Wer sich mit Architektur in Basel auseinandersetzt, kommt am Namen Morger nicht vorbei. In verschiedenen Konstellationen – Morger & Degelo, Morger + Dettli und heute Morger Partner Architekten – prägte Meinrad Morger die Entwicklung der Architekturstadt am Rheinknie. Im ersten Teil des Monatsinterviews sprechen wir über seine Anfänge in Basel in den 1980er-Jahren, Michael Alder, Bescheidenheit, den Roche Turm, die Stadtbildkommission und die Notwendigkeit einer öffentlichen Debatte über Architektur. Morger fordert ein stärkeres politisches Engagement in städtebaulichen Fragen: «Radikale städteräumliche Veränderungen sollen nicht einfach hingenommen werden müssen. Sie brauchen eine ehrliche und offene kritische Debatte.»
Lukas Gruntz (Architektur Basel): Du bist in der Ostschweiz aufgewachsen. Seit 1980 lebst du am Rheinknie. Was ist deine erste Erinnerung an Basel?
Meinrad Morger: „Was mich von Anfang an beeindruckte, war die Offenheit Basels. Eine Offenheit in verschiedener Hinsicht. Aus der Ostschweiz kommend, wo die Räume geschlossen und das katholische-konservative Milieu eng waren, ist die Topographie hier weit und das kulturell-gesellschaftliche Milieu liberal und offen. Schnell lernte ich für meine weitere Entwicklung wichtige Kulturschaffende wie Jürg Stäuble, Silvia Bächli oder Eric Hattan kennen. Dank ihnen, Museumsbesuchen und Teilnahmen an Kulturdebatten, hatte ich verstanden, dass Basel als Kunst- und Kulturstadt weltweite Bedeutung zukam. 200 Kilometer rheinabwärts begegnete ich einer Stadt, die für mich absolut anziehend war, mir viele neue Perspektiven und Inspirationen eröffneten, mich emanzipierten und unabhängiger machten. Diese vielfältigen Erfahrungen gaben mir eine solide Grundlage für meine selbstständige Arbeit.“
Und punkto Architektur?
„Da stiess ich mit Herzog & de Meuron, Diener & Diener, Alder oder auch Fierz & Baader auf eine bedeutende Bewegung, die im Werden war und die einen ganz wesentlichen Anteil am internationalen Erfolg der Neuen Deutschschweizer Architektur hatten. Für mich persönlich war der leider viel zu früh verstorbene Architekt Michael Alder, bei dem ich arbeiten durfte, zentral. Da bekam ich eine Haltung vorgelebt, die mich schon sehr prägte: Er war ein leidenschaftlicher Vertreter der Neuen Einfachheit. Sein Interesse galt dem Gewöhnlichen, Alltäglichen, Selbstverständlichen. Ich ahnte dazumal, dass seine in die Vergangenheit befragende Methode eine fundierte typologische Untersuchung für den zukünftigen Haus- und Siedlungsbau sein musste.“
Ich kenne die heroischen 80er-Jahre und dann auch die 90er, wo in Basel in Sachen Architektur extrem viel passiert ist, eigentlich nur aus der Erzählung…
„Da warst du wahrscheinlich noch gar nicht geboren.“
1989. Ich habe die 80er also knapp gestreift. Aber was ich fragen wollte: Inwiefern hat sich das architektonische Umfeld in Basel seit den 1980er und 1990er Jahren verändert?
„So heroische Phasen, die es in Basel auch schon zur Zeit des Klassizismus und Historismus oder zur Zeit der klassischen Moderne gab, können nicht ewig dauern. Sicherlich hat die Aufbruchsstimmung durch den internationalen Erfolg seiner Protagonisten eine neue Dynamik angenommen. Gleichzeitig bekam die Wirtschaft Schub. Nach Jahren der Stagnation hat die Bewohnerzahl in Basel wieder zugenommen. Wurde in den 1980er, 1990er Jahren noch relativ wenig gebaut, so nahmen die Bautätigkeit in den letzten zwanzig Jahren rasant zu. Basel ist in dieser Zeit durch seine neuen epochalen Bauten zur wichtigsten Architekturstadt der Schweiz avanciert – und Herzog & de Meuron zu einem der weltweit erfolgreichsten Architekturbüros. Was hat sich noch verändert? Zum Beispiel das Wettbewerbswesen. Der damalige Kantonsbaumeister Carl Fingerhut hat unter anderem den Architekturwettbewerb mit dem Argument, das Architekturqualität das Bewilligungsverfahren beschleunigen wird, erfolgreich lanciert und private Auftraggeber dazu bewogen, vermehrt dieses Instrument anzuwenden. Heute ist der Architekturwettbewerb, sicherlich auch durch die Gesetzgebung des öffentlichen Beschaffungswesen unverzichtbar geworden. Oder die Architektur- und Städtebaudebatten, die im Gegensatz zu heute in den 1980er und 1990er Jahren viel intensiver, viel inspirierender, aber irgendwie auch viel grundsätzlicher als heute geführt wurden.“
«Ich war verblüfft, als ich in den 1980er Jahren im Basler Ausstellungsraum Filiale eine künstlerische Arbeit von Jacques Herzog sah.»
