kollektive Architekt: Architektur als Zusammenspiel von Vielen

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Im ehemaligen Showroom eines italienischen Garagisten steht heute kein roter Fiat Cinquecento mehr, sondern ein Tisch in derselben Farbe, an dem wir gerade sitzen. Einzig der Kaffee erinnert vielleicht an die italienische Vergangenheit des Orts. Um den Tisch sitzen die Mitglieder von «kollektive architekt»: Dano Gloor, Johannes Schäfer, Yannick Schnetz und Natalia Wespi. Das im letzten Jahr herausgegebene Berufsbild von BSA, FSAI und SIA geistert nicht nur in unseren Köpfen herum, sondern liegt auch auf dem Tisch. Darüber wollen wir uns mit dem Kollektiv unterhalten. Wir rennen offene Türen ein, denn die Verärgerung und das Unverständnis über das besagte Papier sitzen tief, besonders bei Johannes Schäfer: «‹Der Architekt› – ich habe das gelesen und bin fast in Ohnmacht gefallen. Das ist so hinterwäldlerisch! Die ausschliesslich männliche Form in einer Sprache voller Ruhm und Ehre. Vor Ärger konnte ich nicht mehr arbeiten und habe dem Vorstand des SIA ein Mail geschrieben mit einem CC an die Redaktion von Hochparterre.» Von dort kam prompt eine Antwort, man sei bereits an der Produktion eines Textes dazu. Zum Glück sei Johannes einer, der auf die Barrikaden gehe, wenn ihn etwas störe, kommentiert Natalia Wespi. Sie hätten aber alle ähnlich reagiert auf das Dokument.

«‹Der Architekt› – ich habe das gelesen und bin fast in Ohnmacht gefallen. Das ist so hinterwäldlerisch! Die ausschliesslich männliche Form in einer Sprache voller Ruhm und Ehre. Vor Ärger konnte ich nicht mehr arbeiten und habe dem Vorstand des SIA ein Mail geschrieben mit einem CC an die Redaktion von Hochparterre.»

Die ältere Generation sei es gewohnt, eine eher konservative Bürostruktur mit klaren Hierarchien zu betreiben. Ein Chef, und unter ihm die Angestellten. «Heute muss die Zusammenarbeit viel stärker in den Vordergrund treten», meint Natalia Wespi. Darauf gehe das Berufsbild überhaupt nicht ein, ergänzt Dano Gloor. Das Dokument sei fernab von ihrer Realität: Bei «kollektive architekt» verdienen alle gleich viel, alle sind gleichberechtigt und haften persönlich und solidarisch. «Das ist eine ganz andere Vorstellung von Zusammenarbeit», bekräftigt Johannes Schäfer.

Form follows collaboration
Die Mitglieder des Kollektivs arbeiten seit 2015 in einer Bürogemeinschaft zusammen. 2019 wandelten sie diese in eine Kollektivgesellschaft um. Die Arbeitsweise hat sich kaum verändert, aber die Struktur hat sich formalisiert. Alle vier finden es wichtig, dass ihr Büro überschaubar und selbstverwaltbar bleibt, nach dem Grundsatz «die Dinge einfach halten». Johannes Schäfer sagt: «Wir können hier fast alles machen. All die Büros, die sich spezialisieren und am sogenannten Fachplaner-Syndrom erkranken, können viele grundlegende Planungs- und Konstruktionsarbeiten gar nicht mehr selbst. Die Bauherrschaft will eigentlich ein Haus und nicht ein Konstrukt aus lauter Einzel-Fachplanungen.»

«Aber Bauen kann nicht nachhaltig sein. Es ist in erster Linie Umweltzerstörung – und um Snozzi zu zitieren: Zerstöre mit Verstand & Freude.»

Uns interessiert, wie das Kollektiv eine Haltung zu seinem Werk entwickelt, und ob es auch eine politische Dimension in seiner Arbeit sieht. Darauf antwortet Natalia Wespi, dass sich die Haltung im Verlauf eines Projekts entwickelt. Weil alle an einem Projekt mitarbeiten, wird die Haltung auch von allen mitgetragen. So ist es auch mit den Aussagen in diesem Text: Die Mitglieder des Kollektivs drücken ihre persönliche Meinung aus, die mehrheitlich von den anderen geteilt oder mitgetragen wird.

Vereint am roten Tisch: kollektive Architekt im Kleinbasler Atelier © Gilbert Weise

«Bauen ist nie nachhaltig»
«Unser politischer Anspruch besteht im weitesten Sinne darin, dass wir bezahlbaren Wohnraum schaffen und baulich begleiten wollen.» Aber nicht nur die soziale Nachhaltigkeit beschäftigt das Kollektiv, sondern auch der behutsame Umgang mit Ressourcen. Zum ersten Mal in seiner Geschichte reisst es ein Haus ab. Das fällt allen schwer, meint Natalia Wespi: «Wir haben bis zum bitteren Ende versucht, den Abbruch abzuwenden.» Das Kollektiv interessiert sich für Dinge, die bereits da sind. Denn das sei per se nachhaltig. Deshalb findet man in der Werkliste hauptsächlich Umbauprojekte, Erweiterungen oder Aufstockungen. Heute sage man schnell, eine Konstruktion aus Holz sei nachhaltig, meint Johannes Schäfer. «Aber Bauen kann nicht nachhaltig sein. Es ist in erster Linie Umweltzerstörung – und um Snozzi zu zitieren: Zerstöre mit Verstand & Freude.»

Auf dieses Thema gehe das Berufsbild zwar ein, wenn es sage, ‹der Architekt› müsse sich bewusst sein, dass Bauen die Umwelt schädige. Doch was fehle, sei die Kritik am Bauen selbst. Die vier von «kollektive architekt» finden nicht alles Neue per se schlecht. Es sei nur reizvoller, sich mit dem Bestand auseinanderzusetzen. Erst wenn man richtig verstanden habe, warum etwas gut oder schlecht ist, sei man fähig, daran zu arbeiten.

Klar und unkompliziert
Das Gespräch geht am selben Tisch zu Ende, wo es angefangen hat. Die Kaffeetassen sind leer, die Wasserkaraffe noch halb voll und vereinzelt liegen Krümel auf dem Mosaikboden. Wir verlassen den Ort nur ungern. Eine Häuserzeile weiter machten wir bereits wieder halt und trinken einen Tee, um zu zweit weiter zu diskutieren. Wir lassen die Diskussion Revue passieren und rollen die behandelten Diskussionspunkte nochmals auf: Berufsbild, Haltung, soziale Nachhaltigkeit, Hierarchien und Ressourcen. All diese Punkte könnten noch weit tiefer behandelt und diskutiert werden. Uns Studierenden gab das Gespräch einen spannenden Einblick in eine Realität, die wir vielleicht später als Architektinnen und Architekten erleben werden.

Das «kollektive architekt» ist eine Gruppe von Personen verschiedenen Alters und mit unterschiedlichen Hintergründen, die mit viel Herzblut und Freude bei der Arbeit sind. Sie schaffen es mit einer klaren und doch flexiblen Haltung, die heutigen Herausforderungen auf eine direkte und unkomplizierte Art anzugehen.

Text: Tim Bögli und Moritz Wick


Dieser Text entstand am Institut Architektur FHNW im Frühlingssemester 2020, im Rahmen der Lehrveranstaltung in Sozialwissenschaften zum Thema «The Image of the Architect». Auf der Suche nach neuen Berufsbildern.

 

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