«Die Landschaft ist ein Konstrukt – Und mit diesem schrecklichen Wort soll nichts anderes gesagt sein, als dass die Landschaft nicht in den Erscheinungen der Umwelt zu suchen ist, sondern in den Köpfen der Betrachter.» Das hat Lucius Burckhardt 1979 behauptet, als er sich beim Spazieren gefragt hat, was Landschaft denn eigentlich sei und weshalb sie schön ist. Autor Lukas Schmutz hat sich während den letzten zwei Jahren ebenfalls auf zum Spazieren gemacht. Nicht nur einmal, nein, ganze sechsundzwanzig Mal ist er mit ausgewählten Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner durch Basel gezogen und hat sich ganz genau notiert, wer die Stadt wie, weshalb und von wo wahrnimmt. Nun sind die Aufzeichnungen unter dem Titel «Basel, unterwegs. 26 Spaziergänge» erschienen.
«Was hier entsteht, darf nicht nach Retortenstadt aussehen, die in ein paar Jahren hochgezogen wurde, sondern muss den Bezug zur Geschichte klar zeigen.» Sarah Barth führt Schmutz durchs Klybeck: «K steht für Klybeck, 90 ist die Nummer, die das Gebäude im weitläufigen Ciba-Areal erhielt.» Für Barth steht das K90, das riesige Gebäude mit dem ikonischen Exoskelett für Nachhaltigkeit. Einen herausragenden Zeitzeugen der Industriegeschichte sei es, das K90, meint Barth und ist zuversichtlich, dass auch für diese Architektur dereinst eine neue Nutzung gefunden wird.
Sarah Barth ist keine Unbekannte in der Architekturszene. Und wer sie doch nicht kennt, lernt sie beim Lesen kennen. Lukas Schmutz mixt Architektur, Biografie, Stadtgeschichte und banale Alltagsbeobachtungen zu einer Spaziergangserzählung. Da gibts auch mal den Tisch gegenüber, mit allerlei Spielzeug drunter. Dann, ein roter Sonnenschirm und Nieselregen.
Wir blättern ein paar Spaziergänge weiter. Meinrad Morger empfängt Schmutz bei sich zuhause im «Haus Huber» in Riehen. Dazu gehört auch ein Garten, in dem es immer etwas zu tun gäbe, wie er sagt und meint: «Es ist ein radikales Manifest aus seiner Zeit.» Die beiden reden über Architektur, besser gesagt – Morger erzählt, Schmutz hört zu, schreibt nieder: Da sitzt nun Morger und beschreibt, was ihn so fasziniert an diesem Haus, das er 2013 gekauft und selbst restauriert hat. Das Beobachten und Beschreiben liegt Schmutz, nur um Sätze später wieder Zitate einzubinden: «Der ganze Baukörper, wie er gegliedert ist, ist einzigartig schön.» Doch genug vom Haus Huber. Die beiden schwingen sich auf die Velos – Morger auf sein Mountainbike notabene, wie Schmutz notiert – und fahren die Hackbergstrasse runter. Ab zur Siedlung Bündten von Michael Alder gehts und weiter in Richtung Friedhof Hörnli. Ein Spaziergang mit dem Velo. Das ändert aber nichts. Die stillen Nebenstrassen erlauben es, nebeneinander zu fahren, schreibt Schmutz und Morger erinnert sich zurück, wie lebendig er die Stadt als Ostschweizer damals empfand, als er bei Alder anfing, warum es ihm in Basel so gefiel. Die beiden blicken über die Lenker ihrer Velos über die Stadt. In der Ferne die Roche-Türme von Herzog & de Meuron.
Nicht zuletzt ging Schmutz auch mit letzteren beiden Spazieren. Pierre de Meuron führte ihn entlang des Kleinbasler Ufers vis-à-vis der Kraftwerkbrücke durchs Roche-Areal, Jacques Herzog trieb es genau in die entgegengesetzte Richtung rheinabwärts. Start am Bernoulli-Silo. Ziel beim Restaurant Rhyschänzli. Doch Schmutz suchte seine Gespräche nicht nur mit Architektinnen und Architekten. Das wäre langweilig – denn eine dröge Architekturvorlesung, die mit einem Zitat Vitruvs und einer Körperstudie Michelangelos beginnt, ist «Basel, unterwegs» ja ohnehin nicht. Vielleicht wird Lucius Burckhardt erwähnt… aber das geht in Ordnung. Nein, Lukas Schmutz spricht auch mit Caroline Schröder Field, seit 2011 Münsterpfarrerin, mit Sophie Bürgi, Geschlechterforscherin an der Uni Basel oder Manuel Battegay, seit 2002 Chefarzt für Infektiologie & Spitalhygiene am Unispital Basel. Und in eigener Sache: Auch Lukas Gruntz von architekturbasel.ch spaziert mit. Die unterschiedlichen Gespräche ordnet Schmutz übergeordnet in fünf geografische Themengebiete. Vom Bahnhof über die Altstadt bis hin zum Rhein. Zwei Karten zeigen die Anfangs- und Endpunkte der Spaziergänge.
Lukas Schmutz selbst wohnt in Basel. Während vier Jahren leitete er die Inlandredaktion der Basler Zeitung, danach wechselte er als Inlandchef zum Schweizer Radio SRF nach Bern. Seit 2018 ist er selbstständig. Er ist Historiker und Journalist. Und seit 2020 Spaziergänger. Sechsundzwanzig mal ist er durch die Stadt spaziert. Mit dem Fotoapparat, mal zu Fuss, mal mit dem Velo. Dabei ist ein abwechslungsreiches Buch entstanden. Eine kurzweilige Sammlung von teils persönlichen Gesprächen. Mal schweift der Blick in die Ferne, mal wird beschrieben, was in unmittelbarer Nähe abgeht. Dann wieder ein Hintergrundexkurs. Es ist nicht nur die frische Art und Weise, wie Schmutz die Stadt und ihre Architektur festhält, sondern auch sein ungewöhnlicher – ja bisweilen fast flapsiger Schreibstil, der dazu anregt, die Gespräche zu lesen. Ein Architekturbuch im weitesten Sinne. Aber ein anderes.
Basel – beobachtet durch die Augen von sechsundzwanzig verschiedenen Personen. Mal kreuzen sich ihre Spaziergänge, manchmal sprechen sie gar über dieselben Gebäude, aber immer beschäftigen sie die Dinge aus unterschiedlichen Gründen. Die Landschaft entsteht eben doch in den Köpfen der Betrachtenden. Wie war das nochmals mit Lucius Burckhardt?
Text: Simon Heiniger / Architektur Basel
Lukas Schmutz
Basel, unterwegs
26 Spaziergänge
360 Seiten, 256 farbige Abbildungen
gebunden, 14×21 cm
©2022 Christoph Merian Verlag
CHF 34.- / EUR 32.-
ISBN: 978-3-85616-969-5