«Odd Fellows haben die Vision einer weltweiten Verständigung zwischen Völkern und Kulturen. Sie engagieren sich für einen achtsamen Umgang miteinander. Dabei beginnen sie bewusst bei sich selbst», so steht es im Leitbild des Ordens der Odd Fellows. In Zeiten von global aufkeimenden Nationalismen kann mehr Völkerverständigung nicht schaden. Und bei sich selbst beginnen, war noch nie falsch.
Im Falle der Basler Loge heisst das unter anderem, sich selbst einen neuen Hauptsitz zu bauen. Auf der Parzelle an der Grosspeterstrasse soll das bestehende, sakral anmutende und denkmalpflegerisch durchaus interessante Gebäude, das sogenannte «Odd Fellow-Haus» erbaut 1931 von den Architekten A. Widmer und R. Calini Architekten BSA SIA, das «als zweigeschossiger Solitär in der heutigen städtebaulichen Umgebung fremd geworden ist», durch einen Neubau ersetzt werden. Dieser soll, neben den von der Loge für Veranstaltungen und Treffen genutzten Räumlichkeiten, in den Obergeschossen neu «urbane» Wohnungen anbieten.
Um «eine architektonisch wertvolle Überbauung zu realisieren», schrieben die Odd Fellows einen Studienauftrag aus, wozu fünf Architekturbüros eingeladen wurden, «die Identität der Odd Fellows in einer Grossform mit gemischter Nutzung abzubilden». Morger Partner hatte dabei das beste Händchen. Gerne werfen wir einen Blick auf alle Wettbewerbsbeiträge.
Blaser Architekten AG: «Schoggibrauner Bürobau mit Ovalfüllung»
«Der Entwurf weist auf allen Ebenen grosse Mängel zur gestellten Aufgabe auf», lautet das kurze und schmerzlose Fazit im Jurybericht zum Beitrag von Blaser Architekten. Die braune Rasterfassade mit der abgerundeten Ecke erinnert an den Davidoff-Neubau von Diener & Diener wenige Meter weiter vorne an der Grosspeterstrasse. Ein Bürobau? Die grossflächige Verglasung ist für einen Wohnungsbau an dieser Lage nur bedingt geeignet.
Das Wohnhaus enthält auf fünf Obergeschossen je vier Wohnungen. Es ist über dem Sockel durch einen gegen Norden offenen «Schacht» geteilt. Beidseits davon liegen je zwei Wohnungen. Die Wohnräume der äusseren Wohnungen sind von der Jacob Burckhardt-Strasse bzw. von der Lücke zum benachbarten Wohnhaus an der Grosspeterstrasse her belichtet. «Dabei bleibt unbeachtet, dass diese Parzelle bis auf die Grenze bebaut werden könnte. Die Wohnräume der zwei am «Schacht» liegenden Wohnungen sind von dort her belichtet. Um bei seiner geringen Breite störende Blicke zu vermeiden, ragen kleine, gegeneinander versetzte Erker in diesen sechsgeschossigen Raum. Damit wird dieser allerdings noch enger, als er ohnehin schon ist. Viel Licht erhalten diese Wohnräume nicht!», resümiert der Jurybericht.
Der Sockel enthält die Räume der Odd Fellows. Der Eingang liegt an der Jacob Burckhardt-Strasse. In einer sich verengenden Bogenlinie führt der Weg durch das kleine in das grosse, ovale Refektorium, das mit einem Vorhang abgetrennt werden kann. Das kleine Refektorium wird so zum Durchgangsraum. Von hier führt die Treppe in die Halle im Untergeschoss. Auch die Halle hat eine ovale Form. «Sie verschafft dem Raum eine schöne, dem Ritual angemessene Geschlossenheit. Dem Vorraum zur Halle fehlt diese allerdings, er ist formlos», so der Jurybericht.
Felippi Wyssen Architekten: «Bürgerliches Stadthaus»
Der architektonische Ausdruck des Entwurfs von Felippi Wyssen Architekten lässt den Betrachter im Geiste nach Mailand oder Barcelona reisen. Die elegante Fassade mit den leicht vorstehenden horizontalen Bändern und den Eichenholz-Schiebeläden wirkt robust und hochwertig. «Der eindeutige Ausdruck eines Wohngebäudes ist wohltuend an dieser verkehrsdominierten Ausfallachse und erinnert an bürgerliche Stadthäuser in grösseren Städten. Die Materialisierung und Beschaffenheit ist mineralisch-städtisch mit einer der Wohnnutzung geschuldeten gewissen Wärme», lobt die Jury.
