Ein Haus? Zwei Häuser? Drei Häuser? Die erste Begegnung mit dem Haus Bernardi unweit der Wolfsschlucht auf dem Bruderholz ist zugegebenermassen eine irritierende. Beim Umwandern des Hauses begegnet man drei fast identischen Eingangstüren. 91A, 91B, 91C steht da geschrieben. Das blaue Schild mit der weissen Hausnummer gibt die formelle Gewissheit, dass es sich um drei Wohneinheiten handelt. Ein Dreifamilienhaus, das wie ein grosses Einfamilienhaus, oder eher eine kleine Villa, aussieht.
Der Grundriss gibt Aufschluss über den typologischen Kniff der Architekten Buol & Zünd. Die beiden polygonalen Treppen stehen eng umschlungen als zentraler Kern in der Mitte des Hauses. Rundherum werden die Zimmer und Wohnräume angeordnet. Der Wohnraum im Erdgeschoss entwickelt sich vom Entrée über mehrere vertikal abgestufte Raumsequenzen – vom Koch- und Essbereich bis zur Wohnkanzel. Zum Entrée gehört jeweils ein kleines Gäste-WC. Im Obergeschoss gliedert die Raumeinheit der Nasszellen den Grundriss in zwei bzw. drei Zimmer. Hier offenbart die komplexe typologische und geometrische Grundanlage eine überraschende Effizienz. Die dritte Wohnung befindet sich als eine Art Einliegerwohnung im Sockelgeschoss. Gekrönt wir das Haus von einer grossen, gemeinsam genutzten Dachterrasse.
Die innere Materialisierung der Wohnungen ist auf Wohnkomfort ausgelegt. Hier ist nichts von „Svizzera 240“, dem an der Biennale in Venedig kritisierten, unspezifischen, weissverputzten, glatten Schweizer Wohnungsbau zu spüren. Ganz im Gegneteil: Im Haus Bernardi haben die Oberflächen Tiefe und haptische Qualitäten. Insbesondere der naturfarbene Lehmputz an den Wänden trägt zur sinnlichen Stimmung bei. Als Bodenbelag wurden im Wohnzimmer hexagonale Keramikplatten gewählt. Diese erinnern an die traditionellen, gebrannten, rotbraunen Tonplättchen, die man im hiesigen Wohnungsbau vielerorts vorfindet. Buol & Zünd haben Format und Farbigkeit verfremdet. Die grossen, grüngrauen Platten vermitteln dem Wohnraum eine dezente Eleganz. In den Schlafzimmern wurde als Bodenbelag ein geöltes Parkett verwendet.
Im Kontrast dazu steht die Rohheit des Treppenhauses in Sichtbeton. Die mit kleinen Holzleisten geschalte Untersicht der gewendelten Treppe offenbart die handwerkliche Komponente des Bauens. Sehenswert ist das feine Geländer. Spielerisch gefügt und geformt wurden die schwarzen Metallstäbe. Insbesondere der Übergang des Handlaufs zu den Staketen mittels eines filigran eingepassten Rings ist bemerkenswert. Hier fühlt man sich an den Einfallsreichtum im Detail eines Carlo Scarpa erinnert.
In der Fassade versuchen die Architekten zusammenzufassen: Das Haus soll als homogener Körper und nicht als Stapelung von Geschossen oder Konglomerat von Wohnungen gelesen werden. Dazu werden die übereinanderliegenden Fenster jeweils zu einem Feld zusammengefasst. Der geschossweise Versatz der Fensterbreite verleiht der mineralischen Aussenwand Masse. Die Fenster werden von rauchig-grünen Rahmen gefasst, die in einem spannungsvollen Bezug zur Farbigkeit der Wolfsschlucht stehen. Der lebendig wirkende, mineralische Fassadenputz nähert sich dank einem Zuschlag aus grünem Stein der Farbigkeit der Fenster und Rollläden an.
Und so steht man vor dem Haus mit drei Wohnungen, das ein nobles und gleichzeitig bescheidenes Haus ist. Eine „kleine Villa“ wie die Architekten sagen. Buol & Zünd ist es gelungen, das Programm, das den Bedürfnissen unserer Zeit entspringt, dem Ort und dessen Geschichte einzuschreiben. Oder einzufühlen. Der Kunsthistoriker Wilhelm Worringer sieht in der «Einfühlung» und der «Abstraktion» die zwei grundlegenden «Pole menschlichen Kunstempfindens.» Das Haus Bernardi kann in diesem Sinne als künstlerische Leistung der Einfühlung verstanden werden. «Sich-in-den-Dingen-Fühlen», wie es Worringer nennt. In diesem Fall sind dies die Stimmung der Wolfsschlucht und der auf dem Bruderholz verbreitete Typus der Villa. Einfühlung sei nur möglich, «wo infolge von Anlage, Entwicklung, klimatischen und anderen günstigen Umständen sich ein gewisses Vertrauensverhältnis zwischen Menschen und der Aussenwelt herausgebildet hat.» Die Umstände waren offensichtlich gut an der Wolfsschlucht. Das gebaute Resultat ist der Beweis.
Text: Lukas Gruntz / Architektur Basel
Literatur: Wilhelm Worringer: Abstraktion und Einfühlung. Ein Beitrag zur Stilpsychologie, Leipzig/Weimar, 1981.
Projektinfo
Mehrfamilienhaus an der Lerchenstrasse, Basel, 2017
Adresse: Lerchenstrasse 91, 4053 Basel
Architekten: Buol & Zünd, Basel
Projektmitarbeit: Srdjan Zlokopa
Fachplaner: Beurret Ingenieure GmbH, Alteno AG (Planung Haustechnik)
Bauherrschaft: Daniela Bernardi