PETITION GAV ARCHITEKTUR

Dieses Kunstwerk hat mehrere Haken! Ein vorbildliches Beispiel der partizipativen Kunst von Marcel Scheible

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Die Schulanlage Wilmatt wurde 2018 von Gschwind Architekten fertiggestellt. Für den Neubau wurde auch ein Kunst-und-Bau Werk vorgesehen, welches der Basler Künstler Marcel Scheible konzipieren durfte und zusammen mit 66 Partizipanten entstehen liess. Mit seinem Werk «512 SKULPTUREN» bereicherte der Künstler nicht nur die Architektur, sondern auch die Gemeinschaft.

Die Kleiderhaken in den Gängen des Schulhauses | Foto: © Marcel Scheible

Die Kleiderhaken in den Gängen des Schulhauses | Foto: © Marcel Scheible

Ein grosser Neubau als Leinwand
Für die Gemeinde Therwil war der Neubau des Primarschulhauses eines der grössten Neubauprojekte der jüngeren Zeit. So entschied man sich im Rahmen dieses Neubaus, einen Projektwettbewerb für Kunstschaffende aus der Region auszuschreiben. Ziel dabei war es, den Innen- und/oder Aussenraum des neuen Schulhauses mit einem Kunstobjekt zu bespielen. Dieses sollte sowohl einen Bezug zum Thema Kinder/Schule haben als auch die Faktoren «zielgruppengerecht» und «erlebbar» berücksichtigen; so lautete der Wunsch des Gemeinderats von Therwil. Im Sommer 2017 startete dann die Gemeinde Therwil nach einer Präqualifikation einen Projektwettbewerb. Aus sechs KünstlerInnen und Künstlerpaaren konnte Marcel Scheible den Wettbewerb einstimmig für sich entscheiden. Aus dem Jurybericht lässt sich herauslesen, dass eben genau der partizipative Akt des Werks überzeugte:

«Ein Partizipationsprojekt im Sinne eines erweiterten Kunstwerks kommt für die Jury überraschend. Das prozesshafte Vorgehen bezieht alle aktuellen SchülerInnen ein, innerhalb eines kreativen Rahmens ein kleines Kunstwerk zu schaffen. Zusammen erzeugen die Objekte als Gestaltungselement über viele Wände verteilt einen visuellen Rhythmus und dienen zugleich als alltäglicher Gebrauchsgegenstand. Das Projekt hat viele verschiedene Ebenen; interessiert und neugierig macht die Jury das Zusammenspiel der Objekte des Künstlers und derjenigen der SchülerInnen.»

Scheibles Werk «512 SKULPTUREN» ist eine gemeinschaftliche Arbeit, bei der eine Vielzahl von verschiedenen Kleiderhaken aus Bronze entstanden sind, welche jeweils auf den Korridorwänden neben den Klassenzimmern montiert wurden.

Detailaufnahme der Haken | Foto: © Marcel Scheible

Detailaufnahme der Haken | Foto: © Marcel Scheible

Der partizipative Prozess
Als Marcel Scheible nach dem erfolgreichen Wettbewerbsresultat mit der Umsetzung seines Kunst-und-Bau-Werks starten konnte, war der Bau des Schulhauses schon weit fortgeschritten. Denn der Wettbewerb wurde erst nach Fertigstellung des Rohbaus lanciert: «Die Begehung fand also bereits in einem Gebäude und nicht in einer Baugrube statt. Der späte Zeitpunkt des künstlerischen Eingriffs hat mich sicher in der Ausarbeitung meines Projekts auf die schlussendliche Lösung gebracht. Gewisse Ideen sind aufgrund des Baufortschrittes schon von Anfang an weggefallen. Das kann natürlich sehr einschränkend sein, in meinem Fall war es wohl inspirierend», so der Künstler. Scheible erklärt, dass die Arbeit in regem Austausch mit den Architekten stattgefunden hatte – seien es technische oder aber auch konzeptionelle Fragen gewesen, die man zusammen bearbeitete. Eine solche Zusammenarbeit zwischen Architekt und Künstler ist sehr wünschenswert bei Kunst-und-Bau-Werken, denn oft führt sie zu einem vollkommeneren Ergebnis, welches dann noch mehr im Einklang mit der Architektur steht.

Als nächstes begann die Zusammenarbeit mit allen Beteiligten in der Produktion der vielen einzelnen Kleiderhaken. 21 Schülerinnen und 26 Schüler, 5 Lehrpersonen, 4 Hauswarte, 1 Mitarbeiterin und 1 Mitarbeiter der Tagesstrukturen, 3 Mitarbeiterinnen und 2 Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung, 3 Mitarbeiter des Architekturbüros und der Künstler durften die 128 ausgewählten Modelle für das Kunst-und-Bau Projekt «512 Skulpturen» gestalten. Scheible gab für die Gestaltung der Kleiderhaken ein paar wenige formale Vorgaben bezüglich Grösse, Durchmesser und Feingliedrigkeit der Skulpturen gemacht: «Die Vorgaben habe ich so erarbeitet, dass die schlussendlichen Bronzeplastiken trotz sehr unterschiedlicher Sprachen zusammen eine Reihe bilden. Es ging auch um ganz technische Aspekte wie Stabilität und Giessbarkeit: Wie dünn kann ein Teil werden, um es immer noch belasten zu können und wie dick kann etwas werden, damit man es noch massiv giessen kann», erläutert Scheible.

