Am 10. Juni stehen die Abstimmungen in Basel ganz im Zeichen der Wohnungsfrage. Alle vier kantonalen Vorlagen setzen sich mit dem Thema Wohnen auseinander. Wir haben uns mit Architekt und Vorstandsmitglied der SP Basel-Stadt, Stefan Wittlin, über Wohnungsnot, Stockwerkeigentum und gemeinnützigen Wohnungsbau unterhalten.
Architektur Basel: Am 10. Juni kommen gleichzeitig vier Vorlagen zum Thema Wohnen zur Abstimmung. Weshalb hat die Wohnungsfrage eine derart grosse politische Relevanz?
Stefan Wittlin: «Das Thema betrifft uns alle. Und während in Basel in den letzten zehn Jahren rund 30’000 neue Arbeitsplätze geschafft wurden, hat der Druck auf den Wohnungsmarkt enorm zugenommen. Die Leerstandsquote sank, die Mietzinse stiegen.»
Inwiefern trägt die Bauwirtschaft eine Mitverantwortung für die schwierige Situation auf dem Basler Wohnungsmarkt?
«Meiner Meinung nach spielen ethische und soziopolitische Fragen bei der Annahme und Ausführung von Bauaufträgen keine entscheidende Rolle. Diesbezüglich würde ich mir ein grösseres Verantwortungsbewusstsein vonseiten der Unternehmen wünschen. Die Hauptverantwortung für eine verträgliche Entwicklung liegt jedoch eindeutig bei den Eigentümerschaften, seien es öffentliche, institutionelle oder private.»
Könnte die Wohnnungsnot – der Leerstand beträgt in Basel 0.5.% – bei einer Annahme der Initiativen gelindert werden?
«Am niedrigsten ist die Leerstandsquote bei einfachen günstigen Wohnungen. Mit der Wohnschutzinitiative («Wohnen ohne Angst vor Vertreibung») werden griffige Instrumente geschaffen, um unangemessene Kündigungen, Luxussanierungen oder gar Abbrüche zu verhindern. Damit kann der Bestand an älterem – und dadurch günstigerem – Wohnraum besser geschützt werden. Parallel müssen in den Entwicklungsgebieten gemeinnützige Neubauten entstehen, um die hohe Nachfrage abzudecken. Aufgrund der hohen Erstellungskosten fallen diese grundsätzlich nicht ins preisgünstige Segment, eine Entspannung des Wohnungsmarkts insgesamt reduziert aber auch den Druck auf bestehende günstige Wohnungen.»
Einige ArchitektInnen äussern die Befürchtung, dass eine Annahme der Initiative «Wohnen ohne Angst vor Vertreibung» längst überfällige Renovationen und die Erneuerung von Wohnbauten verhindern würde. Was ist Deine Einschätzung?
«Das sehe ich nicht so dramatisch. Energetische Massnahmen wie Fensterersatz oder Dachsanierungen können meist problemlos in bewohntem Zustand ausgeführt werden. Schwieriger sind periodische Erneuerungen der Bausubstanz, z.B. der Ersatz von Wasserleitungen. Hier sind die Eigentümerschaften und Planer/-innen gefordert, Arbeiten – soweit für die Mieterschaft zumutbar – im bewohnten Zustand auszuführen. Jedoch müssen die Umsetzungsbestimmungen der Initiative in Einzelfällen auch Sanierungen zulassen, die nachweislich nicht in bewohntem Zustand umgesetzt werden können.»
Die Initiative «Recht auf Wohnen» verlangt, dass der Kanton für genügend bezahlbaren Wohnraum sorgen muss. Wäre es denkbar, dass eine Annahme der Initiative den kommunalen Wohnungsbau in Basel, wie z. B. das Vorzeigeprojekt an der Maiengasse, ankurbeln würde?
«Das ist zu hoffen. Die Initiative «Recht auf Wohnen» schafft eine verfassungsrechtliche Grundlage und damit die politische Legitimation für weitere Investitionen des Kantons in neuen gemeinnützigen Wohnraum.»
Wo würdest Du als Architekt – einmal abgesehen von den vier Initiativen – ansetzen, damit in Basel für genügend günstigen Wohnraum gesorgt wird?
«Ein gravierendes Problem ist die Umwandlung von einfachen Mehrfamilienhäusern mit Mietwohnungen in Stockwerkeigentum. Die Gewinnmargen sind hoch, die Qualität der baulichen Massnahmen ist oft ungenügend. Leider scheiterte kürzlich ein Vorstoss im Grossen Rat für eine Anpassung der Gewinnsteuer bei kurzfristigen Wiederverkäufen am Stichentscheid des Präsidenten. Aber dieses Anliegen sollte man deswegen nicht aufgeben. Vielleicht bietet sich der Weg über eine Volksinitiative an. Es läge damit an der Stimmbevölkerung, zu verhindern, dass ein paar wenige rücksichtslose Investoren profitieren und günstigen Wohnraum vernichten.»
Zur Person
Stefan Wittlin, geboren 1984, ist Architekt mit Abschluss an der Fachhochschule Luzern. Nach mehrjähriger Mitarbeit in diversen Architektur- und Planungsbüros in Basel ist er heute als Projektleiter Immobilien bei der Christoph Merian Stiftung tätig. Daneben engagiert er sich als Vorstandsmitglied in der SP Basel-Stadt oder beim Mietshäuser Syndikat Basel.