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«Myzel Towers» von Christ & Gantenbein: Organisch wachsendes Hochhauscluster aus Pilzen im St. Johann

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Die gestrige Pressekonferenz im Rhypark im St. Johann war gut besucht. Präsentiert wurde ein Projekt mit Sprengkraft. Eingeladen hatten Regierungsrätin Esther Keller, Architekt Emanuel Christ und die Vertreterin der Bauherrschaft, Anita Fetz. Mit Blick auf den unablässig nordwärts strömenden Rhein fand die Vorstellung einer aufsehenerregenden Arealentwicklung aus der Feder von Christ & Gantenbein Architekten statt: Die «Myzel Towers» sollen die «ökologische Revolution» der Bauwirtschaft einläuten. Gebaut – oder eher wachsen – werden sie aus unverleimtem Holz, Textilgewebe, pflanzlichem Abfall – und Pilzen.

550 Wohnungen für bis zu 1’500 Menschen
Beginnen wir beim Kontext: Die Überbauung «Rhypark» zwischen St. Johanns-Park und Dreirosenbrücke ist StadtplanerInnen und ArchitektInnen schon länger ein Dorn im Auge. Die beiden Architekten Emanuel Christ und Christoph Gantenbein hatten sich bereits vor vier Jahren in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) über das Entwicklungspotential des Areals geäussert: «Deshalb sprechen wir uns dafür aus, die bestehenden Wohnbauten abzubrechen und unerschrocken optimistisch eine neue Zukunft zu planen – so wie unsere Vorgänger in den Siebzigerjahren», sagten sie damals. Der Boden in Basel sei zu knapp, um ihn an dieser privilegierten Lage für locker gebauten, günstigen Wohnraum zu verschwenden, lautete die damalige These der beiden Architekten. Inzwischen ist viel Wasser den Rhein hinuntergeflossen – und die städtebauliche und architektonische Vision wurde geschärft. Sie heisst «Myzel Towers» und sieht rund 550 Wohnungen für bis zu 1’500 Menschen vor. Christ & Gantenbein haben grosse Pläne für das Areal ausgearbeitet.

Situationsplan der Myzel Towers Basel © Christ & Gantenbein

Stadtbildkommission unterstützt das Projekt
Im etwas dystopisch anmutenden Marketingvideo über die «Myzel Towers» erhebt sich ein eigenartig wucherndes Gebilde neben dem St. Johanns-Park. Das Ensemble fügt sich aus begrünten Hochhäusern mit einer maximalen Höhe von 90 Metern und 30 Geschossen. Die organische Form entwächst einem System aus sechs identisch organisierten Erschliessungskernen. Wie Äste bei Bäumen richten sich die Innenwände radial zur Fassade. «Es entstehen spannungsvolle Wohnräume, die dem Tageslicht und der bepflanzen Balkonschicht der Fassade entgegenstreben», erklärte Architekt Emanuel Christ. Jede Wohnung verfüge über einen grossen Balkon als «Klimapuffer» und die Mehrheit über «unverbaubaren» Rheinblick. Der Städtebau und Ausdruck der Fassade wurde in enger Zusammenarbeit mit der Stadtbildkommisson entwickelt. «Es waren intensive Diskussionen», sagte Christ: «Am Ende konnten wir die Kommission von der Dringlichkeit der neuen Bauweise überzeugen.» Die Herausforderungen des Klimawandels bedingen radikale architektonische Antworten. Christ betonte: «Sogar Stadtbildkommissions-Präsident Matthias Ackermann hat am Ende eingesehen, dass der Widerstand gegen das innovative, ökologische Bauen zwecklos ist.»

Myzel Towers Basel © Christ & Gantenbein

Lacksporlinge als Bindemittel
Die Konstruktion der Hochhäuer ist tatsächlich innovativ: Sie besteht aus Holzrahmen und Textilgewebe aus Hanf, das mit pflanzlichem Abfall – etwa gehäckselten Ästen und Zweigen – gefüllt wird. Diese Masse wird dem Myzel von Ganoderma-Pilzen oder Lacksporlingen (Ganoderma lucidum) versehenen, die sich darauf ausbreiten. Sein Myzel ernährt sich von den darin enthaltenen Zuckerstoffen. In wenigen Tagen wächst so eine dichte, schwammähnliche Substanz aus miteinander verflochtenen Zellfäden. Dabei entsteht eine Art organisches Netz, dass als Bindemittel, ähnlich der Funktion von Zement im Beton, alles zusammenhält. Danach wird das Pilzwachstum gestoppt. Das heisst, die Pilze werden entfernt und die verfestigten Formen während zweier Tage durch partielle, temporäre Erhitzung auf der Baustelle getrocknet. Was übrigbleibt, ist eine Struktur ähnlich einem Knochen. Die besondere Kraft des Myzel besteht darin, dass es beliebig formbar ist. «Das erklärt auch die organische Gestalt der Bauten. Wie die Form letztlich ganz genau aussehen wird, ist schwierig vorherzusagen», erklärte Emanuel Christ. Die Fassade wird zusätzlich komplett begrünt, was dem Feuchtehaushalt des Gebäudes zuträglich sei. «Die Myzel-Strukturen reagieren sehr sensibel auf Schwankungen der Luftfeuchtigkeit.» Die weitere konstruktive Entwicklung des Tragwerks erfolgt in enger Zusammenarbeit mit Professor Dirk E. Hebel, der am Karlsruher Institut für Technologie seit geraumer Zeit die entsprechende Forschung betreibt. Vorteilhaft ist die Myzelkonstruktion auch für den Abbruch: Wird ein Pilzhaus abgerissen, lande es auf dem Kompost und werde wieder zu organischer Masse.

