Der Novartis Campus ist längst zu einem international anerkannten Architektur-Eldorado geworden. Die Campus Tour ist bei Architekturfans aus Porto, Tokio und Los Angeles gleichermassen gefragt und beliebt. Für leichte Irritation der Gäste sorgte bis anhin das Fehlen eines Gebäudes der Basler Stararchitekten Herzog & de Meuron. Dem wurde nun Abhilfe geschaffen. Und wie. Die Architekten akzentuieren mit einem elegant-transparenten, 63 Meter hohen Haus den Auftakt des Firmenareals zum Rhein hin. Sie setzen sich damit über die Vorgabe einer Bebauungshöhe von maximal 23,5 Meter hinweg – ein städtebaulich nachvollziehbarer, architektonisch sensibel umgesetzter Entscheid.
Der neuste Band der Novartis Campus-Reihe des Christoph Merian Verlags widmet sich dem nach seiner Adresse ‚Asklepios 8‘ benannten Bau. In einer theoretischen Aufarbeitung liefert Herausgeberin Ulrike Jehle-Schulte Strathaus im ersten Teil den Schlüssel zum architektonischen Verständnis: „Zum Eindruck von Leichtigkeit, Transparenz und Eleganz trägt ganz wesentlich auch die Farbe Weiss bei. Alles, abgesehen von den Glasflächen und Böden im Inneren, ist weiss gestrichen. Hell, nahezu strahlend, im Sonnenlicht fast blendend erscheint der Bau.“ Umso spannender ist die Tatsache, dass die Fassade zu Beginn schwarz geplant war. Das Bild eines schwarz gestrichenen Fassaden Mock-Ups liefert den Beweis. Wieso wurde es am Ende doch die Farbe Weiss gewählt? Die Autorin entwickelt die These, dass ein schwarzes Hochhaus im Kontrast zu den weissen Bändern des Roche-Turm eine banale Leseart ermöglicht hätte: Weiss und Schwarz, Gut und Böse. Ob dem wirklich so ist, bleibt das Geheimnis der am Bau direkt Beteiligten.
Dass das Haus eine elegante Leichtigkeit ausstrahlt, hat nicht nur mit der Farbwahl zu tun. Die vielen vertikalen Stützen erzeugen dank eines ausgeklügelten, dreidimensionalen Rasters den Eindruck von Durchlässigkeit. Die Anordnung der Stützen erscheint für das menschliche Auge willkürlich, irritierend, was den Eindruck der Leichtigkeit verstärkt. Ein weiterer Kniff der Architekten: Stützen wurden gebündelt. So stehen anstatt einer massiven Stütze, drei schlanke nahe beisammen –die statischen Anforderungen bleiben gleichermassen erfüllt. Zudem wurde für die Verglasung wenig reflektierendes, besonders transparentes Weissglas gewählt. „Das Glas tritt als Material so nicht in Erscheinung. Es wird in seiner eigentlichen ursprünglichen Funktion als ‚nicht existierende Materie‘ eingesetzt, die – im wörtlichen Sinn – durchschaubar ist und damit grösstmögliche Transparenz schafft.“
Das Buch würdigt auch die Kunst am Bau: Jacqueline Burckhardt bespricht den „Oscillation Bench“ des dänisch-isländischen Künstlers Olafur Eliasson. Die banale Funktion einer Sitzbank wird zum paradoxen Bild eines gigantischen, versteinerten Tropfens im Augenblick seines Aufpralls ins Wasser. „Oscillation Bench ist somit Kunstwerk und Nutzobjekt in einem. Sie bildet einen offenen Raum, einen Ort der Begegnung, des Gedankenaustauschs ohne hierarchische Sitzordnung, in dem gedankliche und affektive Impulse erzeugt werden können, die, metaphorisch gesprochen, Wellen schlagen.“ Genauso lesenswert sind die Ausführungen zum Werk „Muschel (Hellgrün)“ der deutschen Künstlerin Katharina Fritsch. Fast drei Meter hoch ist die Muschel, aus Bronze gegossen und in monochrom-tuchmattem Hellgrün lackiert. Sie steht an prominenter Stelle über dem Restaurant an der öffentlichen Rheinpromenade und erinnert „durch ihre aufrechte Form an eine Schutzmantel-madonna, wobei die Zacken noch den Eindruck verstärken, dass hier die Gefahr gebannt sein will.“
Der zweisprachig verfasste Band besticht mit einer Vielzahl Fotografien der Münchner Fotografin Erica Overmeer, die in den frühen 90er-Jahren selbst Mitarbeiterin bei Herzog & de Meuron war. Ihre Fotografien bestätigen das zuvor gelesene: Der Bau fasziniert durch elegante Transparenz und visuelle Vielschichtigkeit. Insbesondere die Aufnahmen bei Nacht und Dämmerung sind sehenswert. Die Fotografien der Innenräume – mit Ausnahme des Restaurants – hingegen zeigen eine eher kalte, synthetische Stimmung. Dem wirken das sägerohe Riemenparkett aus Eiche und die Loungebereiche mit üppiger Bepflanzung entgegen.
Ein umfangreiches Inventar aus Plänen, Konstruktionszeichnungen und Schemata schliessen den Band ab. Die ausführliche Dokumentation sämtlicher bautechnischen Aspekte, sei es Akustik, Signaletik oder Verglasung, ist insbesondere für Fachleute lesenswert. Zu erwähnen sei an dieser Stelle die vorbildliche Energieversorgung des Baus: Sämtliche für Wärme- und Kälteerzeugung benötigte Energie wird durch ein Geothermiefeld im Erdreich, Fernwärme eines firmeninternen Verbrennungswerks und Abwärme aus Produktionsstätten gewonnen.
Der Band bietet Grund zur (Vor-)Freude: Bei den Architekturfans aus Porto, Tokio und Los Angeles auf die Besichtigung einer weiteren architektonischen Sehenswürdigkeit, bei den Bewohner der Stadt Basel auf die Eröffnung des Rheinuferwegs mit Restaurant im kommenden Frühjahr.
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Christoph Merian Verlag
Ulrike Jehle-Schulte Strathaus (Hg.)
Novartis Campus – Asklepios 8
Herzog & de Meuron
112 Seiten, 92 farbige Abbildungen und Pläne, in Leinen gebunden
24 x 31 cm, Deutsch/Englisch
CHF 54.– / € 49,–