Am 8. Dezember 2019 im stolzen Alter von 95 Jahren ist eine der bedeutendsten Figuren der Architekturstadt Basel abgetreten. Werner Blaser prägte als Handwerker, Architekt und Vermittler das baukulturelle Verständnis am Rheinknie. Zuerst lernte er Möbelschreiner, studierte danach Innenarchitektur und Architektur. Sein Weg führte über Finnland und Alvar Aalto nach Japan, wo er ein Buch über Tempel- und Teehäuser herausbrachte, welches Mies van der Rohe dermassen beeindruckte, dass er zusagte, ein erstes Buch über ihn zusammen mit Blaser zu publizieren. Es folgten über 100 (!) weitere Bücher über die Architektur namhafter Architekten wir Ando, Calatrava, Foster, Souto de Moura oder Piano. Seine Schaffenskraft ist zudem in einem Dutzend Bauten, in seinen Möbeln und etlichen Ausstellungen verewigt. Dank seinen persönlichen Beziehungen zu vielen weltbekannten Architekten kam Basel ab 1980 in den Genuss hochkarätiger Architekturvorträge.
Um das Schaffen von Werner Blaser zu würdigen, haben wir uns entschieden, das folgende, äusserst lesenswerte BaZ-Interview vom Januar 2001 erneut zu publizieren. Über gute und mittelmässige Architektur sowie über den Stellenwert der Basler Architekten äussert sich Werner Blaser im Gespräch mit Raphael Suter.
Raphael Suter (BaZ): Basel wird in jüngster Zeit gerne als Architekturstadt betitelt. Wird Basel diesem Titel gerecht?
Werner Blaser: «Ich glaube, dass man schon von einer Architekturstadt sprechen darf. Basel hat aber nicht erst in jüngster Zeit bedeutende Architekten hervorgebracht, sondern das hat im vergangenen Jahrhundert eine Tradition. Ich denke da beispielsweise unter anderem an Artaria/Schmidt, Hermann Baur und Otto Senn. Der Basler Bürger ist durch solche Architekten und ihre Bauten für das Thema sensibilisiert werden. Siedlungen wie die WOBA Wohnkolonie Eglisee stehen noch heute da, als ob sie erst gestern gebaut worden wären. Die Architektur ist damit zu einem wichtigen Teil der Kultur in Basel geworden. Wir hatten hier auch das Glück, dass wir in Basel eine gute Industrie haben, die für ihre Bauten gute Architekten verpflichtet hat. So hat sich zum Beispiel die Tradition von Hoffmann La Roche von Salvisberg auf Herzog und de Meuron ausgeweitet.»
Oft heisst es ja, der Prophet gelte im eigenen Lande wenig, trifft das auf die Architekten in Basel nicht zu?
«Jacques Herzog und Pierre de Meuron haben auch bescheiden angefangen und mussten sich erst durchsetzen. Das hat seine 20 Jahre gedauert. Doch ich glaube, dass man sich hier durchsetzen kann und dann wirklich zu Basel gehört. Deshalb wird hier der Prophet im eigenen Lande mehr geehrt als anderswo.»
Zur Architekturstadt Basel gehört aber auch der Vitra-Komplex in Weil…
«Ja, das ist aber vor allem eine Privatangelegenheit der Familie Fehlbaum. Zu den wichtigen Architekten, die dort gebaut haben, zahlt unter anderem Tadao Ando, auf den Rolf Fehlbaum durch einen Basler Architektur Vortrag erst aufmerksam geworden ist. Er hat ihn vorher nicht gekannt.»
Herzog und de Meuron sind jetzt so etwas wie die Aushängeschilder der Basler Architektur. Es gibt aber auch andere, jüngere Architekten. die nun ebenfalls sehr erfolgreich arbeiten.
«Das ist nur logisch. Wenn es solche Stararchtitekten wie Herzog und de Meuron gibt, heben diese eben auch das Niveau der Architektur in einer Stadt. Die Ehrendokturwürde für Jacques Herzog und Pierre de Meuron hat die hohe Architekturqualität in Basel nochmals unterstrichen. Dadurch wird auch die Messlatte für andere Architekten höher geschraubt. Es braucht m Basel aber nicht nur Macher, sondern auch intelligente Visionäre. Die Grossbüros sind ja nicht sehr weit gekommen, doch die kleineren Architekturbüros, die Kreativität mit Intelligenz verbinden, schaffen den echten Durchbruch.»
Wird die Basler Architektur von staatlicher Seite denn auch gefördert?
«Die beiden Stadtbaumeister, früher Carl Fingerhut und jetzt Fritz Schumacher. sind markante Persönlichkeiten, die wissen, was gute Architektur ist. Beide sind mit ihrem Vokabular nach Basel gekommen und haben grossen Einfluss auf die hiesige Architektur genommen. Fritz Schumacher hat beispielsweise zum Architekturwettbewerb für ein neues Pavillon im Schützenmattpark nur Leute unter 35 Jahren eingeladen Er bemüht sich sehr, in Basel eine Architekturplattform für alle Generationen zu schaffen. Es gibt darüber hinaus aber in unserer Stadt auch bemerkenswerte Einzelinitiativen, wie sie beispielsweise Hans Zwimpfer mit dem Peter Merian Haus unternommen hat. Solche Initiativen sind einfach grossartig und für Basel sehr wichtig. Sie ziehen dann immer wieder neue Initiativen mit sich.»
