Das Lonza-Hochhaus erhält zwei Geschwister: Auf dem Lindenhof-Areal plant die Investorin Swiss Life im Auftrag der Lonza AG zwei Wohnhochhäuser. Den Studienauftrag konnten Miller & Maranta und August + Margrith Künzel gewinnen. «Mit ausserordentlicher Leidenschaft und Sorgfalt widmeten sich die Verfasser:innen der Analyse und Interpretation des Ortes sowie der Transformation und subtilen Integration des Bestandes», lobt die Jury. Weniger glücklich ist man mit der wirtschaftlichen Tragbarkeit: Diese sei noch nicht sichergestellt. Wir werfen einen Blick auf das neuste Basler Hochhausprojekt.

Originaler Situationsplan des Lonza-Hochhauses, 1962 © Suter + Suter
Die Bälle fliegen gemächlich über das Netz. Im Hintergrund hört man das Rauschen der Nauenstrasse. Gut getroffen! Der Mann mittleren Alters nickt anerkennend. Seinem Gegenspieler glückte soeben ein sauberer Serve-and-Volley. 40:15 steht es in Klein-Roland-Garros. In unserem Rücken erhebt sich eine Basler Architekturikone: Das Lonza Hochhaus von Suter + Suter, das an Eleganz kaum zu überbieten ist. Doppelfehler. Der Schläger fliegt erneut in den Sand. Der Kontext ist weder glamourös noch elegant: Umspült von drei Verkehrsachsen – Münchensteiner-, Lindenhof- und Nauenstrasse – ist die Parzelle, die künftig Lindenhof-Areal heissen soll und sich im Eigentum der Lonza AG befindet, zwar bestens erschlossen, aber alles andere als wohnlich. Das soll sich ändern: Hier entstehen in den nächsten Jahren zwei weitere Hochhäuser, die hauptsächlich Wohnungen beherbergen. Der zentralste Tennisplatz der Stadt gehört dann der Geschichte an.

© Miller & Maranta
Das Siegerprojekt stammt aus der Feder von Miller & Maranta: Nach dem Baloise Park und dem Heuwaage-Hochhaus mausert sich das Basler Architekturbüro langsam zur festen Grösse in Sachen vertikaler Verdichtung am Rheinknie. Ihrem Projekt gelingt es, «die «verkehrsumspülte grüne Insel» mit dem ikonografischen Lonza-Hochhaus zeitgemäss weiterzuentwickeln. Gemäss Jury schafft es «einen echten Mehrwert für die Nutzenden als auch die Quartierbevölkerung». Auch der Dialog zur Architekturikone wird gewürdigt: «Die minimalistische Erscheinung des Baudenkmals wird auf die Neubauten übertragen und gewinnt durch deren Transformation dennoch eine Eigenständigkeit. So entsteht ein fein austariertes Verhältnis von Nähe und Distanz zum Baudenkmal, um dessen Alleinstellungsmerkmal auch für die Zukunft würdig zu stärken und zu behaupten.» Wenn man sowohl das Modell als auch die Visualisierungen näher betrachtet, kann man dieser Argumentation folgen: Wobei je nach Perspektive – insbesondere vom Strassenniveau aus – die horizontalen Brüstungen als Brise Soleil etwas zu flattrig und die vertikalen Stäbe zu dezent erscheinen. Zumindest im Dialog mit der eleganten Robustheit der prägenden vertikalen Lisenen des Suter + Suter-Baus. Zugegeben: Die Neubauten sind vorwiegend Wohnhäuser, wo Fenstern, Sonnenschutz und Balkonen im Vergleich zum Büroturm eine andere Bedeutung zukommen.
«Wesentliche Idee hierbei ist die Schaffung einer offenen, multikodierten Mitte, welche die Gebäude miteinander verbindet.»

