Welche Rolle spielen neue Wohnformen? Wie verändern sie unsere Gesellschaft? Dieser und weiteren Fragen geht das Buch «Social Loft» nach. Anhand von zahlreichen gebauten Beispielen werden zeitgenössische, gemeinschaftliche Wohnformen diskutiert. Mit dabei sind mit der Stadterle und dem Baustein 1 auf der Erlenmatt auch zwei Basler Vertreter.
Wir beginnen am Lac Léman. Ausgangspunkt der Untersuchungen bildet das von den Herausgebern, Yves Dreier und Eik Frenzel, geplante Écoquartier de la Jonction in Genf – 330 Wohnungen in drei Wohnbauten, realisiert nach unterschiedlichen Eigentums- und Genossenschaftsmodellen. «Social Loft» ist hier Programm: Diverse gemeinschaftliche Nutzungen bereichernd das vielfältige Wohnangebot. Die Architekten nehmen es zum Anlass, sich grundsätzliche Gedanken zum zeitgenössischen Wohnungsbau zu machen. Zusammen mit Oscar Genital stellen sie zwölf Thesen auf. «Halte Dich fern von gewohnten Praktiken und ungeschrieben Regeln», lautet eine davon. Sie plädieren für Offenheit, Neugier und das Experiment. Es ist der einzige Beitrag, der parallel zweisprachig abgedruckt ist. Ansonsten sind die Texte jeweils (mit einer Ausnahme) in ihrer Originalsprache – Deutsch oder Französisch. In einem im Umschlag versteckten Heftlein finden sich die entsprechenden Übersetzungen: ein kreativer Umgang mit der Frage der Zweisprachigkeit.
Lesenswert ist das Gespräch von Dreier und Frenzel mit der ehemaligen Berliner Senatsbaudirektorin, Regula Lüscher. Auf die Frage, was die Schweiz von Berlin lernen könne, plädiert sie für einen stärkeren Mieterschutz: «Deutschland hat dafür ganz andere Instrumente. Zum Beispiel gibt es die sogenannten Milieuschutzgebiete, das sind ausgewiesene Gebiete in der Stadt, in welchen die soziale Mischung erhalten werden muss. Dort sind Bestandssanierungen kontrolliert und Mieterhöhungen blockiert.» Claudie Thiesen untersucht in ihrem Beitrag den – vergleichsweise jungen – Typus der Clusterwohnungen als Form des gemeinschaftlichen Zusammenlebens. Wichtig sei die Differenzierung: «Die oft grosszügig bemessenen Wohnflächen und die aufgrund der vielen Bäder hohe Installationsdichte passen nicht zum Suffizienzgedanke einiger Genossenschaften.» Und dennoch: «Clusterwohnungen sind tatsächlich oft sehr grosszügig, im Vergleich mit Kleinwohnungen schneiden sie aber allemal besser ab.» Thiesen thematisiert zudem die Bedeutung der Mitwirkung für gemeinschaftliche Wohnprojekte, denn «Mitwirkungsprozesse bedeuten auch gemeinsames Lernen.» Weitere Beiträge widmen sich dem Freiraum, Gemeinschaftsutopien und der «Ökonomie für die Stadt von morgen.» Es ist diese Vielschichtigkeit und Diversität der Perspektiven, die das Buch thematisch reich machen – und der Komplexität der Suche nach neuen Wohnformen entsprechen.
Vom Inhalt zur Form: Das Buch mit seiner Broschurbindung liegt angenehm in der Hand. Der ausfaltbare Umschlag dient einerseits als Buchzeichen und bietet andererseits dem Übersetzungsheft Platz. Die schlichte Gestaltung – mehrheitlich vertraut die Grafik auf schwarzweiss – trägt der inhaltlichen Dichte Rechnung. Schwarze Seiten mit weisser Schrift gliedern das Buch visuell. Nach der Einleitung der beiden Herausgeber folgen die zwölf theoretischen Beiträge, die in drei übergeordnete Themenkreise eingebettet sind. Den Abschluss macht ein Katalog: Er dokumentiert das Écoquartier de la Jonction. Vielleicht ist er etwas zu fotolastig. Von den 100 Seiten sind auf über der Hälfte Fotos der angeeigneten, bewohnten Räume zu sehen. Hätte es diesen soziologischen – und dennoch ästhetisierten – Blick wirklich gebraucht? Nicht zwingend. Man sollte das Projekt lieber in Realität besichtigen.
Das Buch ist einerseits ein schön gestaltetes Produkt und andererseits ein echter Beitrag zur Frage des neuen Wohnungsbaus: Es schafft den Spagat zwischen monothematischer Projektdokumentation und relevantem Beitrag zum aktuellen Diskurs.
Text: Lukas Gruntz / Architektur Basel
Yves Dreier, Eik Frenzel (Hrsg.)
Social Loft – Auf der Suche nach neuen Wohnformen
Buchgestaltung: Biest, Basel
Deutsch / Französisch
272 Seiten + 48-seitiges Beiheft,
200 Abbildungen, 15 × 20 cm, Schweizer Broschur
ISBN 978-3-03863-075-3