Gibt es solche Entwicklungen nicht auch in anderen Städten?
«Gegenüber anderen Städten wie Bern oder Zürich wird der Architektur in Basel ein viel grösserer Stellenwert zugeschrieben. Ein Firmensitz in dieser Stadt muss schon von einem wichtigen Architekten gebaut werden, das wird hier einfach erwartet.»
Hat Basel auch international einen Ruf als Architekturstadt?
«Der grosse alte New Yorker Architekt Philip Johnson hat mir einmal gesagt, Basel sei in der Mitte der Welt. Diese Meinung teile ich. Wir können Mailand, Paris und die deutschen Städte alle schnell von Basel aus erreichen. Basel hat zudem eine der schönsten Silhouetten überhaupt. Und der Rhein teilt die Stadt nicht, er verbindet sie. Das alles ist Architektur. Eine Architektur, die gehegt und gepflegt, aber auch fortgeführt wird.»
Wo kann sich neue Architektur auf dem engen Stadtraum noch entfalten?
«Beispielsweise am Rheinhafen. Das Wohnen am Rhein hat zweifellos Zukunft. Eines Tages werden Saint- Louis und Lörrach noch mehr mit Basel Zusammenwachsen, und dann spielt es gar nicht mehr eine so grosse Rolle, in welchem Land man lebt.»
Sie unterstützen damit die Vorstellung Jacques Herzogs von einem Grossraum Basel, der auch über die geografischen Grenzen hinausgeht.
«Als ich ein Bub war, konnte man mit dem Tram nach Lörrach und Saint-Louis hineinfahren. Die Schienen existieren zum Teil noch, Die vielen Grenzgänger, die in Basel arbeiten, zeigen uns tagtäglich, dass wir zusammengehören. Wir reden ja auch alle den gleichen Dialekt.»
Erklärt sich daraus auch die baslerische Offenheit, die oft stärker mit der Westschweiz als mit der übrigen Deutsche Schweiz korrespondiert?
«Mich stört die Bezeichnung «Röschtigraben» sehr. Ein Graben muss überwunden werden. Ich sehe aber keinen wirklichen solchen Graben. Wir sind mit unserer Mehrsprachigkeit und den verschiedenen Mentalitäten Vielmehr ein Modell für das ganze übrige Europa.»
Gibt es eine schweizerische oder baslerische Architektursprache?
«Nein, das gibt es nicht. Das zeigt sich an den Beispielen von Herzog & de Meuron und Roger Diener. Roger Diener ist ebenfalls ein ganz hervorragender Architekt, der aber ganz anders vorgeht als Herzog & de Meuron. Er geht vielleicht weniger auf den Ort ein als die beiden anderen, die ihr Thema immer nach der Architekturaufgabe richten. Roger Diener hat da eine grössere Zurückhaltung und Reduktion in seinem Ausdruck. Auch Peter Zumthor muss in diesem Zusammenhang er- wähnt werden, denn er kommt aus Basel und hat hier seine Lehrjahre absolviert. Obwohl er bislang noch nicht in Basel gebaut hat, ist Zumthors Wirkung für Basel nicht unbedeutend.»
Man spricht immer nur von guter Architektur und vergisst gerne, dass es auch Viel schlechte Architektur gibt…
«Ich würde nicht unbedingt von schlechter, als vielmehr von gewöhnlicher, mittelmässiger Architektur sprechen. Viele Architekten eifern einfach ihrem Honorar nach, und mit dieser Einstellung gelingen kaum grosse Würfe. Wer jedoch in Basel einen Architekturwettbewerb gewinnen will, muss sieh schon sehr anstrengen.»
Die Wahrnehmung von guter Architektur ist Ihnen ein grosses Anliegen. Weshalb engagieren Sie sich so dafür?
«Angefangen hat es mit der Idee, dass Studentinnen und Studenten, die grosse Meisterarchitekten bloss vom Namen her kennen, diese auch einmal persönlich als Referenten erleben zu können. Dieses Konzept hat dann eine immer grösser werdende Anhängerschaft gefunden, weil es in Basel eben viele Architekturinteressierte gibt. Wenn heute ein Basler Architekturvortrag stattfindet, dann besteht sicher die Hälfte des Publikums nicht aus Architekten und Ingenieuren, sondern aus interessierten Laien. Das ist mir auch sehr wichtig.»
Seit zwei Jahren finden nun die Basler Architekturvorträge im Rahmen der Swissbau statt. Weshalb haben Sie sich dieser Fachmesse angeschlossen?
«Es gibt verschiedene inhaltliche Berührungspunkte. An die Swissbau kommen ja viele Fachleute, und die haben in den Architekturvorträgen jetzt einen zusätzlichen Anziehungspunkt. Die Swissbau profitiert damit von den Architekturvorträgen, und diese wiederum können dank der Swissbau unter etwas besseren Bedingungen stattfinden. Ich habe sonst keine grosse finanzielle Unterstützung für diese Reihe, die ich nun schon seit zwanzig Jahren im Alleingang organisiere. Im Kongresszentrum der Messe Basel ist zudem die Infrastruktur für solche Vorträge ideal.»