Der Wohngrundriss steht der Qualität der Fassadengestaltung in keiner Weise nach. Den Architekten gelingt es einen 4- bzw. 5-Spänner zu etablieren. Die Wohnungen gruppieren sich um einen zentrales, grosszügiges Treppenhaus. «Aufgrund der Lärmproblematik sind die Wohnungen an der Grosspeterstrasse auf zwei Seiten ausgerichtet. Der Zugang zu jeder Wohnung führt über ein Entrée in einen fliessenden Wohn- / Essbereich, welcher mit den spitzen Geometrien der Strassenzüge umzugehen vermag.» So sieht gutes Grundriss-Handwerk aus.
Die Ordensmitglieder betreten das Haus an der Jacob Burckhardt-Strasse. Der unmittelbare Eintritt in das Treppenhaus hinunter zur Halle wurde von der Jury kontrovers diskutiert. Es stellte sich die Frage nach der angemessenen Raumsequenz für den Zugang zu intimeren Zonen: «Die Ausbildung des Treppenabgangs als zweigeschossiger, natürlich belichteter trichterförmiger Raum wurde jedoch gewürdigt. Die Form der Halle ist beinahe quadratisch und somit dem Sinn entsprechend ohne innere Hierarchie. Mangels Visualisierung ist die Raumstimmung nicht erkenntlich, aber aufgrund des Vorschlags für die anderen Räume hell und kontrastreich materialisiert vorstellbar.»
ffbk Architekten: «Betonskulptur»
Mineralisch, monolithisch, stoisch. So steht das Haus von ffbk Architekten an der Strassenecke. Das skulptural geformte Äussere erinnert an die Nordfassade des «Volta Zentrum» von Buchner Bründler Architekten. Insbesondere der «skulpturale, massive Ausdruck des Gebäudevolumens» und die daraus resultierende zeichenhafte Rolle an einer so hoch frequentierten, urbanen Situation vermochte die Jury zu überzeugen.
Zwei Zwei-Spänner ergeben vier Wohnungen pro Geschoss: «Trotz der schwierigen und lärmbelasteten Umgebung wurde die Typologie des Durchwohnens mit einer 14 m Wohntiefe attraktiv und mit gut proportionierten Wohnungen gelöst. Die Wohnungen sind in einer lockeren Schottentypologie in Nord-Süd-Richtung orientiert und funktionierten mit ihrer zweiseitigen Ausrichtung im Grundsatz sehr gut.» Leider nur im Grundsatz: Kritisiert wurde die Raumstruktur, die gemäss Jury «eine beliebige Gliederung und ohne erkennbare Regel» aufweist. «Auch die östlichste Wohnung mit ihren drei Zimmerschichten wird aufgrund ihres Zuschnitts kontrovers diskutiert.»
Das Refektorium wird als kreisförmiger Raum konzipiert. Über den zentralen Raum sind auch fast alle anderen Räumlichkeiten der Odd-Fellows direkt erschlossen. «Durch die Anbindung all dieser Räume wird das Refektorium stark aufgelöst. Es wird bezweifelt ob der Raum dies leisten kann und ob diese Nutzungsüberlagerungen dem Raum gerecht werden.» Auch ist die Wiederholung des Themas des zentralen runden Raums scheint etwas gar wortwörtlich umgesetzt. «In der ausführlich geführten Diskussion konnte die räumliche Disposition schlussendlich nicht überzeugen.»
Harry Gugger Studio: «Discreet, but classy… «
Sockel, Schaft und Attika: Der Entwurf von Harry Gugger nimmt in der Gestaltung der Fassade klassische Themen der Architektur auf. In den Sockelgeschossen zeichnet das Gitter die unterschiedliche Höhe der Räume und damit ihre Bedeutung ab. Deren Nutzung entsprechend ist es teils mit Fenstern, teils mit Feldern aus Werkstein ausgefacht. In den Wohngeschossen wird es von den Fenstern nochmals geteilt, sodass hier eine zweite, feinere Gliederung entsteht.