Myzel Towers Basel © Christ & Gantenbein

«Wir bauen die ersten CO2-neutralen Hochhäuser der Welt.»
Investorin ist die Bebbistadt AG, die von diversen Anlagestiftungen, Investmentfonds und Pensionskassen alimentiert wird. Verwaltungsrätin und Alt-Ständerätin Anita Fetz zeigte sich begeistert: «Wir beweisen einmal mehr: Basel tickt anders! Wir bauen die ersten CO2-neutralen Hochhäuser der Welt. Das ist eine echte Sensation. Ich bin begeistert vom Projekt von Männi und seinem Team» Die Bebbistadt AG habe sich die ökologischen Ziele ganz zuoberst auf die Prioritätenliste geschrieben. Auf die kritische Frage einer Journalistin, ob mit dem Projekt nicht einfach Greenwashing betrieben werde, konterte Fetz schlagfertig: «Es ist im existenziellen Interesse von uns allen, dass unser Planet in 10 Jahren noch bewohnbar ist. Ich nenne es Greenpushing! Wir müssen alles dafür tun, dass wir die Klimakatastrophe abwenden können.» Alle Investoren stünden da gleichermassen in der Verantwortung. Man habe sich deshalb ganz bewusst für eine experimentelle Bauweise entschieden – obwohl diese grössere ökonomische Risiken bergen würde.

Myzel Towers Basel © Christ & Gantenbein

Innovation vor Rendite
Die Bebbistadt AG verfolgt moderate Renditeziele. Es gehe beim Projekt vor allem um die Pionierarbeit in Sachen ökologischem und sozialem Wohnungsbau. Als bekennende Sozialdemokratin sei es ihr ein besonderes Anliegen, dass auch Menschen mit kleinem Portemonnaie in den Hochhäusern ein Zuhause fänden, bekräftigte Anita Fetz: «Wir haben entschieden, dass 50% der Wohnungen nach dem Prinzip der Kostenmiete angeboten werden. Damit garantieren wir langfristig günstige Mietpreise.» Das sei ganz im Sinne des Regierungsrats, ergänzte Esther Keller: «Die Regierung begrüsst es sehr, dass durch das Projekt der Gentrifizierung im St. Johann keinen Vorschub geleistet wird.» Damit sollen Verdrängungsängsten im Quartier begegnet werden.

Myzel Towers Basel © Christ & Gantenbein

Gut Ding will Weile haben: 15 bis 20 Jahre Bauzeit
Die Bauzeit ist lang. Organisches Wachstum braucht Zeit – wie wir es vom Wachstum von Bäumen kennen. “Pro Geschoss rechnen wir mit 2 bis 3 Monaten.” Das hänge jedoch vom Klima ab: Die Pilze bevorzugen mildes, regnerisches Wetter. Bei hohen Temperaturen verlangsamt sich das Wachstum. Ein Hitzesommer würde den Baufortschritt stark verlangsamen. Die Hochhäuser würden frühestens nach einer Bauzeit von 15 bis 20 Jahren fertiggestellt. “Wir sind geduldig und denken langfristig”, sagte Fetz und lachte in die Runde: “Sehen Sie! So sieht echtes nachhaltiges Investment aus.” Für den Bewilligungsprozess sei das nicht ganz unproblematisch, da der Gesetzgeber keine so langen Bauzeiten vorsieht. “Was passiert, wenn sich während der Bauphase massgebliche Normen betreffend Brandschutz oder Erdbebensicherheit ändern?” Man sei diesbezüglich im engen Gespräch mit den Behörden. “Die juristischen Abklärungen in unserer Rechtsabteilung laufen”, erklärte Regierungsrätin Keller. Man darf gespannt sein, wie sich dieser pilzgewordene Wohntraum umsetzen lässt. Emanuel Christ zeigte sich optimistisch: «Ich persönlich halte es mit Galileo Galilei, der sagte: Die Neugier steht immer an erster Stelle eines Problems, das gelöst werden will. Das die Erde eine Kugel sei, wollte man vor 400 Jahren auch nicht glauben.»

Text: Richard Meier

WICHTIGER HINWEIS:
Der vorliegende Artikel kann Spuren von Satire enthalten. Bei Fragen oder Unklarheiten wenden Sie sich bitte an Ihren Sinn für Humor oder konsultieren Sie das Erscheinungsdatum.

 

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