Im vergangenen Oktober 2018 schien die Baubewilligung für das geplante Hochhaus „Domus Liebrüti“ reine Formsache zu sein. Es gehe „hauptsächlich um die Vollständigkeit des Gesuchs“ schrieb die Aargauer Zeitung damals. Inzwischen ist ein halbes Jahr ins Land gezogen und von einer Baubewilligung weit und breit keine Spur. Was ist passiert? Weshalb diese Verzögerung?
Nachdem Architektur Basel im November 2018 erstmals öffentlich Kritik am geplanten Hochhaus geübt hatte, wurde der Ball von diversen Medien, wie 20 Minuten, der Aargauer Zeitung oder der Fachzeitschrift Hochparterre aufgenommen. Das rief weitere Akteure auf den Plan. Seitens des Aargauer Heimatschutzes bekräftigte Geschäftsführer Henri Leuzinger, die Siedlung Liebrüti habe unter den in den 1970er-Jahren üblichen Gross-Siedlungen „einen besonderen Stellenwert“. Man werde sich genau mit dem Baugesuch befassen.
Nun dauert der Bewilligungsprozess offensichtlich länger als erwartet. Architektur Basel kennt den Grund: Zur Umsetzung des Bauprojekts müssen die Vorschriften des Sondernutzungsplanes eingehalten werden. Darin fordert Artikel 17 „Qualitätssicherung“ – und zwar in Form einer Stellungnahme einer unabhängigen Fachperson. Darin wird das Bauprojekt nach Kriterien wie der architektonischen Gestaltung, räumlichen Wirkung, Gliederung der Fassade oder Erhaltung des bestehenden Charakters der Gartengestaltung beurteilt. Das vorliegende, architektonisch unbefriedigende Hochhaus-Projekt der Firma „ADT INNOVA Architektur und Planungs AG“ aus Gossau ZH dürfte dabei keinen einfachen Stand haben, nimmt es doch kaum Bezug auf die bestehende Bebauung und fügt sich architektonisch ungenügend ins Liebrüti-Ensemble ein.
Die externe Stellungnahme hat Gewicht. „Sollte das Baugesuch diesen Anforderungen nicht standhalten, wären die Voraussetzungen für eine Baubewilligung grundsätzlich nicht erfüllt“, erklärt Gemeindeschreiber Roger Rehmann auf Anfrage von Architektur Basel. Bei einer kritischen oder negativen Stellungnahme müsste das Projekt also vorerst gestoppt werden. Eine besondere Verantwortung für Architekt Walter Tschudin aus Brugg, der vom Gemeinderat als unabhängige Fachperson ausgewählt wurde. „Herr Tschudin ist ein im Kanton Aargau ausgewiesener Fachmann. Er hat Erfahrungen bei kantonalen Planungen und in Ortsbildberatungen. Dies sind auch die Kriterien gewesen“, so Rehmann.
Das künftige Schicksal des Baudenkmals Liebrüti liegt also in den Händen von Walter Tschudin. Respektvolle Weiterentwicklung oder fahrlässige Verschandelung? Es bleibt zu hoffen, dass der Architekt aus Brugg sein Urteil im Sinne der Baukultur fällt – und eine Überarbeitung des Städtebaus und einen Architekturwettbewerb fordert.
Text: Lukas Gruntz / Architektur Basel