Luca Selvas Berufsverständnis: «Kümmert euch ums Ganze!»

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Luca Selva führt mit drei Partnerinnen und Partnern das 1991 gegründete Büro Luca Selva Architekten. Er ist zudem ehemaliger Professor am Institut Architektur der Fachhochschule Nordwestschweiz. Wir sind auf ihn aufmerksam geworden, als er an unserem Institut einen interessanten Gastvortrag hielt. Darin forderte er uns auf, Architektur als Ganzes zu betrachten. Um mehr über dieses Thema zu erfahren, führten wir mit ihm im Rahmen unserer Semesteraufgabe im Fach Sozialwissenschaften ein Interview.

Demut und Respekt 
Das ganzheitliche Verständnis von Architektur prägte Luca Selva schon bei seinem ersten selbstständigen Projekt. Ohne jegliche Erfahrung in der Ausführung von Bauten stürzte er sich 1993 mit Jean-Pierre Wymann in die Arbeit. Die jungen Architekten hatten den Wettbewerb für das Kaltbrunnen-Schulhaus in Basel gewonnen und waren nun verantwortlich für die Ausführung des Projekts. Als er tagtäglich die Bauarbeiter auf der Baustelle arbeiten sah, veränderte sich Luca Selvas Zugang zur Architektur umfassend: «Es ist ein schwieriger Begriff, aber man wird ein bisschen demütig und respektvoll. Man verliert die jugendliche Arroganz, die man hat, wenn man frisch von der Schule kommt und denkt, dass man die Welt neu erfinden kann.»

Hofbebauung Hegenheimerstrasse Luca Selva Architekten © Architektur Basel

Hofbebauung Hegenheimerstrasse Luca Selva Architekten © Architektur Basel

Nach über tausend projektierten und gebauten Wohnungen lautet Luca Selvas Idealvorstellung bis heute, dass ein einzelner Architekt, eine einzelne Architektin vom Start eines Projekts bis zur Schlüsselübergabe die Verantwortung tragen sollte. Er erklärt, es sei wichtig, die «DNA» eines Projekts auch in die Ausführung einfliessen zu lassen. Es entstünden ganz andere Ergebnisse, wenn ein leidenschaftlicher Architekt, eine Architektin mit Herzblut anstelle eines externen Verantwortlichen die Bauleitung mache: «Es braucht nicht nur Lackschuhe, sondern auch Gummistiefel, mit denen man auf die Baustelle gehen kann.» Leider, so Luca Selva, seien derartige Mitarbeitende nicht einfach zu finden, deshalb bilde er sie selber aus. Für ihn sei es sehr wichtig, ein attraktiver Arbeitgeber zu sein, um möglichst lange mit den Mitarbeitenden arbeiten zu können und so wertvolle Erfahrungen im Büro halten zu können. Durch die Einsparung an den Schnittstellen zu externen Firmen sei es auch ökonomisch interessant, die Bauleitung und das Baumanagement selbst zu leisten.

«Wenn man das Projekt nach der Baueingabe nicht mehr kontrollieren kann, muss man schon früh alles fertig eingeben, was diese Architektur ausmacht. Deshalb muss man sie sehr extravagant positionieren.»

Neubau Wohnungen Meret Oppenheim-Strasse von Luca Selva © Architektur Basel

Neubau Wohnungen Meret Oppenheim-Strasse von Luca Selva © Architektur Basel

Von der Idee zur Schlüsselübergabe
Luca Selva legt Wert darauf, dass diese integrale Arbeitsweise in der Schweiz möglichst lange erhalten bleiben kann. Denn die Tendenz zur Spezialisierung im Ausland werde früher oder später auch in die Schweiz Einzug halten. In Deutschland beispielsweise seien Architektinnen und Architekten in der Regel nur noch für die ersten vier von neun Projektphasen eines Gebäudes zuständig. Die restliche Arbeit wird dort von einem Ausführungsbüro erledigt. In Holland wurde schon in den 1990er Jahren so gearbeitet: «Die ersten Projekte des Büros MVRDV (…) waren immer extreme Projekte. Das hat Auswirkungen auf die Architekturproduktion: Wenn man das Projekt nach der Baueingabe nicht mehr kontrollieren kann, muss man schon früh alles fertig eingeben, was diese Architektur ausmacht. Deshalb muss man sie sehr extravagant positionieren.»

