PETITION GAV ARCHITEKTUR

Normalität oder Skandal? Auswertung unserer Umfrage zu den Arbeitsbedingungen

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Geringer Lohn, eine Unmenge an Überstunden, wenig Wertschätzung: Die Arbeitsbedingungen
in Architekturbüros lassen zu wünschen übrig. Das zeigte unsere Umfrage. Der Grat zwischen Selbstausbeutung und Selbstverwirklichung ist schmal. Uns beschäftigten die Fragen: Weshalb sind die Arbeitsbedingungen in Architekturbüros nicht besser? Warum reichen unsere Honorare nicht für höhere Löhne?

«Ich habe eine Lehre absolviert und später Architektur studiert. Mein Lohn nach der Lehre war höher als der angebotene Lohn nach Studienabschluss.»

© Hahn + Zimmermann

Im Dezember 2022 haben wir der Fall einer problematischen Arbeitssituation in einem Basler Büro geschildert: Claudio B. litt unter dem Druck, den seine Vorgesetzten ausübten, und unter der hohen Arbeitsbelastung. Nach mehreren Abgaben häuften sich bei ihm Hunderte von Überstunden an, deren Kompensation ihm die Personalabteilung verweigerte. Maximal eine Woche wollte man ihm zugestehen. Claudio konnte das nicht akzeptieren. Es folgte die fristlose Kündigung. Nur dank juristischer Unterstützung kam er danach zu seinem Recht. Nach dem Gespräch mit Claudio fragte ich mich: Gehören solche Arbeitsverhältnisse in Architekturbüros zur Tagesordnung? Wie prekär sind die Arbeitsbedingungen tatsächlich?

© Hahn + Zimmermann

Viel Verantwortung, wenig Lohn
Über den Lohn spricht man nicht. Anhand einer anonymen Online-Umfrage wollte ich etwas Licht ins Dunkel bringen. Die Resonanz war gross: 446 Personen, mehrheitlich aus Basel, nahmen teil. Zuerst betrachten wir die Lohnangaben: Ein Grossteil der Befragten verdient 5000 bis 6000 Franken brutto pro Monat. Auffällig: Bei Projektarchitektinnen scheint die obere Gehaltsschallgrenze bei 7000 Franken zu liegen. Höhere Löhne sind in dieser Funktion rar. Berücksichtigt man das Bachelor- und Masterstudium sowie zusätzliche Praktika – oder gar eine Lehre –, ist das vergleichsweise wenig. Ganz abgesehen von der Verantwortung, die man je nach Aufgabe und Projekt trägt. Ein Kollege schrieb ernüchtert: «Die Löhne müssen deutlich steigen. Vier Jahre Lehre plus drei Jahre Studium und nur 5500. Ich überlege mir, Informatiker zu werden. Da krieg ich so 7000 bis 8000.»

© Hahn + Zimmermann

Eine klare Sache ist die Antwort bezüglich 13. Monatslohn: 64 Prozent erhalten keinen. Das deckt sich mit meinen Erfahrungen. Auf die Frage nach den besonders unbefriedigenden Vertragsbedingungen nannten denn auch viele das fehlende 13. Monatsgehalt. Ein Votum aus der Umfrage: «So sehr mich der Beruf glücklich macht, so unbefriedigend ist es doch, wie wenig sich die hohe Verantwortung, die wir als ausführende Architekten tragen, finanziell widerspiegelt.» Die Umfrage offenbart zudem Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern: Frauen verdienen anteilmässig weniger – vor allem, weil sie in Kaderpositionen untervertreten sind.

«Überstunden für Wettbewerbe werden nur zu 20 Prozent angerechnet. Überstunden an Wochenenden und Feiertagen zählen gleich wie werktags.»

© Hahn + Zimmermann

Dauerbrenner Überstunden
«Erfordern dringende Arbeiten, auch im Interesse der Konkurrenzfähigkeit des Büros, eine längere Präsenz der MitarbeiterInnen, so wird erwartet, dass eine entsprechende Überzeit in zumutbarem Rahmen geleistet wird», heisst es in einem Arbeitsvertrag eines Basler Architekturbüros. Aus vielen Gesprächen weiss ich, dass Überstunden ein heiss diskutiertes Thema sind. Sie gehören in der Branche zum guten Ton. Oft erfordert eine Wettbewerbsabgabe Nachtschichten oder einen Sondereinsatz am Wochenende; man will schliesslich gewinnen. Jemand schrieb dazu: «Für Überstunden im Wettbewerb gibt es Kompensationstage nach Ermessen der Geschäftsleitung, jedoch höchstens 4 Freitage.» Bei einer Mehrheit von 54 Prozent erwarten Arbeitgeber die Leistung von Überstunden. Erschreckend ist, dass über zehn Prozent angeben, sie weder kompensieren zu können noch abgegolten zu bekommen. Das wäre illegal. Bei immerhin 60 Prozent ist eine Kompensation vorgesehen – die sich aber oft schwierig gestaltet: «Nach 30 Tagen verfallen die Überstunden, wenn sie nicht kompensiert werden können. Doch man hat so viel Arbeit, dass man gar nicht freinehmen kann.» Eine andere Person schrieb: «Ich bekomme jeden Tag mehr Aufgaben, obwohl ich schon überlastet bin.»

