Es tut sich etwas in Sachen Arbeitsbedingungen in Architekturbüros. Seit vergangenem Mai läuft die Petition für einen Gesamtarbeitsvertrag (GAV), der Mindeststandards etablieren soll. Die bisherigen Rückmeldungen – vom Rheinknie bis Berlin – zeigen, dass die Petition ein wichtiges Thema adressiert. Denn: Im deutschsprachigen Raum ist die gewerkschaftliche Organisation von Architekt:innen bisher marginal. Das äussert sich in den Arbeitsbedingungen, die kaum der Ausbildung und Leistung entsprechen. Basel kann hier eine Vorreiterrolle einnehmen. Im heutigen Interview mit Gewerkschafter Stefan Isenschmid erfahren wir, wie die aktuelle Ausgangslage aussieht, welche weiteren Schritte bis zum GAV anstehen – und was damit genau regelt wird.
Architektur Basel: Über Geld spricht man bekanntlich nicht. Das wollen wir ändern. Wie steht es deiner Einschätzung nach um die Arbeitsbedingungen in Architekturbüros in der Region Basel?
Stefan Isenschmid: «Da es keinen verbindlichen GAV in der Architekturbranche in der Region Basel gibt, sind die Arbeitsbedingungen und Löhne unterschiedlich. Wie ich bis jetzt mit Einblicken in die Branche feststelle, sind wahrscheinlich ein guter Teil der Architekturbüros bestrebt gute oder möglichst zeitgerechte Arbeitsbedingungen und entsprechende Entlöhnung zu bieten. Doch diese vereinbarten Bedingungen sind volatil und jederzeit einseitig abänderbar und die Entlöhnung kann an verschiedenste Kriterien angebunden werden.»
Lass uns konkret werden. In der Regel gibt es das gesetzliche Mindestmass von vier Wochen Ferien und 12 Monatslöhne. Wo steht man da im Vergleich?
«An dieser Stelle möchte ich ein wenig ausholen. Das Obligationenrecht (OR) regelt die grundsätzlichen Arbeitsbedingungen als Mindestmass. Als Gesellschaft und Wirtschaft haben wir uns aber weiterentwickelt. Es gibt effizientere Leistungserbringungen und auf der anderen Seite veränderte Bedürfnisse an Lohn und Arbeitsbedingungen. Um diesen veränderten Umständen gerechter zu werden, müsste das OR angepasst werden, was einen unendlichen Prozess im nationalen Parlament auslösen würde. Deshalb sind in der Schweiz die GAVs ein probates Mittel, um all diesen Entwicklungen auf relative einfache und unmittelbare Weise Rechnung zu tragen.»
«Was ein 13. Monatslohn betrifft, so gibt es praktisch keinen GAV, welcher diesen nicht impliziert hat.»
Der Vergleich drängt sich auf. Wie sieht es in anderen Dienstleistungsbranchen aus?
«In anderen Branchen mit GAV wie der Detailhandel sind beispielsweise 5 Wochen Ferien eigentlich der Standard aber auch in den verschiedenen Ausbaugewerben findet man Regelungen mit mehr oder weniger 25 Urlaubstage. Was ein 13. Monatslohn betrifft, so gibt es praktisch keinen GAV, welcher diesen nicht impliziert hat.»
Vergangenes Jahr haben wir ein Stelleninserat für ein Architekt:in mit einem Monatslohn von CHF 2’500 publik gemacht. Das ist problematisch. Wichtig wären Mindeststandards, an die sich alle Büros halten. In anderen Regionen der Schweiz, namentlich dem Kanton Waadt, gibt es einen Gesamtarbeitsvertrag (GAV), der das regelt. Weshalb existiert in der Region Basel kein GAV?
