PETITION GAV ARCHITEKTUR

Lucius Burckhardt: «Wenn die Wirtschaft einmal die von ihr verursachten Schäden und Risiken selbst tragen muss, wird sie auch wieder umweltfreundlich – so flexibel ist sie noch.»

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«Integrale Erhaltung, Anpassung der heutigen Bauten an vorgegebene Proportionen oder kompromisslose Moderne. Das sind drei Möglichkeiten, von denen keine ausschliesslich die richtige ist, sondern mit denen ein zeitgemässer Heimatschutz zu rechnen, zu arbeiten hat.» Den Erhalt des historischen Stadtbildes sah er immer in Kombination, ja gar in Abhängigkeit mit dem Weiterdenken. Wenn man eines nicht kann, ist es, Lucius Burckhardt in eine Schublade zu stecken. Im Werk «Gerade noch gutgegangen – Fünf Jahrzehnte Planungskritik» haben Markus Ritter und Martin Schmitz die wichtigsten Texte Burckhards kuratiert.

Eins vorweg: Lucius Burckhardt zu lesen, insbesondere die vorliegende Textesammlung, verlangt etwas Disziplin. Wer nach anschaulichen Stadtplänen oder erklärenden Grafiken sucht, wird sich mit ein paar seltenen Fotografien begnügen müssen. Wer hingegen Inhalte und Begründungen möchte, dürfte fündig werden. Die Texte sind so spröde wie politisch – jedoch um keine Argumentation verlegen. Dies mag bisweilen etwas anstrengend sein, ist aber gut so. Hier zählt der Inhalt – nicht die Headline. Um Burckhardts Positionen und Absichten zu verstehen, sei etwas Wissen zur Geschichte Basels, der städtischen Entwicklung und den politischen Diskursen der vergangenen Jahrzehnte empfohlen. Wir wagen den Versuch, den Inhalt zu besprechen.

Die Altstadt – vielleicht das wichtigste Thema Burckhardts © Architektur Basel

Die Altstadt – vielleicht das wichtigste Thema Burckhardts © Architektur Basel

«Seit ich die Stimmfähigkeit erlangt habe, kämpfe ich gegen die verfehlte Bau- und Verkehrspolitik in Basel. Erstmals mit dem Korrektionsplan von 1949, und jüngstens mit der Nordtangente wurden Projekte vorgeschlagen, die das Verkehrsproblem nicht nur nicht lösten, sondern verschlimmerten, und die Situation der Fussgänger und Radfahrer immer unerträglicher werden liessen. Für mich ist die Kandidatur in einer Grünen Partie gewissermassen die Zusammenfassung dieser Kämpfe.»

Die Textesammlung wird mit teils historischen Aufnahmen der Stadt ergänzt © 2022 Martin Schmitz Verlag

Die Textesammlung wird mit teils historischen Aufnahmen der Stadt ergänzt © 2022 Martin Schmitz Verlag

Die Textesammlung startet mit einem geschichtlichen Kurzabriss ab 1830. Thematisiert werden etwa die Kantonstrennung, der Bau der Eisenbahn oder die Schleifung der Stadtmauern, die Affäre rund um das Färbemittel Fuchsin aus dem Hause Ciba Geigy, der Bau der Strassenbahn oder der Grossbasler Korrektionsplan. In städtebaulicher Hinsicht dürfte ebendieser Korrektionsplan eines der wichtigsten Themen der gesamten Sammlung darstellen und Burckhardts Engagement dagegen, beziehungsweise für die Stadt wie wir sie heute kennen, deutlich werden.

«Auf Landesebene werde ich für die Erhaltung der natürlichen Ressourcen eintreten, gegen die Zerstörung des Bodens durch eine falsch geleitete Landwirtschaft und für den öffentlichen Personen- und Warenverkehr, gegen unsinnigen Strassenbau. Auf lokale Bevölkerungsteile muss wieder Rücksicht genommen werden. Auch für die Wiederherstellung des föderativen und die regionalen Rechte werde ich mich einsetzen.»

