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Buchtipp Diener & Diener: “Wohnungsbau ist das grundlegende Programm der Architektur”

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“Wie kann man die Räume für das Leben ordnen?” Es ist eine der Fragen, die im Werk von Diener & Diener eine zentrale Rolle spielen. Das kürzlich erschienene Buch “Diener & Diener Architekten Wohnungsbau” widmet sich mitunter dieser Frage und den gebauten Antworten des Basler Architekturbüros. “Wohnungsbau ist das komplexeste, das schwierigste Programm, trotz seiner scheinbaren Beschränkung. Ein Bürohaus ist einfacher zu organisieren als ein Wohnhaus”, stellt Roger Diener fest. Auf 176 Seiten kann man sich vom Diener’schen Verständnis und Umgang mit der Komplexität des Wohnungsbaus überzeugen.

Öffnung und Fenster
Das Buch ist in zwei Teile gegliedert. Der erste, theorielastige Teil besteht aus je einem Essay der drei Autoren sowie einem Gespräch mit Roger Diener. Bruno Marchand widmet sich den Fassaden der Wohnbauten von Diener & Diener. Die Öffnung beziehungsweise das Fenster sei dabei ein zentrales Thema. Diener messe ihm “von innen und von aussen einen gleichen Wert zu. Die Ambivalenz liegt im Verständnis des Fensters, das nach Roger Diener zum einen auf ein allgemeines, kollektives Bild einer Fassade verweist, die von Öffnungen gegliedert wird, zum anderen aber auf individuelle Wahrnehmung.” Entlang zahlreicher Bauten bespricht der Autor die Entwicklung der Fassaden. Überraschenderweise spielen in letzter Zeit bei manchen Projekten weniger die Öffnungen sondern vielmehr Säulen eine prägende Rolle, wie beispielsweise beim Wohnhaus “Espalande Francois Mitterand” in Lyon oder hier in Basel beim Maison Davidoff. Der Autor bemerkt bei den neueren Bauten, dass sie “sich vom Register des “Gewöhnlichen” unterscheiden, mit dem uns die Architektur von Diener & Diener vertraut gemacht hat.” 

Hammerstrasse, Wohnbebauung, Basel, Schweiz, 1978-1981 © Foto: Diener & Diener, Basel

Typologie und Typ
Auf der typologischen Ebene untersucht Alexandre Aviolat die Wohnbauten. Die Arbeit mit Typen, die sich je nach Kontext und Situation unterschiedlich deklinieren, sei ein zentrales Thema der Häuser von Diener & Diener. Genauso charakteristisch das Festhalten am rechten Winkel, der den Wohnungen “eine rationelle Organisation wie auch einen Ausdruck von Gewohnheit” verleihe. Die grafische Gegenüberstellung verschiedener Grundrisstypen veranschaulicht die eindrückliche Recherche der Architekten. Dem Typen wird vom Autor dabei eine gute Zukunftsfähigkeit attestiert: “Das sich die Gewohnheiten oft dem Korsett widersetzen, in das man sie zu zwängen sucht – und sich nur langsam zu ändern scheinen –, ist der Typ auch heute noch ein sicherer Wert.” Wenn man an die beliebten Basler Baumgartnerhäuser denkt, kann man dem nur zustimmen.

Wohn- und Atelierhaus Allschwilerstrasse, 1986

Wohn- und Atelierhaus Allschwilerstrasse, 1986 © Diener & Diener, Basel

Vater und Sohn: Marcus Diener und Roger Diener
Von architekturhistorischer Natur ist der Beitrag von Martin Steinmann. Er setzt sich mit den Wohnbauten von Marcus Diener, dem Vater von Roger Diener, auseinander. Es ist – insbesondere aus Basler Sicht – eine besonders wertvolle Recherche, da viele der oftmals unspektakulären, aber äusserst zeittypischen Wohnbauten bisher nicht dokumentiert waren. Das Werk von Marcus Diener widerspiegelt auf eindrückliche Weise den Basler Wohnungsbau der Nachkriegsmoderne. Auch er arbeitete mit Typen, die er pflegte und weiterentwickelte. Steinmann stellt dabei eine Tradition der hiesigen Baukultur fest, “die während Jahrhunderten selbstverständlich war.” Diener baute in den 1940er-Jahren mehrheitlich für Wohngenossenschaften, die damals dank staatlichen Subventionen einen grossen Boom erfuhren. Er erstellte “normale Wohnungen”, was gemäss Steinmann auch mit den Auftraggeberschaft zu tun gehabt habe: “Wenige Wohngenossenschaften sind aufgeschlossen für Grundrisse, die angeblich nicht den Gewohnheiten ihrer Mitglieder entsprechen.” Wie sich die Zeiten doch ändern: Heute sind es gerade die Genossenschaften, die vielerorts für Innovationen im Wohnungsbau zuständig sind. Eine typologische Besonderheit im Werk von Marcus Diener sind die Apartmenthäuser mit Kleinwohnungen für alleinstehende Personen. Wahrscheinlich hat er diese Typologie während seines USA-Aufenthalts 1950 kennengelernt. “Es handelt sich um Wohnungen für eine Schicht, die in der Stadt leben möchte, wo sie Dienstleistungen zur Verfügung hat, wenn auch nicht im Wohnhaus selbst,” fasst Steinmann das Programm zusammen. Während der Hochkonjunktur in den späten 1960er-Jahren baute Marcus Diener schliesslich – ganz dem Zeitgeist entsprechend – grosse Überbauungen aus vorfabrizierten Betonelementen. Zu nennen sind die Wohnüberbauung Längi (1965-1970) in Pratteln sowie die Wohnhochhäuser Weiermatt (1967-1970) in Liestal . Steinmann bringt zum Schluss die Bedeutung der Wohnbauten von Marcus Diener präzise auf den Punkt: “An diesen Wohnhäusern ist die technische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Architektur nach dem Zweiten Weltkrieg wie an einem Pegel abzulesen.” Die vertiefte Auseinandersetzung mit dem Werk von Vater Diener lässt die unermüdliche Arbeit an Typen von Sohn Roger Diener in einem neuen Licht erscheinen, wobei es vielleicht etwas weit hergeholt wäre, gar von einer thematischen Kontinuität über das Gesamtwerk der beiden zu sprechen.

