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Luca Selva Architekten: Vom neuzeitlichen Zweckbau zum zeitgenössischen Wohnraum

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Am Rheinknie ist Wohnraum ein rares Gut. Hinter einer unscheinbaren Fassade an der beschaulichen Holbeinstrasse verbirgt sich der neueste Beitrag punkto Wohnungsbau in Basel – und gleichzeitig auch in Sachen Bauen im Bestand. Wo sich fast 60 Jahre lang die traditionsreiche Druckerei Kreis befand, wird neuerdings gewohnt. Die Transformation von Luca Selva Architekten zeugt von einer sorgfältigen Auseinandersetzung mit den vorhandenen räumlich-strukturellen Qualitäten. Wir haben der Holbeinstrasse einen Besuch abgestattet.

Längsschnitt durch das Gebäude © Luca Selva Architekten

Es sei ein “neuzeitlicher Zweckbau, der sich bis zum heutigen Tag aufs beste bewährt hat”, schrieb Helmuth Kreis im Rahmen des 100-Jährigen Firmenjubiläums im Jahre 1984, wobei der Begriff “Zweckbau” die Qualitäten des Baus tatsächlich gut zusammenfasst. Erbaut wurde das Gebäude im Jahre 1961 von den Basler Architekten Eya + Burckhardt. Die Druckerei bestand aus zwei Gebäudeteilen: Einem viergeschossigen Bürotrakt an der Strasse und einer grossen Produktionshalle mit Sheddach im Hof. “Moderne Rampen, grosszügige, helle Arbeitsräume und zweckmässige Transportmittel erleichtern den rationellen Ablauf der Arbeit.“ Auch die Struktur ist äusserst rationell: Abgesehen von den Brandmauern und dem Erschliessungskern besteht sie nur aus Trägern, Unterzügen, Rippendecken und Pilzkopfstützen; ein “neuzeitlicher Zweckbau” eben.

Die Struktur ist äusserst rationell, wie die beiden Betonstützen mit Unterzügen in der Wohnung im Erdgeschoss beweisen © Armin Schärer

Die effizient-rationelle Gebäudestruktur ist der eine Grund, weshalb der Bestand für eine Transformation zu Wohnraum prädestiniert war. Der andere, triviale Grund ist ökonomischer Natur: Die Ausnutzung des Bestandes liegt weit über den heutigen baugesetzlichen Möglichkeiten. Ein Beispiel: Der Hof ist fast komplett überbaut, wobei heute gemäss Baugesetz mindestens eine Freifläche von 50% beibehalten werden müsste.

Alt und Neu gehen in der Fassade nahtlos ineinander über © Armin Schärer

Man steht an der Holbeinstrasse und fragt sich: “Eine Renovation? Ein Umbau?” Die Strassenfassade verrät wenig vom neuen Leben der Nummer 56. Die generische Rasterfassade besteht aus feinen Metallprofilen, unprätentiösen Lamellenstoren und schlichten Glas- und Aluminiumpaneelen. Sie spricht weiterhin die Sprache des ursprünglichen Druckereigebäudes. Einzig die zurückversetzte Fassadenebene der Obergeschosse mit ihren eingezogenen Loggien deutet die neue Wohnnutzung an.

Einmal den Korridor runter… Umbau Druckereigebäude Kreisdruck von Luca Selva Architekten © Armin Schärer

Man betritt das Haus über eine Rampe auf der linken Seite, die direkt neben der Einfahrt zur Einstellhalle liegt, die ihrerseits aus dem umfunktionierten unterirdischen Druckereilager entstand. Ob im Jahre 2020 an innerstädtischer Lage das Angebot von elf Parkplätzen für neun Wohnungen sinnvoll und zeitgemäss ist, soll an anderer Stelle diskutiert werden. Über eine etwas eigenartige Abfolge von Korridoren und Vorräumen erreicht man das Treppenhaus des ehemaligen Bürotrakts, dessen Struktur an Effizienz kaum zu überbieten ist: Die beiden Brandmauern plus vier Stützen im Zentrum tragen die Decken. Insbesondere bei den vier Wohnungen der beiden Regelgeschosse kommen diese hervorragend (und wortwörtlich) zum Tragen. Die beiden Pilzstützen stehen im Zentrum des Z-fömigen Wohnraums gegenüber einer langen Küchenzeile. Sie gliedern den Raum, schaffen Tiefe. Man fühlt sich im besten Sinne an die berühmte, freigestellte Stütze in den Wohnungen von August Perret in Le Havre erinnert.