Im Unterschied zu den 1990er Jahren muss ein Architekt oder eine Architektin heute viel stärker multimedial unterwegs sein, um marktfähig zu bleiben. Selvas Büro nimmt unter anderem an Wettbewerben teil, welche Abgaben in BIM-Form verlangen. Ausserdem sind heute deutlich mehr Referenzprojekte als früher einfach verfügbar. Angesichts der vielen Bücher, Zeitschriften und Informationen aus dem Internet ist es umso wichtiger, die relevanten Informationen filtern zu können. Luca Selva beobachtet auch eine Zunahme der individuellen Arbeitsbelastung. Die Aufgaben sind grösser geworden, man baut viel mehr und schneller. Die Projekte sind so umfangreich und komplex, dass man viel mehr Rechenschaft ablegen muss. Trotzdem hat sich seine Grundhaltung zur Architektur in den 30 Jahren seiner Selbstständigkeit nicht verändert: «Die Anforderungen an den Beruf sind letztlich gleich wie damals. Man arbeitet nur mit anderen Mitteln, und das setzt natürlich ganz andere Fertigkeiten voraus.»

Gebäude von der Margarethenstrasse © Architektur Basel

Digitalisierung ja, aber wem gehören Daten?
Die Digitalisierung, insbesondere die Arbeit mit BIM, sieht Selva sowohl als grosse Chance wie auch als Herausforderung. Die Entwicklung wird nicht aufzuhalten sein und es könnte eine sehr interessante Zeit der Fertigung auf uns zu kommen. Für eine erfolgreiche Zusammenarbeit müsse man jedoch in Zukunft den Umgang mit den Daten besser regeln.

Vom Putzen des eigenen Büros bis zur letzten keramischen Platte, die eine Person auf die Baustelle tragen muss; für ihn tragen alle Arbeiten ihren Teil zur Architektur bei.

Fairness und Freude
Was bedeutet es für Luca Selva, ein attraktiver Arbeitgeber zu sein? Er bietet zum Beispiel flexible Arbeitszeitmodelle. Mit seinen Mitarbeitenden handelt er individuelle Lösungen aus, so dass sie Beruf und Familie vereinbaren können. Diese Modelle sind vor allem für die Mitarbeiterinnen in seiner Firma von Bedeutung. Frauenförderung bedeutet, Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass sich Kompetenzen in umfassenden Sinn durchsetzen können. Damit setzen sich auch Frauen durch. Das zeigt sich in der Firma von Luca Selva deutlich. Ausserdem ist für ihn nachhaltiges Bauen ein Thema, das immer wichtiger wird. Schon seit 1990 habe er viel mit Holz gebaut.

Hofbebauung Hegenheimerstrasse Luca Selva Architekten © Architektur Basel

Hofbebauung Hegenheimerstrasse Luca Selva Architekten © Architektur Basel

Luca Selva wirkt, als hätte er grosse Freude am Beruf. Seine Rolle als Generalist übt er sehr fair aus und behandelt alle am Bau Beteiligten mit grossem Respekt. Vom Putzen des eigenen Büros bis zur letzten keramischen Platte, die eine Person auf die Baustelle tragen muss; für ihn tragen alle Arbeiten ihren Teil zur Architektur bei. Neue Herausforderungen hinterfragt er kritisch, aber er sieht und nutzt deren Chancen, um zu einem guten Ergebnis zu kommen.

Text: Walid Rahmany und Lukas Schällibaum

Portrait von Luca Selva © selva-arch.ch


Dieser Text entstand am Institut Architektur FHNW im Frühlingssemester 2020, im Rahmen der Lehrveranstaltung in Sozialwissenschaften zum Thema «The Image of the Architect». Auf der Suche nach neuen Berufsbildern.

 

 

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