Warteckhof, Wohnhaus, Basel, Schweiz, 1992-1996 © Foto: Martin Steinmann, Aarau

Architektur “nahe an einem degré zéro”
Der zweite Teil des Buchs besteht aus der umfassenden Dokumentation sämtlicher Wohnbauten, die zwischen 1978 und 2020 projektiert bzw. gebaut wurden. Das ergibt eine eindrückliche Liste von 30 Projekten, die allesamt systematisch dokumentiert und in ihren wesentlichen Eigenschaften beschrieben werden. Aus Basler Sicht gibt es nebst den altbekannten Klassikern und Ikonen, wie der Überbauung Hammer, den Häusern im St. Alban-Tal oder dem Warteckhof, einige spannende, weniger bekannte Bauten zu entdecken. Zu nennen ist das Wohnhaus an der Allschwilerstrasse, das aus einer eigentümlichen Stapelungen zweier Wohntypologien besteht: Ein gewöhnlicher Zweispänner wird von fünf gereihten Maisonette-Wohnungen gekrönt. Gänzlich konventionell kommt hingegen das Wohnhaus an der Hochbergerstrasse “nahe an einem degré zéro” der Architektur daher. Es schreitet auf dem schmalen Grat zwischen Schlichtheit und Banalität. Dank der Dokumentation und der vergleichenden Betrachtung lässt sich die architektonische und typologische Entwicklung des Diener’schen Wohnungsbaus wunderbar nachvollziehen.

Warteckhof von Diener & Diener, 1996

Warteckhof von Diener & Diener, 1996 © Diener & Diener, Basel

Es lebe der Grundriss!
Das Buch kommt punkto Grafik passend zu den besprochen Wohnhäusern schlicht und unaufgeregt daher. Der broschierte Umschlag und das matte, naturweisse Papier unterstreichen den Ausdruck der Bescheidenheit – in wohltuendem Gegensatz zu vielen zeitgenössischen Hochglanzpublikationen. Auch die serifenlose Typografie verbindet sich stimmig mit dem Werk von Diener & Diener. Das Layout überzeugt insbesondere im Teil der Projektdokumentation durch seine grafische Grosszügigkeit. Die Seiten wirken trotz hohem Informationsgehalt nicht überladen. Ein besonderes Lob gibt es für die einheitliche Aufbereitung und Darstellung sämtlicher Grundrisse. Einzig der gewählte Massstab 1:360 löst eine gewisse Irritation aus. Er ist wahrscheinlich dem Buchformat geschuldet. Abgerundet wird das stimmige Gesamtbild von zahlreichen sehenswerten Fotografien.

Wohnhaus mit Bankfiliale am Burgfelderplatz, 1985

Wohnhaus mit Bankfiliale am Burgfelderplatz, 1985 © Diener & Diener, Basel

Fazit
Man solle mit Lob sparsam umgehen, sagte der Klassenlehrer am Gymnasium stets. In diesem Fall ist es jedoch mehr als angebracht. Die Autoren haben ganze Arbeit geleistet und eine stimmige, informationsreiche, schön gestaltete Zusammenfassung des Wohnungsbaus von Diener & Diener hervorgebracht. Gratulation! Highlights (aus Basler Sicht) sind die Recherche von Martin Steinmann über die Wohnbauten von Marcus Diener, sowie die Dokumentation der weniger bekannten, bisher kaum publizierten Werke, wie beispielsweise das Wohnhaus an der Hochbergerstrasse. Das Verhältnis zwischen Text und Illustrationen ist ausgewogen. Das Buch strotzt vor inhaltlicher Stringenz – und gehört als grundlegender Bestandteil in jeder Basler Architekturbibliothek eingereiht. “Wohnungsbau ist das grundlegende Programm der Architektur”, sagt Roger Diener. Nach der Lektüre des Buches ist man geneigt zu glauben, dass er damit recht haben könnte.

Text: Lukas Gruntz / Architektur Basel


Diener & Diener Architekten Wohnungsbau
Alexandre Aviolat, Bruno Marchand, Martin Steinmann

Preis: CHF 49
ISBN: 978-3-03860-184-5
Format: broschiert
Herausgeber: Park Books
Anzahl Seiten: 176
82 farbige und 120 sw Abbildungen, Grundrisse und Lagepläne
Gewicht: 810 g
Größe: H293mm × B233mm × T18mm
Jahr: 2020




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