Die fertigen Bastelobjekte | Foto: © Marcel Scheible

Die fertigen Bastelobjekte | Foto: © Marcel Scheible

Marcel Scheible erklärte den Beteiligten, wie sie ihre kleinen Skulpturen und Plastiken gestalten und aufbauen könnten. Die verschiedenen Werke entstanden dann im Unterricht mit den Lehrpersonen und den Schülern. Gewisse dieser Modelle wurden ganz schnell in Bastelstunden fertiggestellt und andere wiederum wurden zusammen mit dem Künstler mehrmals besprochen bis man zum fertigen Resultat angelangt ist. Das Ergebnis waren unzählige kleine Bastelobjekte.

Die Wachspostitive die vom Künstler selbst hergestellt wurden | Foto: © Marcel Scheible

Die Wachspostitive die vom Künstler selbst hergestellt wurden | Foto: © Marcel Scheible

Vom Bastelobjekt zum «Bronzebaum»
Oft wollen Künstler Materialien oder Techniken anwenden, bei denen sie selber nicht zu Rande kommen, weil sie diese selber nicht beherrschen.  In solchen Fällen kommt es zur Kooperation mit Kunstwerkstätten. Marcel Scheible arbeitete für das Werk «512 Skulpturen» mit dem renommierten Kunstbetrieb in Münchenstein zusammen. Scheible formte die kleinen Skulpturen und Plastiken der SchülerInnen und aller anderen Beteiligten in Silikon negativ ab. Mit dieser Silikon-Negativform konnte er Positive in Wachs giessen. Diese Wachspositive wurden dann dem Kunstbetrieb übergeben. Um einen effizienten Gussprozess zu erhalten, baute der Kunstbetrieb die einzelnen Wachspositive mit Wachsstangen zu einer Art Baum auf. Dieser «Wachsbaum» wurde dann ganz vorsichtig in einer feuerfesten Schamottgiessmasse eingegossen. Nach dem aushärten des Blocks konnte man den Wachsbaum im Ofen herausschmelzen. Erst dann kommt es zum eigentlichen Gussvorgang, bei dem man die über 1000°C heisse, flüssige Bronze in die negative Schamottform giesst. Nach dem Erkalten der Bronze kann man das Brozepositiv aus dem Schamottblock herausschlagen. Das Resultat ist eine Art «Bronzebaum», der an seinen Spitzen die verschiedenen Kleiderhaken trägt, welche dann einzeln abgetrennt werden können. Diese werden danach in der Nachbearbeitung noch ziseliert, poliert und patiniert. Dieser aufwendige Prozess nennt sich Wachsausschmelzverfahren.

Der «Bronzebaum» mit dem Abguss der einzelnen Haken | Foto: © Marcel Scheible

Der «Bronzebaum» mit dem Abguss der einzelnen Haken | Foto: © Marcel Scheible

Nicht bloss Kunst-und-Bau
Marcel Scheible arbeitet mit verschiedenen Medien und nicht alle haben einen Bezug zur Architektur. Meine Frage, was Kunst-und-Bau für ihn bedeutet und was für ihn die besonderen Aspekte dabei sind, beantwortete er wie folgt: «Während in den freien Arbeiten alles offen ist, gefällt mir an Kunst-und-Bau Projekten der klare Rahmen. Es gibt einen Perimeter, einen Zeitplan, ein Budget und einen spezifischen Ort, den man architektonisch verstehen muss und künstlerisch interpretiert. Die Auseinandersetzung mit dem Standort, dem Gebäude, den Materialien, der Nutzungsidee oder der Geschichte eines Ortes finde ich besonders spannend und anregend. Vieles ist in der Sparte Kunst-und-Bau schon gegeben und als KünstlerIn geht es primär darum, dieses jeweils neue Dispositiv zu verstehen, die Stimmung oder Energie eines Ortes aufzunehmen und durch den künstlerischen Eingriff in eine bestimmte Beziehung zum Ort / zur Architektur zu treten.»

Schlussendlich kann man der Wettbewerbsjury nur zustimmen. Ein solches Kunst-und-Bau Konzept hat man schon lange nicht mehr gesehen. Der partizipative Prozess und das draus entstandene Kunst-und-Bau-Werk sind zu einem wunderbaren Resultat gekommen, welches in seiner Materialität sehr gut zur Architektur von Gschwind Architekten passt. Bei diesen vielen neuen Schulbauten, die in der Schweiz derzeit entstehen, ruft der partizipative Prozess förmlich nach weiteren interessanten Kunst-und-Bau Beiträgen ähnlicher Art.

Die Kleiderhaken im alltäglichen im alltäglichen Gebrauch | Foto: © Marcel Scheible

Die Kleiderhaken im alltäglichen im alltäglichen Gebrauch | Foto: © Marcel Scheible


Technische Angaben
Künstler: Marcel Scheible | www.marcelscheible.ch
SIKART Lexikon: http://www.sikart.ch/KuenstlerInnen.aspx?id=10453365&lng=de
Werktitel: «512 Skulpturen»
Standort: Primarschule Wilmatt, Weidenstrasse 3, 4106 Therwil
Datierung: 2018
Auftraggeber: Einwohnergemeinde Therwil
Ausgangslage: Selektiver Projektwettbewerb auf Einladung
Architektur: Gschwind Architekten | www.gschwindarchitekten.ch
Zusammenarbeit: Kunstbetrieb Münchenstein | www.kunstbetrieb.ch
Gattung/Medium: Bronzeguss (Wachsausschmelzverfahren)


Text: Silvio Schubiger
Fotos: © Marcel Scheible

Quellen:
– Kunst und Bau Schulhaus Wilmatt Jurierung Projektwettbewerb, Gemeinde Therwil, Jurybericht vom 8. Dezember 2017
Interview mit Marcel Scheible, Dezember 2019

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