Die beiden Pilzstützen gliedern den Wohnraum © Armin Schärer

Das typologische Highlight sind die beiden Wohnungen in der Shedhalle im Erdgeschoss. Die längsten Wohnungen der Stadt! Die Grundrisse reizen die maximale Fluchtweglänge von 35 m aus. Typologisch bestehen sie aus einer einzigen Raumschicht, die analog der Struktur des Sheddachs in sechs Sequenzen unterteilt wird, die unterschiedliche Wohnbereichche und Nutzungen gliedern. Das räumliche Zentrum bildet die grosse Loggia, die die Wohnung mit Tageslicht flutet. Als Reminiszenz an die industrielle Vergangenheit wurde das freigelegte Stahlskelett beibehalten, wodurch der Aussen- mit dem Innenraum verschränkt wird. In einer schmalen, mittigen Raumschicht sind die dienenden Räume, Bad und Reduit, wechselseitig angeordnet. Ihren Abschluss finden die Wohnungen in einem schmalen Hof am Ende der Parzelle, der beim Betreten der Wohnung einen den schönen visuellen Horizont bildet und die scheinbar unendliche Tiefe der Wohnung akzentuiert. Die Lichtqualität ist dank den nordwest-orientierten Fensteröffnungen im Dach schlicht grandios. Für Liebhaber von viel Tageslicht sind die beiden Wohnungen prädestiniert.

Der Erdgeschoss-Grundriss mit den beiden Wohnungen in der ehemaligen Produktionshalle © Luca Selva Architekten

Bauen im Bestand bedingt clevere Strategien zur Ertüchtigung der technischen Infrastruktur: Über einem Hohlboden konnte die horizontale Feinverteilung der Haustechnik effizient in die bestehende Struktur integriert werden. Der überdurchschnittlichen Raumhöhe sei Dank. Im Bürotrakt verbleibt in den Wohnungen eine lichte Höhe von 3.14 m, was die räumliche Grosszügigkeit zusätzlich verstärkt. Geheizt wird mit konventionellen Röhrenheizkörpern, die gut zum industriellen Charakter passen. Die Materialisierung der Wohnungen bietet keine grossen Überraschungen. Zu den weissen Decken gesellen sich weisse Wände und  weisse EdizioDue Schalter und Steckdosen. Das geölte, feinsägerohe Eichen-Holzriemenparkett ist robust und hochwertig. Die dunkelrot gespritzten Küchenfronten setzen einen farblichen Akzent.

Die längste Wohnung der Stadt! Der schmale Hof am Ende der Parzelle bildet den Horizont © Adriano Biondo

Zurück auf der Holbeinstrasse stehend, blickt man nochmals auf die unspektakuläre Fassade, reibt sich die Augen und fragt sich: Kann es sein, dass sich dahinter all der soeben erlebte räumliche Reichtum verbirgt? Die besondere Leistung von Luca Selva Architekten bestand in der präzisen Lektüre der vorgefundenen räumlichen und strukturellen Gegebenheiten. Daraus wurden gekonnt Wohnungen gemacht. Ein Lehrstück, wie man aus einem bestehenden Bauwerk dessen spezifischen Qualitäten herausschält und neu interpretiert. So geht Architektur. Leichte Abzüge gibt es lediglich für die Materialisierung. Die ist etwas zu sehr Svizzera 240. Man hätte sich mehr Mut zur Rohheit – oder zum Experiment – gewünscht. Hätte man für die Sanitärinstallationen oder Keramikplatten auf gebrauchte Bauteile zurückgreifen können? Zudem hätte die gewerbliche Vergangenheit stärker an Oberfläche treten dürfen, wie das bei den beiden Betonstützen in der Erdgeschosswohnung geschehen ist – oder im Treppenhaus, wo die Architekten die bestehenden, zeittypischen Steinzeugplatten originalgetreu haben reproduzieren lassen. Der sorgfältige Umgang mit dem Bestand schafft neue Qualitäten – und so wurde aus einem neuzeitlichen Zweckbau zeitgenössischer Wohnraum.

Text: Lukas Gruntz / Architektur Basel

Sägerohes Eichenparkett gesellt sich zu orginalgetreu reproduzierten Steinzeugplatten © Armin Schärer


Umbau Druckereigebäude Kreisdruck
Bauherrschaft: Kreis Immobilien AG, Basel
Architekten: Luva Selva Architekten, Basel
Bauingenieure: Beurret Ingenieure GmbH, Basel
Projekt und Ausführung: 2015-2020
Adresse: Holbeinstrasse 56, 4051 Basel
Nutzung: ingesamt 9 Wohnungen (2.5 bis 4.5 Zimmer)

 

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