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Balanced Structures – Mehr Anerkennung für die Bauingenieur:innen

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Das Bauingenieurbüro Schnetzer Puskas feierte im Jahr 2023 sein 70-jähriges Bestehen. Ein würdiger Anlass für eine Festschrift mit einem Rückblick auf die bisherige Arbeit, eine Aussicht auf künftige Projekte und mit einem Fokus auf die aktuellen Themen des Ingenieurwesens durch interessante Essays.

Entstanden ist ein handliches, hochwertiges Buch aus dem Hause Simonett & Baer mit einem wunderbaren Leineneinband, blau in deutsch und grau in englisch. Die Auflage ist limitiert und auf dem Buchrücken handschriftlich notiert, wie bei einem Kunstdruck. Dieses feine Detail steigert den Wert des Buches. Die Absicht hinter der Publikation, so heisst es, sei junge Leute für den Beruf als Bauingenieur:in zu begeistern – scheinbar fehlt es an Interessent:innen für das Studium. Ob dieses Buch genug niederschwellig ist für ein solches Vorhaben, sei offengelassen. Wie ein roter Faden durch das Buch zieht sich das Gefühl, dass die Bauingenieur:innen im Verhältnis zu den Architekt:innen wohl oft zu wenig Anerkennung für ihre Leistungen erfahren.

Diesem Aspekt wirkt neben dem Buch die zeitgleiche Ausstellung in der Architektur Galerie Berlin entgegen, die mit «Schnetzer Puskas Ingenieure. Balanced Structures» erstmals die Arbeit eines Ingenieurbüros zeigt. Die Ausstellung läuft seit dem 5. September und ist noch bis am 12. Oktober zu sehen. Am 9. Oktober findet ein Galeriegespräch statt, das auch live über den Instagram-Kanal der Galerie übertragen wird.

Gespräch: 9. Oktober 2024, 19 Uhr (auch online)

Ulrike Dix,  AFF Architekten
Anke Lawrence,  Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung BBR
Kevin Rahner,  Schnetzer Puskas Ingenieure
Moderation: Angelika Hinterbrandner,  Journalistin

Schnetzer Puskas Ingenieure: Balanced Structure, Architektur Galerie Berlin, Foto © Jan Bitter

Schnetzer Puskas Ingenieure: Balanced Structure, Architektur Galerie Berlin, Foto © Jan Bitter

 

Zum Buch

Nach der Einleitung macht ein kurzer Abriss «Vom Baumeister zum modernen Tragwerksplaner» den Auftakt und zeigt in einer schönen Bildfolge die wichtigsten und beeindruckendsten Ingenieurleistungen der Baugeschichte – Bilder die man allesamt aus dem Architekturgeschichte Unterricht kennt, in der Reihung aber schön zeigen, dass besonderes entsteht, wenn eine harmonische Zusammenarbeit zwischen Ingenieuren und Architektinnen stattfindet.

Wie für eine Festschrift üblich gibt es ein Portrait über den Gründervater Heinz Hossedorf und seine Pionierleistungen. Es folgt die Übergabe an seine leitenden Mitarbeiter, Weiss- Guillod – Gisi, in diese Zeit fällt beispielsweise die eindrücklich dünne Betonembrane als Dach über dem Foyer des Stadttheaters. Ab den 2000er Jahre übernehmen die beiden heutigen Namensgeber, Heinrich Schnetzer und Tividar Puskas das Ruder. Das Buch veranschaulicht die Bürogeschichte bis hin zu aktuellen Portraits der Geschäftsleitung und den Mitarbeiter:innen an den verschiedenen Standorten. Hier merkt man dem Buch gut an, dass es nicht nur Inhalte vermittelt, sondern auch Kommunikations- und Marketingzwecke erfüllen möchte.

Im nächsten Buchteil werden die herausragenden Bauten der letzten Jahre gezeigt und jeweils mit einem kurzen Beschrieb den Fokus auf die Besonderheiten der Ingenieurleistungen in den Projekten gelegt. Immer wieder wird auf den nötigen, produktiven Dialog zwischen den beiden Disziplinen des Bauingenieurwesens und der Architektur hingewiesen und aufgezeigt, dass sich dem Betrachter der Beitrag des Ingenieurs oft nicht direkt oder augenscheinlich erschliesst.