Gugger entwickelte den Superspänner: Im Regelgeschoss werden je fünf oder sogar sechs Wohnungen von einem hallenartigen Vorraum erschlossen. Diese Disposition hat zur Folge, dass drei oder vier Wohnungen einseitig ausgerichtet sind, zu den Wohnhäusern an der Jacob Burckhardt-Strasse, also im Nordwesten, oder zur Grosspeterstrasse. «Damit sind zwei der Wohnungen ungenügend besonnt», bemängelt die Jury.
Der Entwurf ordnet als einziger die Halle im 1. Obergeschoss an und zeigt die Vor- und Nachteile einer solchen Disposition auf: «Sie erlaubt, die Höhe der Räume entsprechend ihrer Nutzung festzulegen und vermeidet eine lange Treppe zur Halle. Allerdings sind dort Fenster nicht erwünscht für die Zeremonie der Odd Fellows, die regelbares Licht verlangt. Es spräche also nichts gegen eine Halle im Untergeschoss…»
Siegerprojekt von Morger Partner: «Italomodernes Loftwohnen»
Beim Anblick des Siegerprojekts wähnt man sich für einen kurzen Moment an der Via Ippolito Nievo 28 in Mailand, wo Luigi Caccia Dominioni 1955 sein zeitlos-elegantes Wohnhaus gebaut hat. In beiden Fällen kommt der keramischen Oberfläche eine entscheidende Rolle zu. Sie schafft eine unnahbare Eleganz. Bei Morger soll sie zudem «im heterogenen Kontext Glanz vermitteln und dem Schmutz der Strasse entgegnend selbstreinigend und unterhaltsarm sein.» Ein bisschen Glanz kann an der vielbefahrenen Grosspeterstrasse tatsächlich nicht schaden… Der Bau überzeugt von Aussen durch seine Selbstverständlichkeit, «durch geschickt formulierte Zugänge und durch eine einfache, stringente bauliche Struktur, aus der eine urbane Typologie hervorgeht», wie die Jury es formuliert.
Weniger «italomodern» sind die Wohnungsgrundrisse. Morger Partner schlagen loftartige Wohnungen vor. Ihre Flächen sind in Relation zur Zahl der Zimmer sehr grosszügig bemessen. Die zwischen regelmässigen Schotten aufgespannten Grundrisse sind „neutral“ und frei gestaltbar konzipiert und schaffen Raum für attraktives, zeitgemässes Wohnen. Kritikpunkt der Jury: «Der mittige Körper ist sehr präsent, erzeugt zwei enge „Korridore“ und nimmt dem Raumkontinuum Transparenz und Grosszügigkeit. Zudem wird die Möblierung der Wohnung schwierig, impliziert die Anordnung doch das Freihalten der Schotten…»
Die Gartenfassade wird zur Loggien-Landschaft. «Die Loggien wurden geöffnet, sodass das Abendlicht eingefangen wird.» Die Jury liess sich von der Gestaltung der Rückseite (noch) nicht überzeugen: «Die Idee von flexiblen, transluziden und zugleich schalldämmenden Elementen erscheint zwar interessant, die architektonische Ausgestaltung vermag aber noch nicht zu überzeugen – zu unruhig, beliebig und kraftlos wirken sie in der Visualisierung.»
Die Odd Fellows betreten ihre Loge über eine prominente Pforte an der Gebäudeecke. Beim Entwurf von Morger Partner liegt die kreisrunde Halle im Untergeschoss. «Der Abgang zur Halle liegt zentral und erhält die Bedeutung, die ihm im Logen-Alltag der Odd Fellows zukommt.» Voll des Lobes ist die Jury ob der Loge: «Vorraum und kreisrunde Halle sind sinnlich und attraktiv; sie erfüllen bezüglich Form, Licht und Materialisierung die Voraussetzungen für die Zeremonien und Rituale des Ordens vorzüglich.»
Das Haus, das Morger Partner vorschlägt, «bildet einen überzeugenden Beitrag an diesem schwierigen, städtebaulich aber wichtigen Ort», lobt die Jury zum Schluss. Möge auf der Baustelle ganz im Sinne der Odd Fellows «Freundschaft, Liebe und Wahrheit» vorherrschen. Ob es das Haus auch einen Beitrag zu mehr «gegenseitigem Respekt sowie eigenständigem Denken jedes Menschen» leisten wird, wird sich weisen. Sicherlich werden die Odd Fellows weiterhin dafür besorgt sein…
Text: Lukas Gruntz / Architektur Basel