Worin äusserten sich diese Debatten? Um welche Grund- und Gegensätze ging es?
„Aus meiner Sicht gab es zwei Strömungen in Basel, die für unsere eigene Entwicklung eminent wichtig waren: Einerseits Michael Alder, der sich sehr der Tradition der Schweizer Baukultur verpflichtet fühlte und andererseits Herzog & de Meuron und Diener & Diener, die den Architekturbegriff neu, offener, freier, experimenteller verstanden und auch viel internationaler operierten, sich aber trotzdem immer wieder auch auf die eigene kulturelle Herkunft bezogen. Dazu kommt ihre Affinität zur Kunst. Ich war verblüfft, als ich in den 1980er Jahren im Basler Ausstellungsraum Filiale eine künstlerische Arbeit von Jacques Herzog sah. Michael Alder hingegen hat sich mit Untersuchungen ländlicher und anonymer Architektur auseinandersetzt und anhand vorgefundender Strukturen, Typologien Konstruktionen und Bilder, die über Jahrhunderte entstanden sind, Regeln einer Bau- und Siedlungskultur aufgezeigt.“
Es ist eigenartig, dass Michael Alder in unserer Generation – auch als Abgänger der Fachhochschule in Muttenz – nicht mehr so präsent ist. Ganz im Gegenteil zu Herzog & de Meuron und Diener & Diener. Für mich ist Alder – offen gestanden – kaum eine Referenz, auf die ich mich bei meiner Arbeit beziehe.
„Das kann ich mir gut vorstellen. In diesem momentanen Architekturhype ist sein Denken irgendwie vergessen gegangen. Trotzdem hat er als leidenschaftlicher Visionär über Basel hinaus eine ganze Generation geprägt. Michael Alder war als Pfarrersohn eine sperrige Persönlichkeit. Und: Starallüren lehnte er kategorisch ab.“
«Heinrich und ich konnten gut und leidenschaftlich gerne Pläne zeichnen und Modelle bauen. Wir verfügten schon früh über diese praktischen Fähigkeiten, da wir vor dem Architekturstudium eine Möbelschreiner beziehungsweise eine Hochbauzeichnerlehre absolviert hatten.»
Wenn man die alten Auszeichnungen Guter Bauten durchsieht, taucht da ab den 1990er-Jahren der Name Morger & Degelo immer öfter auf. Wie begegnest du deinem eigenen Frühwerk in Basel heute?
„Sehnsüchtig. Die Aufbruchstimmung hat uns enorm motiviert. Die ersten Arbeiten sind aus dem vorgefundenen Stoff unserer Vorbilder entstanden. Beide Positionen haben uns gleichermassen interessiert und wir haben von ihnen profitiert. Wir selbst gehörten nicht zur Avantgarde. Wir haben nicht den Anspruch, Neues erfunden zu haben. Wir haben das, was da war, weitergedacht, weiterentwickelt. Unseren Arbeiten liegt eine ernsthafte Beschäftigung mit dem Ort, mit der Typologie zugrunde. Im Zeitalter unerträglicher Bilderflut suchten wir nach einem architektonischen Ausdruck des Wesentlichen, Minimalen. Nehmen wir als Beispiel unseren Entwurf für das Kommunale Wohnhaus an der Müllheimerstrasse in Basel von 1990. Das neue Gebäude vermittelt zwischen der geschlossenen Stadt des 19. Jahrhunderts und der offenen Struktur der 1950er Jahre, die Wohnungsgrundrisse thematisieren neutrale, nutzungsoffene Räume und die rote vorfabrizierte Fassade besteht aus ganz wenigen Elementen. Das Konstruktive der Fassade gibt dem Bau den tektonischen Ausdruck. Mit diesem frühen Werk haben wir, so glaube ich es zumindest, unsere eigene Sprache gefunden. Ich weiss es nicht wirklich, aber vielleicht haben wir in dieser Zeit unsere beste Phase gehabt. Ich erinnere mich auch deshalb gerne an die Zeit zurück, weil alles noch analog hergestellt wurde. Heinrich und ich konnten gut und leidenschaftlich Pläne zeichnen und Modelle bauen. Wir verfügten schon früh über diese praktischen Fähigkeiten, da wir vor dem Architekturstudium eine Möbelschreiner- beziehungsweise eine Hochbauzeichnerlehre absolviert hatten. Unsere Architektur hat sicherlich auch durch diese Erfahrung ihren spezifischen Ausdruck gefunden. Obwohl ich die Veränderungen zum Digitalen nicht bedaure, eine gewisse Sehnsucht nach dem Analogen schleicht sich bei mir immer wieder mal ein.“
Wenn wir von Veränderung sprechen: Ich beobachte, dass man in Basel stärker als andernorts allem Modischen in der Architektur mit Skepsis begegnet. Beispielsweise wenn ich den Wohnungsbau anschaue – und ihn mit anderen Schweizer Städten vergleiche. Nimmst du das auch so wahr?