Lucius Burckhardt ist 1925 in Davos geboren und aufgewachsen. Nach seinem Medizin-, Nationalökonomie- und Soziologiestudium in Basel arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Münster in Dortmund. Nach seiner Gastdozentur in Ulm unterrichtete er Soziologie an der Architekturabteilung der ETH in Zürich. Von 1962 bis 1972 war er Chefredaktor des Werks. 2003 starb er in Basel.

Zeitlebens hat sich Lucius Burckhardt mit Basel auseinandergesetzt, teils vor Ort, meist aber aus der Ferne, immer jedoch mit einer klaren Vision: ein sinnvoller Schutz der Altstadt und eine Gesetzgebung zum Denkmal-, Baum- und Naturschutz; nur um einige seiner Initiativen zu nennen. Markus Ritter und Martin Schmitz fragen sich aber zu Recht, ob «zum 100. Geburtstag von Lucius Burckhardt im Jahr 2025 sein versöhnlicher Optimismus auch für den Autoverkehr und die Ökologie angebracht sein wird?»

Eine detaillierte Auflistung verschiedener Geschehnisse rund um Lucius Burckhardt © 2022 Martin Schmitz Verlag

Eine detaillierte Auflistung verschiedener Geschehnisse rund um Lucius Burckhardt © 2022 Martin Schmitz Verlag

«Wichtige ökologische Anliegen sind auch solche einer recht verstandenen Ökonomie. Umweltschäden aus Renditegründen sollten wir uns nicht mehr leisten: sie sind in Wirklichkeit Verluste. Wenn die Wirtschaft einmal die von ihr verursachten Schäden und Risiken selbst tragen muss, wird sie auch wieder umweltfreundlich – so flexibel ist sie noch.»

Vieles, wofür sich Burckhardt eingesetzt hatte, nehmen wir heute als Selbstverständnis hin. Beispielsweise hätte die geplante Talentlastungsstrasse mitten durch die Altstadt das Bild von Basel nachhaltig verändert. Im Dunste der damaligen Zukunftsvorstellung vom Auto als Allheilmittel jedoch schien es für die meisten politischen Parteien und Organisationen nur logisch, die Blechlawine direkt durch die Stadt zu leiten.

Der öffentliche Verkehr, Orte für Fussgänger:innen und Individualverkehr. Dinge die Burckhardt beschäftigten © Architektur Basel

Der öffentliche Verkehr, Orte für Fussgänger:innen und Individualverkehr. Dinge die Burckhardt beschäftigten © Architektur Basel

Im Architektur Basel Podcast haben wir uns über das «grüne» Buch Burckhardts unterhalten (im «roten» Buch zur Spaziergangswissenschaft fragt er sich, warum Landschaft schön ist?) und uns gefragt, inwiefern wir Burckhardts Überlegungen in der Gegenwart wiederfinden. Weit suchen muss man tatsächlich nicht: das Projekt des Rheintunnels würde bei Burckhardt wohl Anklang finden; mit Themen wie Verkehr, insbesondere dem motorisierten Individualverkehr, die Frage nach Grünräumen oder der Inanspruchnahme von Flächen. Nur: ob sich Burckhardt nun für oder gegen einen Rheintunnel eingesetzt hätte? Schwierig zu sagen.

Wirklich verstanden fühlte sich Lucius Burckhardt in Basel wohl nie. Stets das Beste für Basel im Sinne und seiner Zeit voraus. Ritter und Schmitz meinen dazu: «Burckhardts Texte zu Basel erzählen immer alternative Perspektiven. «Seine» Stadt ist nie von der Mehrheit so gesehen und schon gar nicht entwickelt worden. Ihm schwebte immer eine grüne Stadt vor. Ökologisch sind seine Positionen längst vor jedem zeitgenössischen Alarmismus gefestigt. Koexistenz mit Umwelt und Natur ist ihm ein Leben lang selbstverständlich. Das Unwort «Suffizienz» gebrauchte er nie, er lebte dessen Sinngehalt.»

Text: Simon Heiniger / Architektur Basel


Lucius Burckhardt (Autor)
Markus Ritter, Martin Schmitz (Hg)
Gerade noch gutgegangen
Fünf Jahrzehnte Planungskritik
432 Seiten, farbige Abbildungen
franz. broschiert, 11.5 × 18 cm
© 2022 Martin Schmitz Verlag
EUR 30.-
ISBN: 978-3-927795-86-0

 

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