«Wenn ein GAV kantonale Allgemeinverbindlichkeit erlangt, also alle Architekturbüros im Kanton verpflichtet werden, dieselben Standards einzuhalten, so können solche Lohnunterbietungen nicht mehr durchgeführt werden. Denn ein Eckpfeiler eines GAV sind die Mindestlöhne, die dann in der entsprechenden Branche eingehalten werden müssen. Das heisst eben auch, dass der Konkurrenzkampf nicht mehr über die Arbeitsbedingungen geführt werden kann. Es gibt nicht nur im Kanton Waadt einen Architektur-GAV, auch Genf und das Tessin sind da bereits fortschrittlich vorangegangen.»
Die lateinische Schweiz ist also einen Schritt weiter. Wie sieht es denn in unserer Region aus?
«In der Region Basel-Stadt und Baselland sind wir daran einen GAV aufzustellen. Dazu braucht es den Willen zweier Parteien, nämlich der der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber.
Auf unserer Arbeitnehmerseite sind wir die Gewerkschaft Syna bereit, diese Arbeit zu leisten und in Verhandlungen einzutreten und der Rücklauf der GAV- Petition ist für uns sehr ermutigend und eine wichtige Unterstützung der Mitarbeitenden aus der Branche.»
Sprechen wir über den Inhalt: Was regelt ein Gesamtarbeitsvertrag im Detail?
«Im Normalfall regelt der GAV sämtliche Arbeitsbedingungen. Angefangen mit der Probezeit, mit der Wochenarbeitszeit, Nacht- und Wochenendarbeit, Überstunden und Überzeit, Teilzeit, dann die ganze Entlöhnung mit Mindestlöhnen, 13. Monatslohn und Zulagen. Das ganze Gebiet der Ferien, Feiertage und zusätzliche Freitage. Weiter sind Sozialversichrungen darin enthalten und der Umgang mit Absenzen und weiter das ganze Feld der Kündigung, des Kündigungsschutzes und Umgang bei Uneinigkeiten oder auch wie ist der Umgang mit Weiterbildung. In einem zweiten Teil wird der schuldrechtliche Teil behandelt. Das beinhaltet die Funktionsweise und die Zusammenarbeit der paritätischen Kommission, wie wird der Vollzug gewährleistet, bei einer Allgemeinverbindlichkeit auch der ganze Abschnitt: wie wird mit Verstössen gegen den GAV umgegangen, welche Sanktionen will oder kann man ergreifen, das Thema der Vollzugsgelder wird beschrieben, der Umgang bei Uneinigkeit und Auslegefragen, was geschieht bei einer Auflösung des GAV. Dann könne auch branchenspezifische Themen darin beschrieben werden. Dennoch gibt es keine Vorgabe was in einem GAV geregelt werden soll, insofern kommt es auf die Vertragsparteien an, wie tief und wie umfassend der GAV ausgestaltet werden soll.»
«Der sia Basel hat in einer ersten Anfrage die Rolle als Arbeitgeber einzunehmen abgelehnt. Diese Zurückhaltung ist für uns nicht verständlich, da der sia Waadt in dessen GAV mit anderen Verbänden zusammen als Arbeitgeber fungiert.»
Welche Schritte braucht es, damit ein GAV in Kraft tritt? Wie hoch sind die Hürden dazu?
«Tatsächlich braucht es Ausdauer, um einen GAV von Grund auf zu erarbeiten, zu verhandeln und in Kraft zu setzen. Zuerst müssen die Arbeitgeberseite und die Arbeitnehmerseite sich zur Erschaffung eines GAV bekennen. Dann können GAV-Vorschläge ausgetauscht werden und man kann auf Verhandlungen eintreten. Da es sich als erstes wahrscheinlich um einen Verbands-GAV – Verbandsmitglieder unterstellen sich diesem GAV – handeln wird, muss dieser von beiden Seiten von den Mitgliedern, Arbeitgeber- und Gewerkschaftsseits, angenommen werden. Danach kann er in Kraft treten. Der nächste sinnvolle Schritt wäre, die kantonale Allgemeinverbindlichkeit anzustreben. Die jeweilige Kantonsregierung oder bei mehreren Kantonen das Seco, erklärt den GAV als allgemeinverbindlich und damit würde der GAV für alle Architekturbüros in diesen Kantonen verbindlich werden. Hierbei sind die Hürden schon recht hoch, muss doch der Arbeitgeber wie die Gewerkschaft gewisse Quoren erreichen. Der Architektur-Verband muss nachweisen, dass er eine grosse Anzahl der Arbeitgeber vertritt und die Gewerkschaft muss eine etwas kleinere Anzahl an Arbeitnehmenden als Mitglied nachweisen.»
