Best of HdM: “Poesie und grosse Form”

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Best of-Alben sind eine zweischneidige Sache. Sie erscheinen am Ende von grossen Karrieren – und sind meistens ein wenig kuratiertes Sammelsurium der grössten Hits. Sie stehen aber auch für Erfolg und Relevanz. Ansonsten würde es sie gar nicht geben. Stanislaus von Moos und Arthur Rüegg haben ein Best of-Herzog & de Meuron publiziert. Es ist fast zweieinhalb Kilo schwer – und umfasst die fünfundzwanzig wichtigsten Bauten. Wir haben in das stolze Werk der grössten HdM-Hits hineingeschaut.

Fünfundzwanzig x Herzog & de Meuron
Die Frage stellt sich unweigerlich. Wie wählt man aus einem rund 600 Projekte umfassenden Oeuvre die bescheidene Anzahl von 25 Bauten aus? «Die Absicht war, anhand einer Auswahl von Werken die signifikantesten entwurfstheoretischen Leitlinien herauszuarbeiten und zugleich dem künstlerischen Anspruch oder dem, was wir darunter zu verstehen meinten, mit einer gezielten Selektion des umfangreichen Bildmaterials gerecht zu werden», beschreiben die beiden Autoren, Stanislaus von Moss und Arthur Rüegg, im Vorwort ihre Intention. Tatsächlich sind fast die Hälfte der ausgewählten Bauten inzwischen Architekturklassiker. Das Basler Frühwerk nimmt einen prominenten Platz ein: Angefangen beim kürzlich renovierten Fotostudio Frei über das legendäre Sperrholzhaus in Bottmingen – Projektleiterin war dort übrigens die Künstlerin Reneé Levi – bis zum wunderbaren Zentralstellwerk der SBB bei der Münchensteinerbrücke. Es folgte 1994 der grosse internationale Durchbruch: Der Wettbewerbsgewinn für die Tate Modern in London. Im Anschluss wird die Selektion global – und heterogen. Von repräsentativen Grossprojekten wie dem Nationalstadion in Peking, der Elbphilharmonie in Hamburg geht es zurück in die Region: mit dem Musée Unterlinden in Colmar oder dem Vitrahaus in Weil am Rhein. Fehlt ein relevanter Bau? Wir wollen ehrlich sein: aus Basler Sicht vermisst man das Haus an der Schützenmattstrasse, das Haus Schwitter an der Allschwilerstrasse und das SUVA-Haus, das bis heute ein relevanter Beitrag zum Thema Bauen im Bestand darstellt.

Fünfundzwanzig x Herzog & de Meuron
Die Gliederung des Buchs ist stringent: Nach einem selektiven Blick in das private Fotoarchiv von Pierre de Meuron – wobei die Aufnahmen von Kuppel- und Gewölbekonstruktionen besonders eindrücklich sind – folgen zwei architekturtheoretische Essays der beiden Autoren. Stanislaus von Moos geht anhand von zahlreichen Verweisen auf Referenzen aus Kunst und (postmoderner) Architektur der Frage der «Prazision der Unschärfe» im Werk von HdM nach. Er folgert: «Vielleicht mag das Medium Architektur heute gerade dort eine bisher kaum bekannte Form von Präzision zu erreichen, wo es ihm gelingt, das vordergründig undurchsichtige Geschiebe der Ausgangssituation in Poesie und grosse Form zu übertragen.» Im zweiten Essay befasst sich Arthur Rüegg mit dem «Spurenlesen» im umfassenden Werk, wobei der Auftakt eine Zeichnung des verworfenen Doppelhelix-Entwurfs für den ersten Roche Turm macht. Anhand von verschiedenen – gebauten und ungebauten Projekten – spürt er der Frage der Auseinandersetzung mit dem spezifischen Ort, seiner Geschichte und der «archäologischen Legitimation» nach. Auch hier spielt der Bezug zur Kunst eine wichtige Rolle: «Der entscheidende Moment sei die frühe Entdeckung der Minimal Art in einem Werk von Donald Judd gewesen.»

