Die Autobahn rauscht hinter hohen Schallschutzwänden unentwegt daher, zwar unsichtbar, aber akustisch omnipräsent. Dazwischen rattern auf drei Gleisen lange Transportzüge und schnelle ICEs vorbei. Brutal wird hier die Lehenmatt vom Breitequartier abgeschnitten, defintiv ein urbaner Ort, im negativen Sinn. Wir stehen an der Baldeggerstrasse, wo Lupo & Zucarello Architekten in der schmalsten Baulücke der Stadt – sie misst gerade einmal 3.70 m – einen diskussionswürdigen Neubau realisiert haben.
Eingeklemmt zwischen Neubau und Altbau entwickelt die Strassenfassade in ihrer reduzierten Kargheit eine bemerkenswerte Präsenz. Die vorfabrizierten Betonelemente nehmen es problemlos mit der urbanen Brutalität des Ortes auf. Zum Altbau hin sind der Eingang und pro Geschoss ein Fenster angordnet. Etwas angeklebt wirken die Briefkästen im Erdgeschoss. Der Sockel in Ortbeton schafft hingegen einen subtilen Bezug zu denjenigem des Altbaus in Naturstein. Die Rückfassade mit geknickten Balkonen, die von durchlaufenden, anthrazitgrauen Staketengeländer abgeschlossen werden, wirkt dagegen eher banal und entwickelt nicht die architektonische Präsenz der Strassenfassade.
Der Grundriss ist einfach – und schnell erklärt. Eine schmale, gewendelte Treppe zur Strasse hin sorgt für die vertikale Erschliessung. Daneben befindet sich die zentrale Steigzone und jeweils das Bad bzw. das WC. Hofseitig verfügt jede Geschoss über einen grossen Raum, der sich von Brandmauer zu Brandmauer über die gesamte Gebäudebreite erstreckt. Im Erdgeschoss befindet sich an der Wand zum Neubau hin eine lange Küchenzeile bestehend aus neun Elementen. Man kann von einer richtigen Wohnküche sprechen.
Die Materialisierung der Innenräume übt sich in Zurückhaltung – und ist ein bisschen brav geraten. Die Decken sind in Sichtbeton gehalten, die Wände weiss gestrichen, der Boden aus geschliffenem Zement in warmem Beige im Erdgeschoss und Eichen-Riemenparkett in den Obergeschossen. Bemerkenswert ist die Wand zum Altbau: Die Fensterleibungen, Simse und Lisenen wurden belassen. Die alte Hausfassade bleibt so im Innenraum als Wandrelief lesbar. “Fast schon skulptural”, wie die Architekten selbstbewusst finden, wobei die weisse Farbe dem etwas banaliserend entgegenwirkt.
Programmatisch besteht das Haus einer einzigen Wohneinheit, die jedoch unterschiedlich interpretiert und genutzt werden kann. Das Haus eignet sich sowohl für eine Familie als auch für eine WG oder möblierte Zimmer, da die drei Geschosse mit separatem Bad autark funktionieren. Das Wohnen befindet sich im Erd- sowie Dachgeschoss. Es handelt sich um eine intelligente Konzeption der Architekten, die trotz stark determinierter Rahmenbedingungen eine gewisse Nutzungsoffenheit zulässt.
“Der Bauort war in mehreren Hinsichten herausfordernd”, erklären die Architekten Lupo & Zucarello. Für eine Baustelleninstallation mit Kran war kein Platz und die Durchfahrt für den ÖV musste zu jedem Zeitpunkt gewährleistet sein. Der Technikraum musste aus Platzgründen im Altbau untergebracht werden. Es zeugt von ihrer Hartnäckigkeit, dass die Realisierung des Neubaus trotz widrgen äusseren Umständen gelang. Das Haus beweist, dass auch an vermeintlich schwierigen Orten Wohnraum geschaffen werden kann. Eine 3.70 m breite Baulücke, Vorstellungskraft und clevere Konzeption reichen aus. Oder mit anderen Worten: Mut zum Bauen in der Lücke.
Text: Lukas Gruntz / Architektur Basel
Annex A
Neubau Wohnhaus in Baulücke
Architekten: Lupo & Zucarello, Basel
Ort: Baldeggerstrasse, Basel
Bauherrschaft: Privat
Baujahr: 2019