Der sia Basel ist bisher nicht bereit, sich für geregelte Mindeststandards einzusetzen. Kennst Du die Gründe?
«Der sia Basel hat in einer ersten Anfrage die Rolle als Arbeitgeber einzunehmen abgelehnt. Diese Zurückhaltung ist für uns nicht verständlich, da der sia Waadt in dessen GAV mit anderen Verbänden zusammen als Arbeitgeber fungiert. Das angeführte Argument, er sei nicht nur arbeitgeberbezogen ist ebenso schwierig nachzuvollziehen, ist doch im Genfer GAV die Architekten-Vereinigung (L’AGA, l’Association Genevoise d’Architectes) als Arbeitgeber eingesetzt, welche auch andere Themen für die Architektur-Branche in ihrer Agenda mitführen. Auch im Tessin gibt es in dessen GAV einen nahen, wenn nicht gar einen unmittelbaren Bezug zum sia.»
«Mit der Unterzeichnung der Petition können alle Mitarbeitenden der Architekturbüros ihre Haltung zu einem Branchen-GAV kundtun. Damit setzen sie das wichtige Zeichen, dass sie sich für gleiche, gute und moderne Arbeitsbedingungen einsetzen.»
Die Petition läuft nach wie vor. Weshalb ist es wichtig, dass sie von möglichst vielen Personen, die in Architekturbüros angestellt sind, unterzeichnet wird?
«Mit der Unterzeichnung der Petition können alle Mitarbeitenden der Architekturbüros ihre Haltung zu einem Branchen-GAV kundtun. Damit setzen sie das wichtige Zeichen, dass sie sich für gleiche, gute und moderne Arbeitsbedingungen einsetzen. Und sie setzen das Zeichen, dass sie ihre Arbeitsbedingungen konstruktiv mitgestalten wollen und fordern die Arbeitgeber dazu auf in den Prozess des GAV einzutreten. Insofern rufe ich alle Mitarbeitenden aus der Architekturbranche auf die Petition zu unterstützen.»
Zum Schluss wagen wir den Blick in die nahe Zukunft: Wie geht es nach der Petition weiter?
«Wir werden wieder an den sia Basel mit der erneuten Aufforderung auf «Eintreten auf GAV-Verhandlungen» gelangen. Der Verband erfüllt wesentliche Punkte, die ihn als GAV-Partner und Vertreter der Arbeitgeberseite prädestiniert.»
Zur Person
Stefan Isenschmid kommt ursprünglich aus der Landwirtschaft und war mehrere Jahre im Bausektor selbstständig tätig. Seit 2008 ist er für die Gewerkschaft Syna tätig. Aktive Beteiligung an verschiedenen GAV-Verhandlungen, Kommissionsmitglied verschiedener paritätischen GAV-Kommissionen im Ausbau-, Bauhauptgewerbe sowie in der Dienstleistungsbranche mit GAV-Vollzugsaufgaben, mehrjährige Erfahrung in der GAV-Durchsetzung und Vollzugspraxis, aktive Beteiligung an mehreren Sozialplanverhandlungen, Regionalleitung der Syna Nordwestschweiz von 2010 -2017, ab 2017 auf eigenen Wunsch wieder als Regionalsekretär tätig.
Jetzt Petition unterzeichnen!
Die Arbeitsbedingungen in der Architekturbranche entsprechen oft nicht den hohen Anforderungen und der erbrachten Leistung: Löhne stagnieren, Sozialleistungen sind auf dem Minimum und die Arbeitszeit wird oft überstrapaziert. Dies soll sich ändern: Ein Gesamtarbeitsvertrag (GAV) soll faire Bedingungen für alle Arbeitnehmer:innen schaffen.