© Hahn + Zimmermann

Wir kennen das: Wenn ein Projekt mal richtig läuft, ist es schwierig, ein paar Tage Pause einzulegen, um Überstunden abzubauen. Nach der Abgabe ist vor der Abgabe. Trotzdem: Es liegt auch in der Verantwortung jedes Einzelnen, sich frühzeitig zu wehren. Jemand meinte lapidar: «Falls die Überstunden unfair verrechnet werden, führt dies meinerseits zu einem grosszügig aufgerundeten Eintragen der Stunden.»

© Hahn + Zimmermann

Von logistischer Natur ist die Frage nach dem Pensum: Anstellungsverhältnisse mit einem Pensum von weniger als 50 Prozent sind nur selten möglich. Das erschwert den Wiedereinstieg, insbesondere für Mütter mit mehreren Kindern. Wenn der Partner zudem deutlich mehr verdient, ist eine Anstellung oftmals ökonomisch wenig sinnvoll. Es gibt aber auch eine gute Nachricht: Pensen von 80 Prozent, die auch viele junge Väter in Anspruch nehmen, haben sich in den meisten Büros etabliert.

«In unserem Beruf gibt es ein hohes Mass an Burn-out, und dieses Thema sollte uns beschäftigen.»

© Hahn + Zimmermann

Vereinbarkeit und Wertschätzung
Als Vater eines wenige Monate alten Sohnes beschäftigt mich auch die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Und damit bin ich nicht allein. Die Arbeitsbelastung, verbunden mit einem vergleichsweise geringen Lohn, steht dieser Vereinbarkeit oft im Weg. Auch hier gibt es in vielen Arbeitsverträgen Luft nach oben: «Arbeitsvorsorge, Krankheitstaggeld, Mutterschaft – alles überall auf dem absoluten gesetzlichen Minimum», schrieb jemand ernüchtert: «Als Vater von zwei Kindern feststellen zu müssen, dass der Lohn für ein 100-Prozent-Pensum nicht reicht, ist hart.» An zusätzliche, freiwillige Kinderzulagen oder Teuerungsausgleich wagt man in der Branche erst gar nicht zu denken, obwohl besonders Familien von steigenden Lebenshaltungskosten betroffen sind.

«Ich bin nicht Teil des Entscheidungsfindungsprozesses, ich liefere nur die Möglichkeiten.»

© Hahn + Zimmermann

Die monetäre Entschädigung ist nur eine Form der Wertschätzung. Ein Lob ist manchmal mehr wert als eine Lohnerhöhung. In der Realität kommt das oft zu kurz: «Wenn du lieferst, sagen sie dir, wie gut du bist. Doch das wars dann auch. Nach Abgaben beginnt alles wieder von vorn. Die Erwartungshaltung ist erdrückend.» Eine andere Person schreibt, dass sie «permanent unter Druck gesetzt» werde. Zum Jahresende bekämen dann alle Mitarbeitenden einen «generischen Dankesbrief». In anderen Büros spielt die konkrete Leistung eine Rolle: «Die Wertschätzung ist sehr ökonomisch, stimmen die Zahlen im Projekt, dann bist du gut!» Ob diese Beispiele repräsentativ sind, lässt sich nur schwer sagen. Es ist anzunehmen, dass die negativen Rückmeldungen in der Umfrage überrepräsentiert sind: Man wird dann besonders laut, wenn man unzufrieden ist. Aber es gab auch andere Rückmeldungen: «Meine Arbeit wird geschätzt. Aber nur in Worten. Finanziell ist es sehr schwierig. Lohnverhandlungen und -erhöhungen gibt es keine.» Oder kurz und bündig: «Wertschätzung extrem hoch, geilste Chefs ever!»

Fazit: Es besteht Erklärungsbedarf
Was hat die Umfrage gebracht? Jemand schrieb: «Dass das Thema hier zur Sprache kommt, finde ich gut und sehr wichtig – vielen Dank!» Im Kern geht es um die Frage der Lohngerechtigkeit: «Please help us to understand why our job is so badly payed», bat eine Umfrageteilnehmerin. Arrivierte Kollegen indes kritisierten mich. Meine Herangehensweise sei zu boulevardesk. Man solle aus einer Mücke keinen Elefanten machen. Der Architekturberuf würde durch schlechte Presse unattraktiver, was in Anbetracht des Fachkräftemangels kontraproduktiv sei. Sollte man nicht gerade deswegen die vorherrschenden Arbeitsbedingungen offen diskutieren? Es besteht Erklärungsbedarf. Die Erfahrung von Claudio B. ist wahrscheinlich eine Ausnahme. Die Umfrage zeigt, dass die Arbeitsbedingungen in Basler Architekturbüros nicht ganz so dramatisch sind. Die grosse Mehrheit der Büros hält das Arbeitsgesetz ein. Dennoch finde ich es gut und wichtig, wenn eine junge Generation von Architektinnen die vorherrschenden ökonomischen Bedingungen kritisch hinterfragt. Dank der Umfrage ist ein Anfang gemacht. Über den Lohn spricht man.

Text: Lukas Gruntz / Architektur Basel
Infografiken: Hahn + Zimmermann


Podcast
In der nächsten Ausgabe von ‹Sach & Krach› erzählt Autor und Architekt Lukas Gruntz von den Arbeitsbedingungen in Architekturbüros und von seiner Arbeit mit Architektur Basel.
hochparterre.ch / podcast

 

 

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