Wäre da nicht die im Sonnenlicht glänzende Dachhaut, würde das Gebäude kaum auffallen. Das Aluminiumblech weist Alterungsspuren auf, die Fensterrahmen sind vergraut. Die unkonventionelle Dachform zeugt von einem starken architektonischen Ausdruckswillen. Die Rede ist von einer Aufstockung der Basler Architekten Buchner Bründler auf ein bestehendes Einfamilienhaus in einem Wohnquartier in Lupsingen.
Als ich, Architekturstudentin an der Fachhochschule Nordwestschweiz, das erste Mal auf diesen Bau stiess, faszinierte er mich sofort. Mich interessierten die Beweggründe für die Aufstockung und wie diese Form zustande kam. Bei der Recherche in Büchern und im Internet fanden sich leider nicht viele Informationen. Durch eine Bekannte konnte ich dann Kontakt zu den Bauherrinnen, Marianne van Vulpen und Marianne Schneider, aufnehmen. Ich traf sie zu einem Gespräch in ihrer neuen Wohnung in Binningen. Das Gespräch war sehr interessant und persönlich, da es mir die Sicht der Bauherrinnen aufzeigte. Ich erfuhr andere Dinge als in einer Architekturzeitschrift zu lesen sind.
Aus Eins wird Zwei
Das Gebäude ist das Elternhaus von Marianne Schneider. Sie wohnte mit ihren zwei Kindern darin. Ende der 1990er Jahre wollte sie mit ihrer Lebenspartnerin Marianne van Vulpen und deren drei Kindern zusammenziehen. Das Haus aus den 1970er Jahren hätte im alten Zustand aber nicht genügend Platz für sieben Personen geboten. So entschieden sich die beiden Frauen, den Dachstuhl abzureissen und eine zweite Wohneinheit auf dem bestehenden Gebäude zu erstellen. Die Suche nach einem passenden Architekturbüro begann.
Eine Arbeitskollegin von Marianne van Vulpen machte sie auf das Büro Buchner Bründler Architekten aufmerksam. Sie hatte bereits ein Projekt mit ihnen realisiert und war sehr begeistert und zufrieden. Um sich ebenfalls von der Arbeit der Architekten überzeugen zu lassen, organisierten die Lupsinger Bauherrinnen eine Besichtigung dieses Hauses. Die Architektursprache überzeugte sie, und die beiden jungen Architekten waren ihnen von Anfang an sympathisch. Man muss erwähnen, dass Buchner Bründler Architekten im Jahre 1999 noch nicht denselben Bekanntheitsgrad wie heute hatten. Daniel Buchner und Andreas Bründler hatten ihr Büro erst 1997 gegründet – es steckte also noch ganz in den Anfängen.
Bereits beim ersten Treffen entstand ein Vertrauensverhältnis, und so beauftragten die Bauherrinnen Buchner Bründler Architekten mit dem Projekt. Das Vertrauen wuchs während dem Entwurfsprozess stetig, und so liessen die Bauherrinnen den Architekten auch grossen Spielraum und viel Freiheit. Diese Tatsache trug sicher dazu bei, dass so ein einzigartiges Projekt entstehen konnte. Das Haus wurde im Jahr 2000 fertiggestellt und erhielt 2002 eine Auszeichnung «Guter Bauten».
Dynamische Dachgeschosswohnung
Die Idee war, einen veränderbaren Grundriss zu entwerfen, der zum Beispiel beim Auszug der Kinder umgestaltet werden kann. Es sollte ausserdem ein Maximum an neuem Wohnraum erzeugt werden. Die beiden Wohneinheiten funktionieren unabhängig voneinander.
Die Aufstockung ist über eine Aussentreppe direkt neben dem Eingang der unteren Wohneinheit erreichbar. Die Seitenwand beim Treppenaufgang wurde nachträglich befestigt, damit der Eingang besser geschützt ist. Die Fläche des rund 100m2 grossen Grundrisses ist voll ausgenützt. Betritt man die neue Wohnung, steht man in einer Vorzone, die sozusagen zum Wohnraum gehört. Die Wohnbereiche wie Küche, Wohnen und Gang verschmelzen zu einer kreuzartigen Form. Da die vier Zimmer nur durch Schiebetüren getrennt sind, läuft der Wohnbereich bei offener Tür in die Zimmer hinein.
Jedes Zimmer verfügt über drei geschlossene Wände und ein grosses rahmenloses Fenster. Der Ausblick erscheint wie ein gerahmtes Bild. Jedes Fenster öffnet sich durch einen Lüftungsflügel aus Holz auf einen Balkon. So wird der Innenraum nach aussen weitergezogen.