„Das ist eine interessante Beobachtung. Ich kann nicht genau sagen, wo die wahren Hintergründe hierfür liegen. Vielleicht liegt es am Basler Understatement. Der ehemalige Kunsthalle-Wirt Peter Wyss hat mit Bedauern festgestellt, dass in Basel die teuren Autos nicht ausgefahren werden, im Gegensatz zu Zürich, wo gezeigt wird, was man hat. Das sagt schon einiges. Darüber hinaus hat es auch mit der spezifischen Basler Architekturgeschichte zu tun. Hans Bernoulli, Hannes Meyer, Hans Schmidt, Paul Artaria, Michael Alder und Diener & Diener: alles Basler Architekten, die sich während den letzten hundert Jahren in ihren Schriften und Bauten mit grundsätzlichen, aktuellen und nicht mit modischen Fragen der Architektur und des Wohnungsbau auseinandergesetzt haben und für uns und viele andere auch jüngere Architekten zu Vorbildern wurden.»
«Wenn über unsere Bauten, die einen Öffentlichkeitsanspruch haben, debattiert wird, dann müssen wir das aushalten. Kritik kann auch fruchtbar sein.»
Mit unserem Onlinemagazin haben wir ein stückweit einen Tabubruch begangen, indem wir es wagten, Kolleginnen und Kollegen öffentlich zu kritisieren. Morger Partner hat es auch schon erwischt. Was uns irritiert, ist diese vornehme Zurückhaltung, diese Verweigerung der Arrivierten zur öffentlichen Debatte über Architektur. Beispielsweise beim Roche Turm. Woher rührt diese Zahmheit? Ist Basel einfach zu klein?
„Erst mal ein grosses Lob, dass ihr diese Debatte in Eurem Onlinemagazin führt. Ihr hoffe, dass Ihr Ausdauer zeigt und damit weiterhin Erfolg haben könnt. Die Beiträge können mitunter auch ein Sprachrohr Eurer jungen Generation werden. Zur Kritik: Ich finde es nicht schlimm, wenn es uns auch mal erwischt. Wenn über unsere Bauten, die einen Öffentlichkeitsanspruch haben, debattiert wird, dann müssen wir das aushalten. Kritik kann auch fruchtbar sein. Vielleicht sind die „Arrivierten“ nach dem Hunger der 1980er und 1990er Jahre inzwischen ein wenig gesättigt. Ich weiss es nicht! Ich weiss nur, dass Kritik über Bauten wie den Roche Turm umständehalber wenig bringt. In der Beziehung sind wir in Basel schon sehr verhalten und auch ein wenig opportunistisch geworden. Radikale städteräumliche Veränderungen sollen nicht einfach hingenommen werden müssen. Sie brauchen eine ehrliche und offene kritische Debatte.“
Du hast zuvor von den zwei architektonischen Polen in den 1980er-Jahren gesprochen. Für uns als junge Generation wäre es spannend, wenn die Positionen von euch etablierten Architekten in öffentlichen Debatten stärker zum Vorschein kommen würden. Das würde uns helfen, unsere eigene Position zu schärfen. Heute gibt es vielleicht mehr unterschiedliche Positionen als damals. Aber es gibt sie ja doch immer noch.
„Das habe ich mir noch nie so wirklich überlegt, dass das für Euch wichtig sein könnte.“
«Ich frage mich dabei aber auch, was solche grosse Veränderungen für unsere Stadt sozialgesellschaftlich bedeuten. Ist es der richtige Weg, dass sich ein Unternehmen so dominant artikuliert?»
Es geht auch nicht darum, dass die eine Haltung gut und die andere schlecht ist. Aber die öffentliche Auseinandersetzung über Architektur braucht es. Den öffentlichen Widerspruch.