Fünfundzwanzig x Herzog & de Meuron
Der Kern des Buchs umfasst rund 300 Seiten: «Ein Katalog» der 25 selektierten Bauten. Ein kurzer Projektbeschrieb samt Referenzen führt das Bauwerk ein. Es folgt eine präzise Auswahl an Plänen und Fotos. Besonders poetisch sind dabei die Handzeichnungen der frühen Projekte. Man schaue sich die wunderbaren Detailpläne des Sperrholzhauses an. So geht Konstruktion! Besonders bemerkenswert ist ein «frühes Hauptwerk»: Die Ausstellung «Architektur Denkform» im Architekturmuseum Basel – damals noch im Domushaus – im Herbst 1988. Die damalige Behauptung: «Die Wirklichkeit der Architektur ist die nicht gebaute Architektur». Im Zentrum der architektonischen Erfahrung stehe die sinnliche Wahrnehmung: Das Empfinden, Sehen, Hören, Riechen von Räumen und deren Stimmungen.

Fünfundzwanzig x Herzog & de Meuron
Wir blättern weiter – und bleiben an einer unglaublich poetischen Nachtaufnahme von Thomas Ruff hängen. Sie zeigt das Stellwerk auf dem Wolf, das in einer grünlichen Lichtstimmung komplett in seinem Kontext aufgeht: «Über seine befensterte Strassenfassade verbindet sich der auf sich selbst bezogene, aus den Geleisen hervorwachsende Monolith auf subtile Weise mit dem urbanen Gewebe der historischen Stadt.» Der Katalog endet drei Jahrzehnte später. Im Serpentine Gallery Pavillon kristallisiert sich die Haltung von HdM – hier in Zusammenarbeit mit Ai Weiei; «Paradoxerweise basierte das aufregende Neu- und Andersartige des zwölften Pavillons ausgerechnet auf einer Auseinandersetzung mit der Verganenheit.» Hier ist es wieder – das Spurenlesen. Auf den Katalog folgt eine sehenswerte Auswahl aus dem «Postkartenarchiv» von Jacques Herzog. Unsere Highlights: Das Estadio Cicero Pompeu de Toldedo, der Versatz des letzten Teilstücks des Gateway Arch in St. Louis und «Kommerzielle Architektur mit sorgfältiger Deatilierung – ein Flair von Modernity.»

Fünfundzwanzig x Herzog & de Meuron
Vom Kleinbasel in die grosse weite Welt: Den Abschluss findet das Buch in einem Portrait über «das Büro und seine Gründer». Man schliesst den Buchdeckel, legt das schwere Buch beiseite und ist um einen spezifisch-selektiven – und dennoch reichhaltig-umfassenden Blick auf das Werk von HdM reicher. Einziger Kritikpunkt: Der imposante Umfang von 480 Seiten. Daraus resultiert ein stolzer Preis von über 100 Franken. Eine quantitative Reduktion – beispielsweise bei der Anzahl Fotos – hätte der inhaltlichen Konsistenz keinen Abbruch getan. «Ob unsere Rechnung damit aufgegangen ist, müssen unsere Leserinnen und Leser entscheiden», schreiben die Autoren. Wir finden: Unter dem Strich stimmt die Rechnung. Das Best of HdM ist geglückt.

Artikel: Lukas Gruntz / Architektur Basel


Fünfundzwanzig x Herzog & de Meuron

Fünfundzwanzig x Herzog & de Meuron
Von Moos, Stanislaus und Rüegg, Arthur
ISBN: 978-3-96999-127-5
Format: Fester Einband
Herausgeber: Steidl GmbH & Co. OHG
Anzahl Seiten: 480 Gewicht: 2388g
Größe: H273mm x B253mm x T46mm
Jahr: 2024

 

 

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