Die Türme im Modell 1:500 © Lonza AG
Die drei Hochhäuser ermöglichen im Zentrum einen neuen, öffentlichen Grünraum: «Wesentliche Idee hierbei ist die Schaffung einer offenen, multikodierten Mitte, welche die Gebäude miteinander verbindet», liest man im Jurybericht: «Hinsichtlich der Multikodierung der Ergänzungsbauten wird aus der Parktypologie ein hybrides Raumkonzept entwickelt, dessen Dramaturgie spannungsvoll zwischen grosszügiger Plaza und locker besiedelter Baumhalle oszilliert.» Der Schnitt offenbart Erstaunliches: Unter der neuen Parkanlage befindet sich eine dreigeschossige Autoeinstellhalle. Ist das 2024 in Anbetracht der ökologischen Herausforderungen noch angebracht? Schliesslich ist das Areal bestens mit dem ÖV erschlossen. Einzig ein Quartierparking zur Entlastung der umliegenden Strassenräume würde hier Sinn machen. «Auf Basis des Mobilitätskonzepts wird auch eine Reduktion der maximal möglichen Anzahl Parkplätze gemäss Parkplatzverordnung geprüft und die Möglichkeit, einen Teil der Parkplätze als Quartierparking zur Verfügung zu stellen», erfahren wir auf Rückfrage. Das Konzept soll spätestens zum Zeitpunkt der Baueingabe vorliegen. Eine Reduktion der Autoeinstellhalle wäre ökologisch sinnvoll und zur Erreichung des angestrebten SNBS-Labels – mit Blick auf die «die Zielwerte in Bezug auf die indirekten Treibhausgasemissionen» – wahrscheinlich auch notwendig: «Wie viele Untergeschosse tatsächlich realisiert werden, wird in der weiteren Projektausarbeitung vertieft analysiert und definiert. Hierzu werden u. a. auch ökologische Faktoren miteinbezogen», schreibt die Investorin auf unsere Rückfrage.
«Die wirtschaftliche Tragbarkeit des Gesamtvorhabens ist noch nicht sichergestellt.»

Erdgeschoss und Umgebung © Miller & Maranta

Querschnitt © Miller & Maranta
Ein ebenso wichtiger Faktor ist die Ökonomie. In diesem Punkt weise das Siegerprojekt von Miller & Maranta noch Schwächen auf, wenn man den «Empfehlungen» des Beurteilungsgremiums Glauben schenkt: «Die wirtschaftliche Tragbarkeit des Gesamtvorhabens ist noch nicht sichergestellt», liest man. Was heisst das? Wir fragen nach: «Um die wirtschaftliche Tragfähigkeit des Gesamtvorhabens zu gewährleisten, ist in den kommenden Projektierungsphasen eine konsequente Optimierung der Wirtschaftlichkeit des Projekts notwendig.» Überarbeitungen in folgenden Bereichen seien angesagt: «Flächeneffizienz, Untergeschosse, Fensterflächen, Tragwerks-, Fassaden- und Deckensysteme.» Also eigentlich überall. Das vorgeschlagene Tragwerk besteht aus Delta-Beam-Trägern und hocheffizienten Hohldielenelementen mit einem hohen Vorfabrikationsgrad. Es prägt die Typologie stark mit. Das sei zu teuer: «Die Primärstruktur muss in der Weiterbearbeitung überarbeitet werden, damit es deutlich kosteneffizienter wird.» Hand aufs Herz: Bei der Lektüre der «Empfehlungen» bekommt man ein ungutes Gefühl. Die Renditeoptimierung schleicht sich hier auf sanften Pfoten an. Umso wichtiger ist es, dass eine Delegation der Jury «den weiteren Planungsprozess begleitet und zumindest das Bauprojekt vor Eingabe des Baugesuchs zur Begutachtung vorgelegt wird.» So viel architektonische Qualitätssicherung muss sein.
«Die Primärstruktur muss in der Weiterbearbeitung überarbeitet werden, damit es deutlich kosteneffizienter wird.»

System und Serie: Modulare Konstruktion © Miller & Maranta
Zum Schluss ein Lob: Dass der sorgfältig aufbereitete Jurybericht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, ist vorbildlich – und in Basel leider alles andere als selbstverständlich. So kann man sich eine differenzierte Meinung zum Projekt bilden. Einen Wunsch geben wir den Projektverantwortlichen mit auf den Weg: Das Streben nach ausreichender «Wirtschaftlichkeit» darf nicht im Widerspruch zur architektonischen Qualität stehen. Das ist man der Basler Baukultur – und der eleganten, älteren Schwester schuldig. Inzwischen sind wir im finalen Tie Break angelangt: Ein sauberer Slice auf die Grundlinie. Die Rückhand gerät zu kurz. Ein einfacher Volley am Netz besiegelt das Spiel. Game, Set and Match.
Text: Lukas Gruntz / Architektur Basel