„Zuerst muss ich noch etwas anfügen. Mir gefällt das Roche Turm-Projekt auch in ihrer zukünftigen Gesamtheit sehr. Das habe ich schon vor Jahren den Medien gegenüber geäussert. Ich frage mich dabei aber auch, was solche grosse Veränderungen für unsere Stadt sozialgesellschaftlich bedeuten. Ist es der richtige Weg, dass sich ein Unternehmen so dominant artikuliert? Apropos Basler Bescheidenheit … Ja. Du hast absolut recht. Darüber braucht es das Gespräch. Kritisieren heisst ja nicht von selbst: verhindern. Ich denke es war der BSA, der vor vielen Jahren eine öffentliche Debatte über Wettbewerbsprojekte lancierte. Darüber konnten die unterschiedlichen städteräumlichen und architektonischen aber auch gesellschaftlichen Positionen diskutiert werden. Ich erinnere mich an ein heftiges Streitgespräch zwischen Roger Diener und Hans Zwimpfer. Ich glaube es ging um die Erweiterung vom Coop Hauptsitz im Gundeli, bin mir aber nicht mehr sicher. Das war inhaltlich richtig intensiv. Diese Streitkultur ist irgendwo verlorengegangen. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt: Immerhin gab es eine öffentlich geführte Auseinandersetzung zum Entscheid der Universität Basel den Architekten Caruso St. John, die den Wettbewerb für das neue Zentrum der Biomedizin gewonnen hatten, aus unerklärlichen Gründen den Architektenvertrag aufzukünden.“
Ja gut, aber da waren sich alle Architekten einig in der Sache.
„Das ist richtig – und war auch zu vermuten. Bei dieser Sache ging es um die Frage, warum die Bauherrschaften von öffentlichen Institutionen gegenüber unserer hochstehenden Baukultur ein immer geringeres Verantwortungsbewusstsein entgegenbringen.“
Für uns ist Kritik auch ein Zeichen von Respekt, von ernsthafter Auseinandersetzung mit einem Bauwerk.
„Sicherlich hilft Kritik seine eigenen Vorstellungen, Ideen, Haltungen im Vergleich zu überprüfen. Eine konstruktive Konfrontation mit anderen Auffassungen kann mich durchaus im eigenen Denk- und Verhaltensprozess weiterbringen. Architekturstudenten kennen diesen lehrreichen Vorgang durch vielerlei Formen von Entwurfskritiken.»
«Leider verfügt die Architektur über einen kaum nennenswerte Lobby im Grossen Rat. Und so wurde der Vorstoss zu einer bitteren Lektion für die Architekturstadt Basel.»
Zum Schluss eine aktuelle Frage. Die Stadtbildkommission steht vor ihrer Entmachtung, zumindest was den Einfluss in den Nummernzonen anbelangt. Was sagst du dazu?
„Da habe ich eine ganz klare Position. Die Stadtbildkommission braucht den Auftrag der Regierung, in allen Zonen eine gesetzlich bindende qualitative Überprüfung der Baueingabeprojekte vorzunehmen. Das sind wir unserer Baukultur gegenüber schuldig. Ich kann den Vorstoss von Grossrat René Brigger nicht verstehen. Die von ihm beanstandeten Problemfälle sind nicht repräsentativ. Sein Votum ist zudem Ausdruck eines falsch verstandenen Pseudo-Liberalismus. Jeder tätige Architekt verbindet mit seinen Bauvorhaben eine städteräumliche, architektonische und auch eine gesellschaftliche baukulturelle Verantwortung. Leider verfügt die Architektur über einen kaum nennenswerte Lobby im Grossen Rat. Und so wurde der Vorstoss zu einer bitteren Lektion für die Architekturstadt Basel. In solchen Momenten überlege ich ernsthaft mich in der Politik zu engagieren.»
Es sind tatsächlich nur ganz wenige Fälle, die von der Stadtbildkommission abgewiesen werden. In der heutigen Zeit, wo so viel gebaut wird, finde ich es wichtig, dass die Qualität der Architektur geprüft und diskutiert wird. Die Häuser stehen ja danach für 50 oder 100 Jahre. Zurück zur konkreten politischen Vorlage: Wäre das ein Moment, wo wir als Architekten das Referendum ergreifen sollten?
„Das finde ich eine gute Idee. Dafür kann ich mich auch gerne engagieren. Wenn der negative Entscheid des Grossen Rates nicht mit anderen Mitteln rückgängig gemacht werden kann, dann müssen wir über ein Referendum die notwenige Korrektur herbeiführen.»
Interview: Lukas Gruntz / Architektur Basel
Fotos: Armin Schärer / Architektur Basel