Da wo die Schrift kleiner und der Inhalt dichter wird

Spannend wird das Buch ab Seite 143 mit den Essays zu aktuellen Themen des Ingenieurwesens und den Gastbeiträgen von Proffesor:innen, Architekt:innen, Kunstschaffenden und Ingenieuren. Hier schafft das Buch wichtige Diskurse für die Disziplin anzustossen.
Den Anfang macht Jeanette Kuo mit einem Essay über die konstruktive Sprache. «Wir wurden dazu ausgebildet, Spezialisten und Experten zu sein, aber für viele umfasst die Ausbildung nicht unbedingt die Methoden der Kommunikation, um dies einfach zu vermitteln.» Die Ausbildung habe den Schwerpunkt auf das disziplinspezifische Fachjargon gelegt, was eher trennend als vereinend wirke. Sie fordert die nötigen Mittel in der Ausbildung, um die gemeinsame Sprache zu trainieren und eine gegenseitige Neugierde zu schaffen.


Pierre de Meuron beginnt im Intro mit etwas Physik, um schliesslich bei seiner ersten Begegnung mit Heinz Hossedorf zu landen. Anhand der Zusammenarbeit bei der Elbphilharmonie zeigt er die Wechselwirkung und das gegenseitige Bedingen der beiden Disziplinen.
Emanuel Christ erklärt, wie er mit den Ingenieuren die innere Ordnung sucht und findet. «Wenn wir das Tragwerk diskutieren, geht es aus meiner Sicht gar nicht in erster Linie um technische Machbarkeit, sondern vielmehr um das, was ein Projekt im Innern zusammenhält: die formale und strukturelle Logik, das Form- und Strukturprinzip eines jeden Gebäudes.
Elli Mosayebi schreibt über «Entwerfen als Entwickeln». Heute ist die Architektur interdisziplinär, sie erklärt, dass dieser Ansatz zu ihren Studienzeiten und unter dem Vermächtnis von Rossis Autonomer Architektur nicht allseitig anerkannt war. «Gleichwohl hat die Betonung der Autonomie im Licht aktueller, komplexer, ökologischer Krisen ihre Grenzen.» Mosayebi zeigt das Vorgehen bei den Entwurfsprozessen anhand einer Analogie eines Spinnennetzes, in das sich unterschiedlichste Themen einspinnen und einen sinnvollen Zusammenhang suchen.
Philippe Block erklärt uns die Schlüsselelemente der Baukonstruktion: Effizienz, Wirtschaftlichkeit, Eleganz, wie sie schon die Baumeister der vergangenen zwei Jahrhunderte kannten und nennt Robert Maillart oder Pier Luigi Nervi. Hinzu fügt er die beiden Elemente Umwelt und Ethik und fordert zwingend Konstruktionsingenieure, die nicht nur die Pläne der Architekten abzeichnen. «Wir dürfen nicht in einer passiven Rolle verharren und uns mit der Rolle des «Dienstleisters» zufriedengeben, der Gebäude (nur) sicher konstruiert, wir müssen das Steuer übernehmen, um eine bessere Zukunft zu bauen.» Er zielt dabei auf eine effiziente und effektive Kreislaufbauweise ab.
Andreas Ruby vergleicht in seinem Essay den Bauingenieur mit dem Musikproduzenten und lässt uns einen Ausflug in die Musikgeschichte machen und Roger Boltshauser stellt die wichtigen Fragen: «Wie verdichten wir Städte qualitativ hochstehend? Wie bauen wir mit ökologischen Materialien? Wie gelingt es uns, traditionelle Baustoffe weiterzuentwickeln?»
Schliesslich enden die Essays mit einem Text von Heinrich Schnetzer über «Konstruktive Kreativität». Diese beinhalte das Denken ausserhalb der Box, das Erkennen von Mustern und Zusammenhängen sowie das Finden neuer Perspektiven.

Ein Buch, das den herausfordernden Balance-Akt disziplinübergreifend zu denken und danach allen Beteiligten die nötige Aufmerksamkeit und Anerkennung am gemeinsamen Werk zukommen zu lassen eingehend aufzeigt und so Anstoss sein kann, sich vermehrt darin zu üben.


Herausgeber: Dino Simonett, Tivadar Puskas
Texte: Tivadar Puskas, Kevin Rahner, Stefan Bänziger, Jan Stebler, Salome Hug, Giotto Messi

Essays: Philippe Block, Roger Boltshauser, Pierre de Meuron, Emanuel Christ, Andrea Frangi, Jeannette Kuo, Klaus Littmann, Elli Mosayebi, Reiner Müller, Andreas Ruby, Mike Schlaich, Heinrich Schnetzer, Sarah Springman


Text: Christina Leibundgut / Architektur Basel

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