Dreiecke und Schrägen
Nachdem das alte Dach abgebrochen war, wurde auf die bestehende Decke eine neue tragende Holzplatte gelegt, die auch die Balkone umfasst. Die Wände sind wärmedämmende und tragende Holzelement-Boxen, die mit einem Aluminiumblech eingedeckt sind. Die Boxen ermöglichen trotz der geneigten äusseren Dachform gerade Innenwände. Dank Wärmeschutzverglasungen konnte der Sonnenschutz eingespart werden. Die schrägen Dachflächen reflektieren das Licht, so dass die Wahrnehmung der Dachform verzerrt wird. Die Dachfläche funktioniert wie folgt: Zwei Dreiecke auf der Fassadenebene schliessen an zwei nach innen liegenden Dreiecken an. Von jedem oberen Dreiecksspitz verlaufen Dachkanten zum First. Mit dieser aussergewöhnlichen Form liessen sich die Zonenvorschriften maximal ausnutzen.
Im Innern des Hauses sind die Materialien und Oberflächen präzise durchdacht. Alle Wände sind mit einem Gipsabrieb versehen, die Einbauten gestrichen. Es scheint, als wären sie Teil der Wand. An der Decke sind die Holzplatten sichtbar, der geschliffene Unterlagsboden wirkt roh. Fast hat man beim Betrachten des Bildes das Gefühl, es stehe auf dem Kopf. Die Architekten wählten die Materialien der Decke und des Bodens aber bewusst «umgekehrt». Die Raumstimmung ist unverwechselbar und unterstützt die Dynamik der Aufstockung. Die beiden Bauherrinnen beschreiben den Boden so, als würde man in der Natur und nicht in einem Haus laufen. Die Küchenabdeckung aus Travertin scheint auf den ersten Blick ungeeignet, denn der Stein nimmt Gebrauchsspuren an. Diese Patina ist aber gewollt, dasselbe wird nämlich auch beim Unterlagsboden mit der Zeit auftreten.
Das Badezimmer ist in grün gehalten, wie ein grünes Biotop in der Natur. Die Bauherrinnen haben das tatsächlich so erlebt – ein angenehmes Raumgefühl.
Für immer einzigartig
Das auffallende Haus mit dem Metalldach löste im Dorf kaum offene negative Reaktionen aus. Abgesehen von einem Nachbar, der behauptete, dass sein Haus jetzt weniger Wert sei. Aber: Nach Fertigstellung der Aufstockung wurden die Zonenvorschriften in Lupsingen angepasst. Seither sind Dachmaterialien verboten, die eine Blendwirkung erzeugen. Ausserdem müssen die Dachaufbauten mit der darunterliegenden Fassade harmonieren und sich ans Dorfbild anpassen. Die Gemeinde wollte damit verhindern, dass kein weiterer solch «exotischer» Bau entstehen konnte.
Loslassen und neue Projekte
Heute wohnen die beiden Bauherrinnen in Binningen. Da stellt sich mir natürlich die Frage, weshalb Sie das aussergewöhnliche Haus verkauft haben. Sie erzählten mir, dass sie das Bedürfnis hatten, näher an der Stadt Basel zu wohnen. Die Kinder waren ausgezogen, das Haus zu gross geworden. Da sie durch die gute Zusammenarbeit mit Buchner Bründler Architekten eine Faszination und ein Auge für gute Architektur entwickelten, war die Suche nach einer geeigneten und architektonischen ansprechenden Wohnung schwierig. Schliesslich entschieden sie sich dann für eine Neubauwohnung in Binningen. Der Verkauf des Hauses fiel den beiden nicht leicht. Aber sie hatten ein Ferienhaus gekauft, das sie mit einer befreundeten Architektin umbauten. So konnten sie das Haus in Lupsingen dann doch loslassen.
Text: Corinne Nebiker
Der Text ist in der Schreibwerkstatt am Institut Architektur FHNW im Frühlingssemester 2019 entstanden.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Das Wohnhaus in Lupsingen heute (Foto: Corinne Nebiker)
Abbildung 2: Aussenaufnahme nach Fertigstellung (Foto: Oliver Lang)
Abbildung 3: Grundriss Aufstockung © Buchner Bründler Architekten AG
Abbildung 4: Eckausbildung und spätere Überdachung des Hausaufganges (Foto: Corinne Nebiker)
Abbildung 5: Küchenzeile & Hauseingang (Foto: Oliver Lang)
Abbildung 6: Blick aus einem rahmenlosen Fenster (Foto: Oliver Lang)
Abbildung 7: Badezimmer (Foto: Oliver Lang)