in Basel mit Blick über das Gleisfeld. Die Sache ist halt die: Die neue Bleibe bietet noch 2.5 Zimmer auf 60 m2. Als Bücherliebhaberin besass die Dame eine riesige Bücherwand aus Nussbaum und entsprechend viel Lesestoff. Aber auch Sammlerstücke, Bilder, Pflanzen, Stehlampen, Möbel, Teppiche…

Die Küche wird durch ein zusätzliches Möbel mit Arbeitsfläche aufgewertet © Oliver Thommen

Die Küche wird durch ein zusätzliches Möbel mit Arbeitsfläche aufgewertet © Oliver Thommen

«Die Dame ist mit dem Wunsch auf uns zugekommen, ihre neue Wohnung in der Altersresidenz zu möblieren», erzählt Innenarchitekt Martin Heiniger. Zusammen mit Thea Matošević führt er ein Büro für Architektur und Innenarchitektur am Stapfelberg in Basel. Ich bin bei HPAI eingeladen. In der Ecke schläft ein Hund. Es gibt Kaffee. «Im Wesentlichen ging es darum, Stauraum für eine ganze Palette an Gegenständen von der Kerze bis zum Esstisch zu entwerfen. Und zwar Stauraum in Form von Möbeln, die mit den Eigenschaften der neuen Wohnung einhergehen, die bestehenden räumlichen Qualitäten nutzen und wo gewünscht verbessern.»

Die Ausgangslage war keine Einfache: Die Wohnung im 9. Stock bietet praktisch keine Stellfläche an den Wänden. Die Küche besetzt die eine Seite, eine Fensterfront und ein Balkon weitere, die Garderobe und die Tür ins abgetrennte Schlafzimmer die letzte Wand. «Wir begannen damit, die Wohnung zu zonieren, etwa sollte ein Möbel mit Arbeitsfläche die Küche erweitern, aber gleichzeitig vom Wohnraum her nutzbar sein. Der Einblick über die bodenebenen Fenster war ein Thema. Es bot sich an, weitere Möbel vor den Fenstern zu platzieren.» Dabei aber verstellten Heiniger und Matošević die Fenster nicht, sondern liessen einen Abstand als Durchgang und leuchteten diesen mit einem LED-Streifen auf der Rückseite der Möbel aus.

Der Nussbaumtisch schaffte es nach Basel in die neue Wohnung © Oliver Thommen

Der Nussbaumtisch schaffte es nach Basel in die neue Wohnung © Oliver Thommen

Neben den vielen kleinen Objekten, die ihren Platz in und auf den neuen Möbeln finden sollten, schafften es ein Nussbaumtisch mit den dazugehörigen Stühlen nach Basel, sowie zwei grosse Perserteppiche und eine Deckenlampe. «Natürlich passte die Position des Elektroanschlusses dafür nicht», lacht Heiniger, «die Grundrisse sind nicht für unser Konzept ausgelegt.» Dabei liesse sich die Wohnung sehen. Weissputz an den Wänden und ein Eichenparkett als Bodenbelag. Die Stütze ist anthrazitgrau. Umstreichen verboten. Vorgabe von Herzog & de Meuron, den Architekten des Südparks. Kein Problem für die rüstige Dame. Sie lässt passende Tages- und Nachtvorhänge schneidern. Kein Problem auch für HPAI. «Die Initiative, etwas zu unternehmen ist von ihr ausgegangen sagt Martin Heiniger, «immer ist sie positiv eingestellt gewesen. Sie hat uns völlig vertraut.» Er fügt an: «Uns allen hat das Projekt enorm Spass gemacht».

Nicht nur Staufläche, sondern vorallem Platz für Erinnerungsstücke © Oliver Thommen

Nicht nur Staufläche, sondern vorallem Platz für Erinnerungsstücke © Oliver Thommen

Die Dame mag zwar Rentnerin sein, aber keine von gestern. Die Möbel mussten teilweise etwa mit Stromanschlüssen für den Drucker und Laptop ausgerüstet sein. Inklusive Verstaumöglichkeiten für ebendiese Geräte. Schliesslich soll immer alles schön aufgeräumt sein. Selbstverständlich war das Ganze aber auch nicht ganz günstig. Dafür eine Investition in eine persönliche Umgebung zum Wohlfühlen.

 

Viel Wände und Fenster – keine einfache Ausgangslage für ein Möbelierungskonzept © HPAI

Viel Wände und Fenster – keine einfache Ausgangslage für ein Möbelierungskonzept © HPAI

Die Möbel selbst bestehen aus verzapftem und verleimtem MDF. Die Oberflächen sind sandfarben gespritzt. Im grossen Wandregal und als Ablage im Bereich des Küchenmöbels kommt Glas zum Einsatz. Teilweise sind die Möbel beleuchtet. Die Sockel sind zurückgesetzt und nehmen die Materialität des Eichenparketts auf. Die Möbel sind jeweils 83 cm hoch, bei einer lichten Raumhöhe von 2.55 m. Mit einer Tiefe von 55 cm kann viel verstaut werden. Auch ein Sofa trat die Reise nach Basel an. Schnell wurde aber klar: Es passt doch nicht ganz. Von der alten Bücherwand aus Nussbaum hat sich die Dame bereits in Riehen verabschiedet. Doch habe sie dem Vergangenen nie nachgetrauert, meint Martin Heiniger, stets habe sie in die Zukunft geblickt. Und so sind die Möbel gemeinsam im Dialog entstanden. Vier Möbel im Wohnraum, eines im Bad und zwei im Schlafzimmer.

Die neuen Möbel erfüllen ganz spezifische Funktionen © HPAI

Die neuen Möbel erfüllen ganz spezifische Funktionen © HPAI

Die neuen Möbel sind mehr als nur einfache Möbel, die ohne Grund irgendwo stehen. Sie sind dort, wo der Raum sie möchte und sie erträgt. Sie stehen dort, wo sie den Raum unterstützen, aber sie sind entworfen nach funktionalen Aspekten, denn sie bilden nicht nur einen Hintergrund, sondern spielen eine aktive Rolle im Leben der Dame. Als Stauraum, Raumtrenner, Ablage- und Arbeitsfläche oder Arbeitsbereich. Das Wichtigste aber: Sie ermöglichen ihr, die Objekte, an denen so manche Erinnerung hängt, weiterhin um sich zu haben. «Sie ist stolz auf ihre Wohnung,» schliesst Martin Heiniger und trinkt den Kaffee aus. Der Hund blickt erwartungsvoll zu uns rüber.

Text: Simon Heiniger / Architektur Basel


Fotos © Oliver Thommen
Pläne © HPAI Heiniger + Partner Architekten Innenarchitekten GmbH

 

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