Der Picassoplatz in Basel ist für Architektur ein gutes Pflaster. Gegenüber der Rückfassade des Kunstmuseums von Rudolf Christ und Paul Bonatz stehen zwei sehenswerte Bürobauten von Diener & Diener und Peter Märkli. In grösster Zurückhaltung übt sich die vierte Architekturikone am Platz: Die First Church of Christ Scientist, die 1935-36 von Otto Rudolf Salvisberg erbaut wurde, steht in zweiter Reihe am Ende einer kurzen Durchfahrt. Dank dem rücksichtsvollen Umbau von Beer Merz Architekten ist sie zu neuem Leben erwacht.
Von der Kirche zum Proberaum
Ein Zeichen der Zeit? Tatsache ist, dass sakrale Räume in Basel immer weniger genutzt werden. Viele Kirchen wurden bereits entweiht und stehen vor einer ungewissen Zukunft. Ein ähnliches Schicksal ereilte die First Church of Christ Scientist. Die stark geschrumpfte Kirchgemeinde hatte keinen Bedarf mehr für einen eigenen Kirchenraum. Es stellte sich die Frage, wie es mit dem denkmalgeschützten Bau weitergehen soll? Mit dem Sinfonieorchester Basel fand sich ein neuer Nutzer. Zum Glück muss man sagen. Mit einigen wenigen, rücksichtsvollen baulichen Massnahmen konnte die Kirche zum Proberaum für das Orchester samt Büro für die Geschäftsstelle umgenutzt werden.
Scheinbar unsichtbare Transformation
“Als Abschluss einer ungünstig schmalen, kurzen Durchfahrt spannt sich der Kirchenvorbau zu monumentaler Wirkung”, beschreibt Dorothee Huber im Basler Architekturführer die Situation am Picassoplatz. Und so steht der Schreibende in der “ungünstig schmalen” Durchfahrt und fragt sich, ob jemand etwas von Umbau gesagt hat? Von aussen deutet auf den ersten Blick nichts darauf hin. Sogar die Typografie, die an der Einfahrt die neue Heimat des Sinfonieorchester ankündigt, fügt sich perfekt ins Gesamtbild ein. Sie scheint direkt den 1930er-Jahren entsprungen zu sein. Die Muschelkalk-Plattenverkleidung der Fassade ist intakt und die filigrane Befensterung der Hauptfassade wirkt so elegant wie eh und je. Die Patina der Kupfer-Dachrinne verrät, dass es sich dabei tatsächlich noch um das Original handelt. So sieht hochwertiges Spenglerhandwerk aus! Man ist geneigt zu fragen, was die Architekten bei derart hochwertiger Bausubstanz überhaupt zu tun hatten. Die Antwort lautet: Mehr als man denkt.
Schallschutz und Raumakustik
Die bauliche Massnahmen betrafen mitunter Schall und Akustik. Es waren einerseits Schallschutzverbesserungen gegen aussen zur Nachbarschaft hin und andererseits raumakustische Anpassungen des Hauptsaals notwendig, damit er die Anforderungen eines Probesaals zu erfüllen vermochte. Raumseitig wurden als zweiter Layer vor die bestehende Verglasung neue Schallschutzfenster vorgelagert. Ergänzend dazu wurden die bestehenden Bauteile den heutigen Anforderungen an Sicherheit, Brandschutz und Gebäudetechnik angepasst und die Erdbebenstabilität verbessert – und zwar stets mit grosser Schlichtheit und Zurückhaltung. “Ganz im Geiste des Saalbaus, der sich “in Entsprechung zu den Idealen dieser Religionsgemeinschaft betont nüchtern gibt”, wie Dorothee Huber schreibt.
Detail I: Das Treppengeländer
Im steten Dialog mit der Denkmalpflege wurden die Eingriffe entwickelt und geplant. Die baulichen Massnahmen sind grösstenteils reversibel ausgeführt, um dem Baudenkmal keinen Schaden zuzufügen. Bemerkenswert ist die Instandsetzung des Geländers der elegant geschwungenen Haupttreppen. Sie wurden “en bloc“ um 18 cm angehoben und mit verlängerten Konsolen wieder an der Treppenwange befestigt. Auf der Innenseite des Geländers wurde vollflächig ein besonders lichtdurchlässiges Hexagonalblech aufgeschweisst, das einerseits die Absturzsicherung gewährleistet und andererseits das Geländer zusätzlich aussteift. Der Effekt ist erstaunlich: Durch den hohen Lochanteil des Blechs ist es aus der Distanz vom Foyer aus gesehen praktisch unsichtbar, erst bei näheren Betrachten tritt es als additives Element in Erscheinung.
Detail II: Die Verglasung der Frontfassade
Eine grosse Herausforderung war die Sanierung der filigranen Verglasung der Frontfassade: Die gezogenen, 2.85 m hohen Glasscheiben wurden als gesamtes Bauteil schützenswert eingestuft. Da an den Profilen aus Bronze Korrosionsschäden vorhanden waren und eine thermische und sicherheitsrelevante Verbesserung der Verglasung notwendig waren, wurden die originalen Scheiben vorsichtig aus- und in der Werkstatt zu neuen Verbundsgläsern umgebaut. Upcycling würde das Barbara Buser nennen. Die Tragkonsolen wurden vor Ort verstärkt, die Schäden an den Metallteilen saniert und die Profile thermisch entspannt. Damit konnte ein zentrales architektonisches Element erhalten bleiben. Das Resultat sprich für sich.
Zweites Leben für ein Baudenkmal
Während ein paar hundert Meter nordöstlich über die Schutzwürdigkeit und -fähigkeit der Bauten von Otto Rudolf Salvisberg gestritten wird, bewiesen Beer Merz Architekten am Picassoplatz, wie ein Baudenkmal erster Güte mit zurückhaltenden, wohlüberlegten Eingriffen umgebaut werden kann. Und damit eine neue Nutzung ermöglicht wird. Als Proberaum für das Basler Sinfonieorchester wurde der Architekturikone ein zweites Leben geschenkt – und das mit grösstmöglichem Respekt vor dem Bestand. Die Basler Baukultur dankt und wir ziehen den Hut: Chapeau!
Text: Lukas Gruntz / Architektur Basel
Umnutzung First Church of Christ Scientist von O. R. Salvisberg
Sanierung und Umnutzung denkmalgeschützte Kirche zu Probelokal und Geschäfsstelle Sinfonieorchester Basel
Projektierung und Ausführung: 2017-2020
Bauherrschaften: Immobilien Basel-Stadt, Sinfonieorchester Basel
Architekten: Beer Merz Architekten, Basel