Entwerfen, wie geht das eigentlich? Autor Silvano Ursella erinnert sich ein paar Jahre zurück an sein erstes Jahr im Studium. Wie geht man an eine konkrete Entwurfsaufgabe heran? Er beobachtet und stellt fest: alle begreifen das Thema unterschiedlich. Mal über den Ort, mal über die Konstruktion, mal über das Baugesetz. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Dennoch fragt er sich: Gibt es eine davon unabhängige Vorgehensweise? Die Frage lässt ihn nicht los und er beschliesst, mit Architektinnen und Architekten verschiedener Büros darüber zu sprechen; mit bereits etablierten, aber auch jungen Büros.
Ursella konfrontiert seine Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner alle mit dem gleichen Fragenkatalog zu den Themen Architektur im Allgemeinen, Entwurf, Raum und Struktur, Schönheit und Umsetzung. Mal sind die Fragen eher offen gehalten: «Welche Bedeutung hat die Tektonik in Ihren Arbeiten?», mal eher von konkreter Natur: «Braucht es mehr Bauvorschriften oder sollte die Architektur wieder grössere Freiräume erhalten?»
«Aktuell gibt es so unglaublich viele Bilder, die überhaupt nicht wehtun, wo alles nett ist und viele Farben drin sind, und eigentlich ist das alles nur Bestätigung eines gewissen Geschmacks, der niemandem wehtut und keine Risiken eingeht. Da stellt sich die Frage: Wie lange halten alle diese Bilder? Wenn man es pessimistisch betrachtet, ist alles nur noch eine Wolke und bedeutet nichts mehr.»
(Oliver Lütjens & Thomas Padmanabhan)
Zu Gesprächen hat sich Silvano Ursella mit Roger Boltshauser, Christian Kerez, Andreas Bründler, Barbara Buser, Oliver Lütjens und Thomas Padmanabhan, Steffen Hägele und Tina Küng, Annette Gigon und Stefan Wülser getroffen. Es sei ihm nicht darum gegangen, über konkrete Projekte der jeweiligen Architektinnen und Architekten zu reden, schreibt Ursella, interessiere ihn doch genau die projektunabhängige Herangehensweise. Und so haben ihm seine Gegenüber auch geantwortet. Bei der Lektüre wird klar: Ursella hat sich mit dem Gesagten auseinandergesetzt. Beim vorliegenden Buch handelt es sich nicht um ein simples Frage-Antwort-Interview, sondern um einen differenziert verfassten Text. Mal lässt Ursella seine Gegenüber selbst zu Wort kommen, mal umschreibt er deren Gedanken. Wo für eine Erklärung dennoch ein Projekt herangezogen werden muss, findet aber auch dieses Platz.
«Der konstruktiv korrekte und nachvollziehbare Einsatz der Materialien ist nach wie vor erstrebenswert und in unserem Kulturraum ein hohes Gut. Allerdings verklärt die Betonbauweise oftmals die konstruktiven Abhängigkeiten – deren «innere Werte», wenn man so will. Wie beispielsweise bei grossen Spannweiten der Kräfteverlauf erfolgt, tritt bei den meisten Betonkonstruktionen nicht direkt an die Oberfläche. Andere Konstruktionsweisen wie Stabstrukturen sind da deutlich klarer lesbar und erzeugen eine spezifische Tektonik.»
(Andreas Bründler)
«Es gibt Projekte, bei denen man mit einer starken Idee begonnen hat, die sich als tragfähig erwies. Dann wieder gibt es Projekte, bei denen man gerungen hat und die man immer wieder infrage stellen musste, bis das Konzept stimmig war. Die haben aber durch die Reibung zusätzliche Energie bekommen. Und es gibt Projekte, die heterogen geblieben sind, aber aus den Brüchen heraus Kraft und Komplexität schöpfen.»
(Annette Gigon)
Nach der Lektüre drängt sich die Frage auf, ob Ursella denn nun tatsächlich auf einen gemeinsamen Nenner im Universum des Entwurfs gestossen ist. Natürlich nicht. Und das ist auch in Ordnung so. Was bliebe uns denn tagtäglich an Einfallsreichtum übrig, wenn es eine einfache Formel für Architektur gäbe. Interessant sind die Gespräche allemal.
Text: Simon Heiniger / Architektur Basel
Silvano Ursella (Hrsg.)
Architektur machen. Schweizer Architekturschaffende im Gespräch
120 Seiten, 57 Abbildungen, 10 Pläne
fadengeheftete Broschur, 16.5 × 23 cm
©2023 Quart Verlag GmbH
CHF 48.- / EUR 48.-
ISBN 978-3-03761-282-8