Wie schwierig ist es, bekannte Architekten wie Zaha Hadid, Tadao Ando, Norman Foster oder Richard Meier nach Basel zu holen?
«Es wird immer schwieriger. Die Planung ist sehr langfristig und dann gibt es plötzlich kurzfristig wieder Änderungen oder im schlimmsten Fall sogar Absagen.»
Viele Vorträge sind nur dank Ihrer persönlichen Beziehungen zu den Referenten doch noch zustande gekommen.
«Es ist schon so, dass viele Architekten nur deshalb nach Basel kommen, weil sie mich persönlich kennen und auch das Umfeld, in dem sie referieren. Leute wie Norman Fester oder jetzt Peter Eisenman hätten aus verständlichen Gründen abgesagt, wenn es keine Bindung zwischen ihnen und mir geben würde. Diese Beziehungen, die nie oberflächlich waren, schildere ich in meinem neuen Buch mit dem Titel «Begegnungen», das im Birkhäuser-Verlag erschienen ist. Auch die Entwicklung dieses Verlages zum wichtigsten Archietektur-Verlag bangt eng mit meinem Werdegang zusammen und hat ebene falls einen grossen Einfluss auf die Basler Sensibilisierung für Architektur.»
Inzwischen sind fast alle wichtigen Architekten an den Basler Architekturvorträgen aufgetreten. Läuft sich diese Reihe nicht allmählich tot?
«Es hat sich gezeigt, dass Referenten auch beim zweiten und dritten Mal immer wieder Neues zu sagen haben. Deshalb habe ich keine Angst, dass mir die Referenten bald ausgehen könnten. Die Reihe wird weitergehen. Ich möchte künftig aber die nationalen und internationalen Hochschulen noch stärker einbeziehen.»
Gibt es jemanden. den Sie besonders gerne hören möchten?
«Ich möchte immer wieder bestimmte Architekten, die schon mal in Basel waren, zu einem anderen Thema sprechen hören. Renzo Piano, der schon zweimal in Basel referierte, hätte ich gerne zum Abschluss der Erweiterung der Fondation Beyeler wieder gehabt. Doch sein Terminkalender liess das leider nicht zu. Piano ist ein sehr gefragter Mann. Zudem wollen Leute wie er nicht reden, sondern bauen.»
Haben Sie einen Lieblingsarchitekten?
«Das ist derzeit wohl Tadao Ando, weil er mit Mies van der Rohe auf einer ganz anderen Ebene zusammenhängt. Und weil er wirklich ein Architekt mit einer eigenen Haltung und kein Spieler ist. Über ihn bereite ich momentan ein Buch mit dem Titel «Architektur als Stille» vor.»
Interview: Raphael Suter
erschienen in der Basler Zeitung am 6./7. Januar 2001 (Nr. 5)
Werner Blaser – Ein Vermittler
Der 1924 geborene Werner Blaser ist schon während seines Studiums mit Alvar Aalto und Mies van der Rohe in Berührung gekommen, deren strukturelle Philosophie ihn ebenso beeinflusst hat wie frühere Kontakte mit der klassischen chinesischen und japanischen Architektur. Blaser gilt als massgebender Vertreter einer architektonischen Richtung, deren Qualitäten primär in der Logik objektiver Gesetzmässigkeiten gründen. Dies zeigen auch seine Bücher, die weltweit Beachtung finden. In Basel hat sich Werner Blaser nicht nur als Publizist, sondern auch als Begründer und Organisator der Basler Architekturvorträge einen Namen gemacht, die seit 1980 mit international bekannten Referenten stattfinden.
Werner Blaser ist kein Architekturtheoretiker, der für ein ausgewähltes Fachpublikum schreibt. In seinen unzähligen Publikationen ist es ihm stets gelungen, sowohl seine Kolleginnen und Kollegen wie auch interessierte Laien zu verschiedensten Architekturfragen anzusprechen und für grosse Architektenpersönlichkeiten zu begeistern. Werner Blaser hat sich immer in der Rolle des Vermittlers gesehen, und aus diesem Anspruch heraus sind auch die Basler Architekturvorträge entstanden, die in zwanzig Jahren fast dir gesamte Architekturelite nach Basel gebracht haben. Diese einzigartige Vortragsreihe hat massgeblich zum Architektur-Bewusstsein in Basel beigetragen. Nie zustande gekommen wären allerdings die Auftritte von Norman Foster, Richard Meier, Renzo Piano, Tadao Ando, Frank O. Gehry und vieler anderen berühmten Architekten, wenn er diese sich nicht durch die persönliche Freundschaft mit Werner Blaser verbunden fühlten. Sein ehrliches Engagement für gute Architektur hat ihm diese Wertschätzung eingebracht. Werner Blaser genoss als Architektur-Vermittler weltweit einen hervorragenden Ruf.