PETITION GAV ARCHITEKTUR

Architektur im Wandel der Zeit – Ruth Giger über ihr Berufsverständnis

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In unserem Portrait befassen wir uns mit dem veränderten Berufsbild  und der Vielfalt möglicher Fragestellungen und Herangehensweisen im Architekturberuf. Für unser soziologisches Portrait haben wir das Büro «Amrein Giger Architekten» in Basel ausgewählt. Wir entschieden uns für dieses Büro aufgrund seiner reichen Arbeitserfahrung, der interessanten Projekte und der Organisation als KMU.

Ruth Giger wurde 1963 im Aargau geboren und schloss 1989 ihr Diplom als Architektin HTL in Muttenz ab. Zum Berufswunsch «Architektin» kam sie während der Ausbildung zur Hochbauzeichnerin. Ihre Stärken lagen in Mathematik, Geometrie und Gestalten. Im Studium fand sie es spannend, etwas von der Idee bis zur Realisierung zu entwickeln. Noch heute findet sie die Bauphase am schönsten: Man kommt auf die Baustelle, steht im Rohbau und spürt die Räume, die man entworfen hat.

Eine Krise als Chance genutzt
Nach ihrem Diplom arbeitete Ruth Giger als Angestellte in Architekturbüros und sammelte Praxiserfahrung. Da sich in den 1990er Jahren die wirtschaftliche Lage verschlechterte und Ruth Giger nur noch in Kurzarbeit beschäftigt war, nahm sie zusammen mit ihrem Lebenspartner Crispin Amrein an einem Wettbewerb teil: Die beiden gewannen den zweiten Platz. Das war das Fundament für ihre Entscheidung, zusammen 1994 ein Büro zu gründen. Fünf Jahre später, 1999, gewannen sie ihren ersten grossen Wettbewerb. Seither sind viele Preise und Projekte hinzugekommen.

In ihrem Büro spielten ökologische Themen von Beginn an eine wichtige Rolle. Amrein Giger Architekten machten sich zunächst Gedanken über die Materialisierung; die Verwendung natürlicher, langlebiger Materialien wurde ihnen zu einem zentralen Anliegen. Darüber hinaus interessieren sie sich für alternative Energien. Nebst der ökologischen Nachhaltigkeit berücksichtigt das Architekturbüro soziale Themen und fragt sich, wie sich eine lebenswerte Umwelt für das Zusammenleben der Menschen schaffen lässt. Deshalb werden viele Projekte für soziale Institutionen realisiert. Dabei stellen sich zentrale Fragen: Wie können wir eine gute Atmosphäre schaffen? In welchem Umfeld fühlen sich die Menschen wohl? Und wo kann man sich gemeinsam aufhalten? Bei Überbauungsplänen gilt das Interesse von Ruth Giger immer den verschiedenen Lebens- und Wohnformen, z.B. Alleinerziehenden, Patchworkfamilien oder Wohngemein­schaften. Es sollen möglichst flexible Wohnungen entstehen, die keine funktional eindeutig zugeordneten Räume haben, sondern sich den Anforderungen der Bewohnerinnen und Bewohner anpassen.

Von der Praxis zur Theorie
Ruth Gigers Erfahrungen nach hat sich die Arbeit der Architekturschaffenden in den letzten Jahren verändert. Heute müssen sämtliche Vereinbarungen und Besprechungen schriftlich dokumentiert, jede Sitzung muss protokolliert werden, wodurch der administrative Aufwand enorm zugenommen hat. Andererseits habe man die Möglichkeit, mit CAD viele Varianten aufzuzeigen, bis die ideale Lösung gefunden sei. Bei der Bürogründung wurden die Pläne von Hand mit Tusche gezeichnet. Die Entwürfe wurden systematisch, pragmatisch und ressourcenschonend konstruiert. Dadurch, dass heutzutage am PC gearbeitet wird, nimmt man die Lösungen der Anderen weniger wahr. Daher ist die Kommunikation anders als früher. Mit Teambesprechungen kann der Austausch bewusster gefördert werden. Früher begann die Entwurfsphase noch mit Skizzen, heute wird mit Diskussionen gestartet. Der Fokus liegt bei der theoretischen Analyse der Aufgabenstellung und Herausforderungen.

Architektinnen und Architekten haben heute mit mehr Spezialistinnen und Spezialisten zu tun als früher. Dadurch, dass Brandschutzplaner, Geologinnen, Geomatiker etc. in einem Team zusammenarbeiten, ist der Arbeitsprozess komplexer geworden. Der Zeichnungsaufwand auf Architekturseite ist geschrumpft; das Zeichnen technischer Pläne ist nur noch ein kleiner Teil des Gesamtaufwands. Als wichtige neue Aufgabe hinzu gekommen ist die Kommunikation: Es müssen Informationen eingeholt, koordiniert und abgestimmt werden, bevor sie in die technischen Pläne einfliessen. Für digitale Visualisierungen wird ein externer Partner beauftragt.

Portrait von Architektin Ruth Giger © amreingiger.ch

Modelle für die Teamarbeit
Ruth Giger bevorzugt das Arbeiten mit Modellen, um die farbliche und räumliche Wirkung zu überprüfen. Das Anpassen am Modell ist einfacher vorzunehmen. Es ist abstrakter. Genau mit dieser Abstraktheit zu arbeiten, ist ihre Stärke. Am Modell arbeitet man als Team und Ideen fliessen gemeinsam ein, während die Visualisierung eine Einzelarbeit ist. BIM ist in ihrem Büro noch kein Thema. Ihre Projekte sind für diese Methode nicht prädestiniert, da sie eher klein sind und der Planungsaufwand mit BIM zu gross würde. Ruth Giger ist aber davon überzeugt, dass sich BIM überall durchsetzen wird.

«Amrein Giger Architekten» sind für uns ein vorbildliches Büro, das sich intensiv mit Nachhaltigkeit und sozialen Aspekten auseinandersetzt. Zusätzlich hat das Büro viel Erfahrung gesammelt, wie nachhaltige und tolle Projekte realisiert werden. Rückblickend war das Gespräch mit Ruth Giger sehr spannend und bereichernd. Die Auseinandersetzung mit dem heutigen Berufsbild einer Architektin anhand eines soziologischen Portraits hat uns Themen wie den Klimawandel sowie die ökologische und soziale Nachhaltigkeit nähergebracht.

Text: Von Gabriela Füglistaller und Maiphuong Trinh

Dieser Text entstand am Institut Architektur FHNW im Frühlingssemester 2020, im Rahmen der Lehrveranstaltung in Sozialwissenschaften zum Thema «The Image of the Architect». Auf der Suche nach neuen Berufsbildern.

 

 

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