Feinste (Basler) Fassaden

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Sie ist das zentrale, architektonische Thema unserer Städte: Die Fassade. Am Übergang zwischen Innen und Aussen, privat und öffentlich, beheizt und unbeheizt, lässt sich viel von unserer Gesellschaft ablesen, viel über unsere Baukultur lernen. Die Fassade handelt von Technik und Ästhetik, Tragen und Lasten, Proportion und Zweckmässigkeit sowie Rhythmik und Materialität. Ein kürzlich erschienenes Buch liefert eine bemerkenswerte Untersuchung zur «Tektonik Schweizer Stadthäuser». Wir haben für euch einen gwundrigen Blick hinein geworfen.

© Quart Verlag

Der knallorange Umschlag mit der silberblauen Prägeschrift ist ziemlich chic – und sticht ins Auge. Das stehende Buchformat wirkt elegant. Das lange Lesezeichenband ist heiter schwarzweiss gestreift – und dient zugleich als Massstab. «Warum ein Buch?» In seinem lesenswerten Essay geht Architekt Lando Rossmaier der Frage nach, wozu es Architekturbücher heute noch braucht: «In meiner Studienzeit waren mir Architekturbücher zu kostspielig. Daher blieb meine kümmerlich zusammengesparte architektonische Wahlfamilie über die Jahre höchst übersichtlich. Im Rückblick meine ich, dass die damaligen Bücher grösstenteils von hoher inhaltlicher Qualität waren.» die Publikation «Feine Fassaden» steht dem in nichts nach. «Die Auseinandersetzung mit der Tektonik erweist sich als Angelpunkt in der Diskussion um gesellschaftliche Wertesysteme, welche uns als Architektinnen und Architekten weiterhin nicht aus der Verantwortung lässt», fasst es Johannes Käferstein im Vorwort zusammen.

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Rossmaier untersuchte mit Studierenden der Hochschule Luzern die Bandbreite architektonischer Konstruktions- und Ausdrucksmöglichkeiten von Schweizer Stadthausfassaden. Mit der vorliegenden Anthologie stellt er eine Auswahl von 86 Bauten des 20. Jahrhunderts und bis heute zur Verfügung, die in ihrer Tektonik feinfühlig gearbeitet wurden und dem urbanen Lebensgefühl seit Jahrzehnten Hintergrund sind. Handbuchartig wird jeweils die Wirkung mittels eines fotografischen Porträts und die konstruktive Machart anhand einer detaillierten tektonischen Isometrie veranschaulicht. Hier sei eine kleine Kritik erlaubt: Der gewählte Massstab 1:125 ist zu klein, um die Konstruktion wirklich nachvollziehen zu können – und wenn, dann nur mit der Lupe. Ein grösserer Massstab wäre aus Sicht der praktizierenden Architekt:in wünschenswert gewesen. Inhaltlich wird die historische Fassadensammlung intelligent aufgelockert: Zehn Projekte von zeitgenössischen Schweizer Architekturschaffenden sind mit Essays zu ihrem tektonischen Verständnis angereichert. Ein schöner Bezug zur Gegenwart, der dem Buch eine beeindruckende Tiefe und inhaltlichen Reichtum verleiht.

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Was hat das alles mit Basel zu tun? Feine Basler Fassaden sind im Buch gut vertreten. Insgesamt sechzehn Stück haben es vom Rheinknie ins Buch geschafft. Fassaden können wir. Darunter sind – den ArchiBasel-Nerd freut es – auch weniger bekannte Bauten, beispielsweise das perret’sche Ensemble am Claraplatz von Fritz Rickenbacher und Walter Baumann aus dem Jahre 1952. Die Autor:innen haben einen guten Spürsinn bewiesen. Der alphabetischen Sortierung sei Dank, macht das Bürogebäude am Aeschenplatz von Hermann Baur, das 1955 erbaut wurde, den Anfang. Es ist mit seinem fliegenden Dach und der grosszügigen Arkade ein eleganter Zeuge der Nachkriegsmoderne. Weiter geht es über den Barfüsserplatz – hier wird das Eckgebäude von Diener & Diener analysiert – an die Birsstrasse, die eigentlich St. Albanrheinweg heissen sollte. Der Fehler sei den ortsunkundigen Luzernern verziehen. Dass die beiden ikonografischen Bauten (ebenfalls von Diener & Diener) am Rhein den Weg ins Buch gefunden haben, spricht für die feine Auswahl. Sie verkörpern die von Bettina Köhler in ihrem Essay beschrieben Qualitäten «Let’s talk about love, baby!» fast schon sinnbildlich.

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Wer sich mit dem Thema der Fassade beschäftigt – und das sollten wir alle – dem sei der Kauf feinster Fassaden aus dem Hause Quart ans Herz gelegt. Die Sammlung dient der Inspiration. Die theoretische Begleitung regt die Gedanken an. Fazit: Das Buch ist ein äussert gelungenes Sinngeflecht.

Text: Lukas Gruntz / Architektur Basel


Feine Fassaden
Tektonik Schweizer Stadthäuser

Herausgegeben von: Lando Rossmaier, Karin Ohashi

Textbeiträge: Dr. Bettina Köhler, Roger Boltshauser, Buol & Zünd Architekten, Edelaar Mosayebi Inderbitzin Architekt*innen, Enzmann Fischer Partner Architekten, Joos & Mathys Architekten, Käferstein & Meister Architekten, Knapkiewicz & Fickert Architekten, Loeliger Strub Architektur, Lütjens Padmanabhan Architekt*innen, Bosshard Vaquer Architekten, Caruso St John Architects

ISBN: 978-3-03761-278-1
Quart Verlag, 2022
Anzahl Seiten: 244
Fester Einband, H320mm x B206mm x T25mm

 

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